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UNO/198: Einrichtung eines zwischenstaatlichen Wissenschaftsrats gewinnt an Fahrt (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010
2010 Entscheidungsjahr für die Biologische Vielfalt

Schnittstelle zwischen Biodiversitätsforschung und Politik
Einrichtung eines zwischenstaatlichen Wissenschaftsrats gewinnt an Fahrt

Von Axel Paulsch


Weil umweltpolitische Entscheidungen zu selten wissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen, diskutiert die Staatengemeinschaft die Einrichtung einer Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES). Wenn seine wissenschaftliche Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit der Daten gewährleistet sind, kann IPBES zu einem weltumspannenden Beratungsgremium mit hoher Akzeptanz werden.

Der Gedanke, eine internationale Schnittstelle zwischen der weltweiten Biodiversitätsforschung und der für die Umsetzung zuständigen Politik zu schaffen, nimmt weiter Fahrt auf, denn als einer der Gründe für das Verfehlen des für 2010 gesteckten Ziels, den Verlust an biologischer Vielfalt deutlich zu verlangsamen, wird international die unzureichende Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse in politische Entscheidungen gesehen. Ähnlich dem wissenschaftlichen Beratungsgremium IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) zur Klimakonvention (UNFCCC) soll daher ein internationaler Mechanismus zur besseren Vernetzung der Wissenschaft mit der Biodiversitätskonvention (CBD) und anderen internationalen Umweltabkommen aufgebaut werden, die sog. Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES).


Ein langwieriger Prozess

Nachdem mit dem Millenium Ecosystem Assessement (2001-2005) und der von Frankreich angestoßenen Initiative IMoSEB (International Mechanism of Scientific Expertise on Biodiversity (2005-2007) schon erste Überlegungen zum Aufbau einer permanenten Schnittstelle unternommen worden waren, legte die UNEP 2007 ein Konzept für IPBES vor. Die UNEP-Initiative für ein erstes Treffen wurde im Mai 2008 von COP 9 der CBD (Decision IX/15) begrüßt.

Dieses erste Beratungstreffen fand im November 2008 (in Putrajaya, Malaysia) statt. Dort wurde die Idee teilweise noch sehr zurückhaltend diskutiert. Das änderte sich beim ebenfalls unter Führung der UNEP vom 05.-09. Oktober 2009 in Nairobi durchgeführten zweiten Multistakeholder Meeting zu IPBES. Die überwiegende Mehrheit der über 100 anwesenden Delegationen sah die Notwendigkeit einer solchen Plattform gegeben und war der Meinung, dass ein neu aufzubauender Mechanismus besser in der Lage sein würde, die Anforderungen zu erfüllen, als es durch bisher bestehende Gremien möglich ist. Diese Sichtweise basierte vor allem auf einer von der UNEP durchgeführten Lückenanalyse der bereits existierenden nationalen und regionalen Politikschnittstellen und Mechanismen (UNEP/IPBES/2/INF/11).


Unabhängig und glaubwürdig

Wichtig war den meisten Teilnehmern, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit der neuen Plattform gewährleistet ist und sie in ihrer wissenschaftlichen Arbeit nicht politisch gesteuert wird. Eine der Hauptaufgaben der neuen Plattform soll die Erarbeitung von weltumspannenden und regionalen Berichten sein, die von einzurichtenden Untergruppen erstellt werden sollen. Konsens herrschte darüber, dass diese Berichte politikrelevant und nachfragegesteuert sein müssen, im jeweils angepassten Maßstab zu erstellen sind und einem wissenschaftlichen Begutachtungsverfahren unterzogen werden müssen. Die Diskussion um die Sicherung der Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse erhält derzeit neue Aktualität durch die Fehler, die der IPCC in Bezug auf die Abschmelzgeschwindigkeit der Gletscher im Himalaya einräumen musste. Dieser Aspekt hat auch Einfl uss auf die Diskussion über die Struktur des einzurichtenden IPBES, da der IPCC als Vorbild dienen soll. Einige Delegationen, unter anderem die EU, hatten in Nairobi vorgeschlagen, der an IPCC angelehnten Struktur aus Plenum, Executive Body, Sekretariat und Arbeitsgruppen noch ein separates wissenschaftliches Beratungsgremium an die Seite zu stellen. Diese Sicht wurde nicht von allen geteilt. Brasilien sprach sich bezüglich der Struktur sogar dafür aus, IPBES strukturell in die CBD einzubinden, während die Mehrheit der Delegationen dadurch die Unabhängigkeit des IPBES gefährdet sähe. Im Kern geht es bei dieser Strukturdebatte darum, dass bei einer Einbindung in die CBD das Konsensprinzip der Konvention automatisch mit übernommen würde, während ein unabhängiger Mechanismus auch Mehrheitsentscheidungen treffen könnte. Letztlich hätte durch das Konsensprinzip jeder Vertragsstaat der CBD ein de-facto Vetorecht gegenüber Schlussfolgerungen aus den Assessments, die IPBES als Hauptaufgabe durchführen soll.

Trotz dieser Kontroverse waren sich aber alle Delegationen einig, dass der politische Teil des Mechanismus durch Regierungen gesteuert werden soll, aber anderen Gruppen offenstehen muss.

Bezüglich der Aufgaben, die IPBES erfüllen soll, vertraten viele Entwicklungsländer die Ansicht, dass IPBES zum capacity building und zur verstärkten Wissenschaftskooperation genutzt werden sollte. Viele Industrieländer waren eher der Ansicht, dass IPBES zwar bestehende capacity building Maßnahmen unterstützen kann, aber nicht der geeignete Mechanismus ist, in dieser Hinsicht eigene Maßnahmen aufzubauen.

Die Tagung in Nairobi kam nicht zu einer defi nitiven Entscheidung über die tatsächliche Einrichtung eines IPBES, es wurde aber ein Weg eingeschlagen, in einem weiteren Treffen (mit hoher Wahrscheinlichkeit im Juni 2010) die Einrichtung tatsächlich zu empfehlen und dann auch die genauen Modalitäten (z.B. den Sitz eines Sekretariats, die Regelmäßigkeit der Sitzungen, die Anzahl und Dauer der Untergruppen etc.) festzulegen. Einen entsprechenden Beschluss müsste dann die UN-Vollversammlung im September 2010 fassen. Dies würde der zehnten Vertragsstaatenkonferenz der CBD im Oktober 2010 die Möglichkeit geben, direkt auf den dann neuen Mechanismus zu reagieren und konkrete Zusammenarbeit einzuleiten.


Unterstützung aus der EU und Deutschland

Innerhalb der EU und auch in Deutschland wird die Einrichtung von IPBES zunehmend unterstützt, wie aus verschiedenen Dokumenten und Äußerungen der letzten Wochen hervorgeht:

Auf europäischer Ebene hat der Rat der EU-Umweltminister (Council Conclusion vom 22.12.2009) die Ergebnisse des zweiten IPBES-Treffens in Nairobi ausdrücklich begrüßt, sich darauf geeinigt, sich aktiv für die tatsächliche Einrichtung der Plattform einzusetzen und die Notwendigkeit eines dritten Treffens betont. Die derzeitige spanische Ratspräsidentschaft hat als Ergebnis eines Expertentreffens (26/27.01.2010) in der sog. Message from Madrid die Einrichtung von IPBES als eine von 10 Prioritäten zum Stopp des Biodiversitätsverlustes festgelegt.

Auch Deutschland befürwortet die internationale Schnittstelle: Bei der Eröffnung des Internationalen Jahres der Biodiversität im Januar in Berlin betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Notwendigkeit der Einrichtung einer solchen Plattform. Die Forschung müsse mit einer geballten wissenschaftlichen Meinung auftreten, um die Bedeutung des Problems des Biodiversitätsverlustes zu verdeutlichen.


IPBES - eine echte Chance

Wenn IPBES wirklich als unabhängiger Mechanismus eingerichtet wird, die Assessments mit breiter Beteiligung und Einbeziehung verschiedener Wissensträger durchgeführt werden und die Glaubwürdigkeit der Erkenntnisse und Schlussfolgerungen gewährleistet ist, kann IPBES zu einer Basis werden, auf der Politiker verschiedener Sektoren ihre biodiversitätsrelevanten Entscheidungen aufbauen können.

In Deutschland hat das mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) als Instrument von Diversitas Deutschland e.V. eingerichtete Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland (www.biodiversity.de) die Aufgabe, die deutsche Beteiligung an IPBES als wichtiger nationaler Baustein zu unterstützen. Ziel ist es, Biodiversitätsforscher und Experten möglichst vieler Fachrichtungen am Prozess zu beteiligen, die ihre Expertise zu politikrelevanten gesellschaftlichen Fragen bereitstellen.

Der Autor ist Geoökologe und arbeitet an der Schnittstelle Wissenschaft und Politik des Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung Leipzig und hat am Multistakeholder Meeting in Nairobi als Teil der deutschen Delegation teilgenommen.

1 UNEP/IPBES/2/INF/1: Gap analysis for the purpose of facilitating the discussions on how to improve and strengthen the science-policy interface on biodiversity and ecosystem services


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010, S. 22-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2010