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LUFT/571: In der Zwickmühle - Wie Städte versuchen, die Luftqualität zu verbessern (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/16
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

In der Zwickmühle
Wie Städte versuchen, die Luftqualität zu verbessern

von Helge May


5000 Euro Zwangsgeld. Das hält sich ja in Grenzen. So viel muss die Freie und Hansestadt Hamburg laut Verwaltungsgerichtsurteil zahlen, wenn sie nicht bis Ende Juni kommenden Jahres einen neuen, verbesserten Luftreinhalteplan vorlegt. "Die Umweltbehörde und die weiteren beteiligten Behörden arbeiten mit Hochdruck daran, den neuen Plan fristgerecht aufzustellen", gibt man sich dennoch ganz beflissen.

An den 5000 Euro liegt es nicht, doch neben Bürgern und Umweltverbänden sitzt dem Stadtstaat auch die EU im Nacken. In Brüssel läuft ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren und Hamburg ist damit nicht allein. Seit 2010 gelten auch in Deutschland zuvor von der EU beschlossene, verschärfte Grenzwerte für Stickoxide. 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter dürfen nicht überschritten werden. Doch an Hamburgs Hauptverkehrsstraßen und in vielen anderen Städten wird der Grenzwert immer wieder verletzt.

Hamburger "Luftgütepartnerschaft"
Stickoxide führen ebenso wie Feinstaub zu Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Städte müssen tätig werden, aber für direkt wirksame Maßnahmen fehlen die Mittel, teils auch der politische Mut. Neben einem Busbeschleunigungsprogramm und Verbesserung der Parkraumbewirtschaftung versucht es Hamburg bisher vor allem mit Freiwilligkeit. Mit der örtlichen Wirtschaft wurde eine "Luftgütepartnerschaft" ins Leben gerufen. "Mit ihrem Beitritt bekennen sich Unternehmen zur Reduzierung der verkehrsbedingten Luftschadstoffe in unserer Stadt." Klingt gut, doch die Schadstoffwerte sind immer noch zu hoch.

Der Druck wächst. In Stuttgart haben Land und Stadt mit zwei privaten Klägern sogar einen gerichtlichen Vergleich zur Senkung der Emissionsbelastung geschlossen. Bei Nichteinhaltung der Grenzwerte von Stickoxid und Feinstaub im Jahr 2017 muss die Stadt bereits im Folgejahr dafür sorgen, dass der Verkehr um 20 Prozent reduziert wird. Dabei geht es um die Kreuzung "Am Neckartor", die als Messstation mit den bundesweit schlechtesten Werten inzwischen Berühmtheit erlangt hat. Minus 20 Prozent entsprechen am Neckartor täglich 16.000 Fahrzeugen.

Streit um die Blaue Plakette
Was kann man überhaupt tun gegen die Luftverschmutzung? In Stuttgart brächte eine stärkere Förderung des öffentlichen Nahverkehrs laut Wirkungsanalyse des Landesverkehrsministeriums eine Minderung der Stickoxidemissionen um zwei Prozent. Alle Taxis und Paketdienste auf Elektroantrieb umzustellen, brächte weitere drei Prozent.

Von ganz anderem Kaliber wäre dagegen die "Blaue Plakette". Mit dieser Umweltzonenverschärfung könnten 40 Prozent der Stickoxide eingespart werden. Zugelassen wäre nur noch, wer weniger als 80 Milligramm Stickoxide pro gefahrenen Kilometer ausstößt. Betroffen wären davon vor allem Dieselfahrzeuge. Moderne Benziner ab Euro-3-Norm hätten damit keine Probleme, Diesel-Pkw, Lkw und Busse würden das nur mit der neuen Euro-6/VI-Norm schaffen. Alle anderen müssten nachgerüstet werden oder draußen bleiben.

Rückfall in die Kleinstaaterei?
Die Umweltverbände fordern die Blaue Plakette ebenso wie die Landesumweltminister. Auch das Bundesumweltministerium ist dafür, hat die Pläne im August aber wieder zurückgezogen. Offensichtlich war der Widerstand im Kabinett zunächst zu stark. Es habe "keinen Sinn, fast flächendeckend Dieselfahrzeuge aus den Städten auszuschließen", ließ Verkehrsminister Dobrindt verlauten.

Den Städten ist damit nicht geholfen. Weitere Gerichtsurteile sind zu erwarten, eines sorgt schon jetzt für Aufregung. Im September hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf den städtischen Luftreinhalteplan als unwirksam verworfen und Nachbesserungen innerhalb eines Jahres gefordert. Nach Auffassung des Gerichts darf die Stadt hierzu auch Fahrverbote verhängen. Kommt es zu keiner bundesweiten gesetzlichen Regelung, droht ein unübersichtlicher Flickenteppich, mit von Stadt zu Stadt unterschiedlichen Maßnahmen.

Stickoxide führen ebenso wie Feinstaub zu Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Städte müssen tätig werden, den Rahmen sollte aber der Bund setzen.

Einigermaßen entspannt verfolgt man die Diskussion in Potsdam. Auch hier gibt es Probleme mit der Luftqualität, doch mit der Fortschreibung des Luftreinhalteplans hat die brandenburgische Landeshauptstadt bereits im Frühjahr 2012 eine "umweltorientierte Verkehrssteuerung" installiert. Auffälligste Maßnahme sind dabei die Pförtnerampeln an den Stadteingängen. Drohen die Schadstoffwerte in den innerstädtischen Durchgangsstraßen zu sehr anzusteigen, macht Potsdam dicht. Hierfür und um den innerstädtischen Verkehrsfluss besser zu steuern, wurden mit EU-Förderung unter anderem die 50 Messstellen ausgebaut und 30 Ampelanlagen einbezogen.

Im Stau vor der Stadt
Spitzenbelastungen lösen vor allem ständiges Anfahren und Abbremsen bei Stop and Go oder massenhaftes Standgas im Stau aus. Kurzzeitige Sperren lassen den Verkehr in der Stadt wieder fließen. Der dadurch ausgelöste Ampelstau vor der Stadt verschmutze zwar auch die Luft, aber in unbesiedeltem Gebiet, argumentiert die Verwaltung.

In den Nachbarkommunen teilt man diese Sichtweise nicht immer, festzustehen scheint aber, dass die neue Verkehrsführung wirkt. Sowohl die Feinstaubwerte als auch die Belastung durch Stickstoffdioxid sind teils deutlich gesunken: "In keiner der Straßen mit Messstationen wird die Feinstaubbelastung an mehr als den zulässigen 35 Tagen pro Jahr überschritten. Bei der Belastung mit Stickstoffdioxid sind die Messwerte in der Großbeerenstraße erstmals unter den zulässigen Grenzwerten - einzig in der Zeppelinstraße wird der Wert noch leicht überschritten."


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Auf dem Umweltzonenschild könnte bald auch eine blaue Plakette kleben. Dann müssten 80 Milligramm Stickoxide pro gefahrenen Kilometer eingehalten werden.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/16, Seite 12 - 13
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2016

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