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VERKEHR/879: Berliner Umland - Im BBI-Flugroutenstreit soll geschützte Natur geopfert werden (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 164 - Oktober/November 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Gute Nacht schöne Gegend!
Flugroutenstreit BBI - Geschützte Natur soll geopfert werden

von Sabine Cordey


Als die Deutschen Flugsicherung (DFS) Ende 2010 erstmals offiziell ihre Flugroutenentwürfe präsentierte, wurde schlagartig deutlich, dass erheblich mehr Regionen und Menschen betroffen sein würden, als zuvor angenommen. Wegen des Parallelbahn-Betriebes des Großflughafens werden die Flugzeuge nicht, wie jahrelang angekündigt, im Geradeausflug starten, sondern auf abknickenden Routen über das südliche Berliner Umland fliegen. Innerhalb weniger Wochen gründeten sich 30 verschiedene Bürgerinitiativen und zunächst 15, später 10 weitere Gemeinden wurden in die Fluglärmkommission aufgenommen - jede von ihnen nun von Überflügen unter 2.000 m betroffen. Die Gemeinden begannen von Stund' an fieberhaft, Alternativvorschläge zu erarbeiten, und man wurde sich untereinander immer uneiniger. Unterschiedlichste Anträge wurden der DFS zur Prüfung vorgelegt und die Routen in der Folgezeit immer wieder hin und her geschoben. Fazit: Ein für alle befriedigender Konsens ist nicht zu erreichen, und Einigkeit besteht vor allem in der Kritik des Flughafen-standorts. Drastisch verschlimmert hat sich die Situation der Betroffenen noch einmal durch die vor kurzem bekannt gewordene Absenkung des "kontrollierten Luftraums" und damit der allgemeinen Flughöhen. Laut DFS "brauchen die Lotsen bei zunehmendem Verkehr mehr Luftraum", daher müsse dieser nachträglich nach unten erweitert werden. Besonders stark bedroht von niedrigen Direktüberflügen sind die ökologisch sensiblen Naturlandschaften unmittelbar vor der Hauptstadt, die "letzten Paradiese" für tausende Berliner und Brandenburger.


Das Seddiner Seengebiet im Naturpark Nuthe-Nieplitz

Besonders schlimm treffen könnte es den westlichen Naturpark Nuthe-Nieplitz, auf Grund seiner Nähe zu Berlin und Potsdam eine der meist bereisten, geschützten Landschaften Brandenburgs. Nur 30 Fahrminuten südwestlich des Berliner Zentrums gelegen, bildet das Große Seddiner Seengebiet einen vielfältig strukturierten Lebensraum für über 300 Tier- und Pflanzenarten, darunter 75 gefährdete Arten der Roten Listen Deutschlands und des Landes Brandenburg. Die weitläufige Naturlandschaft mit sanften Hügeln, Gewässern und wechselnden Wald-, Feld- und Wiesenfl ächen bietet perfekte Voraussetzungen für Erholung im Einklang mit der Natur. Ein respektvoll in die Landschaft eingebettetes Netz von Rad-, Reit- und Wanderwegen schützt die Biotope. Der 218 Hektar große grundwassergespeiste Seddiner See entstand vor 20.000 Jahren beim Abschmelzen großer Gletscher, seine kleinen Badestellen aus weißem, märkischen Sand an baumbestandenen Ufern laden ein zum Bad in Sonne und Seewasser. Motorschifffahrt und Bebauung sind verboten, das Schilfbiotop des Seddiner Sees ist Laichschon- und Brutvogel-Schutzgebiet. Ökologisch hochsensibel sind auch die hier beheimateten geschützten Libellen- und Schmetterlingsarten; Vogelarten wie Flussregenpfeifer, Braunkehlchen, Drosselrohrsänger, Rauchschwalbe und Rotmilan; Reptilien wie Zauneidechse und Ringelnatter, um nur einige wenige zu nennen.


Bedrohung von Mensch und Natur

Punktgenau über den See verlegte die DFS vor einigen Monaten die Flugroute West I mit täglich 133 abgehenden Flugzeugen der "Jet-Route". Der Routenvorschlag "Betriebsrichtung 25 Nordbahn, Alternative 29" sieht eine direkte Überfliegung des Naturschutzund Erholungsgebiets in ungefähr 1.500 m Höhe vor. Bei Westwind, der hier an etwa 280 Tagen im Jahr vorherrscht, würden die Maschinen quer über die benachbarte Fresdorfer Heide, einen ausgedehnten Mischwald des Naturparks, anfliegen und in einer Bogenroute gezielt auf den See einschwenken. Bei Ostwind kämen stattdessen die Anflüge über die 30 Kilometer westlich von Schönefeld gelegene Landschaft herein - hier ist von Höhen um 800 Metern und Warteschleifen die Rede. Bei einer Umsetzung dieser Pläne würde die Stille der Natur in Spitzenzeiten alle eineinhalb bis zwei Minuten von ohrenbetäubendem Motorenlärm durchschnitten, Kerosinabgaspartikel würden herabschweben und sich in Seewasser und Boden ablagern. Für Natur, Erholung und geschützte Arten das absolute Aus. Im weiteren Verlauf träfe die Route Beelitz mit seinen Spargelanbaugebieten.

Als allgemeine Entscheidungskriterien für Flugrouten nennt die DFS in erster Linie flugtechnische und sicherheitsrelevante Erfordernisse, dann komme der Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm. In einem "Schema-FVerfahren" wurden Gebiete auf ihre Einwohnerzahlen untersucht. Entlastet würden von der Route über das Seengebiet de facto die direkten Anwohner des etwa zwei Kilometer weiter nördlich verlaufenden westlichen Berliner Rings hinter dem Dreieck Nuthetal. Die direkten Seeanrainer, darunter die historische Ortschaft Wildenbruch, haben weit über 3.000 Einwohner, in Beelitz wohnen 12.000 Menschen. An dem durch die Autobahn verlärmten Gebiet wären hingegen weit weniger direkte Anwohner von den Überflügen betroffen. Daher war die Route entlang der Autobahn bereits geplant und konsensfähig. Kurz aufgeatmet werden konnte am 26. September: Die DFS verlegte die Route zurück an die Autobahn - vorerst. Denn der große "Poker" um die Flugrouten ist noch nicht zu Ende, und außerdem könnte wegen der breiten Flugkorridore der westliche Naturpark noch immer stark belastet werden. Noch weiß man nicht, ab welchen Höhen die startenden Maschinen eine Freigabe zum Verlassen der Routen bekommen. Am Großflughafen in Frankfurt/Main darf dies, zeitlich gestaffelt, ab Höhen von 6.000 bis 10.000 Fuß (etwa 1.800 bis 3.000 Meter) erfolgen.

Wessen Interessen bei der Verlegung der Flugroute in das Naturschutzgebiet eine Rolle gespielt haben, ist unklar. Auch über das Vogelschutzgebiet am Rangsdorfer See wurde eine Flugroute gelegt, Umweltverträglichkeitsprüfungen wurden nicht durchgeführt. Hierzu erklärt die DFS: "Fauna Flora Habitat (FFH)-Gebiete bilden kein Kriterium der DFS für die Abwägungsentscheidung. Sie sind Gegenstand des Planfeststellungsverfahrens."


Die Krux der verfehlten Verfahren

Dies klingt nach purem Hohn: Die der Antragstellung des Planfeststellungsbeschlusses Ende der 90er Jahre zu Grunde gelegte Planung sah eine Überfliegung der Gebiete überhaupt nicht vor. Für die Erarbeitung der seinerzeit erforderlichen Lärmgutachten war eine Untersuchung zu den An- und Abflugrouten zwingend erforderlich. Diese basierten jedoch auf den geplanten "Geradeausstarts", obwohl die Brandenburgische Landesregierung seit vielen Jahren gewusst hatte, dass diese nicht kommen würden. Sie war von der DFS schriftlich über die Planung des Parallelflugbetriebs und der damit einhergehende Divergenz der Routen informiert worden. Bei Akteneinsicht in die Planfeststellung wurde später festgestellt, dass die diesbezüglichen Schreiben von 1998 "verloren gegangen" und in der Akte zur Planfeststellung nicht (mehr) enthalten waren. Sie hätten das gesamte Projekt in Frage stellen können. Fakt ist, dass der letztinstanzliche Planfeststellungsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts von 2006 auf falschen Angaben basiert. Auch die Landesentwicklungspläne hätten deutlicher Korrekturen bedurft, aber munter hantierte man weiter mit den Lärmzonen 1 und 2 der geraden Starts. Sämtliche Überlegungen aller am Prozess beteiligten Menschen und Instanzen kreisten damit mehr als ein Jahrzehnt um eine gezielte Fehlinformation. Der NABU Brandenburg hat zwischenzeitlich für das Vogelschutzgebiet am Rangsdorfer See in einer EU-Beschwerde "wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft der Landesund Bundesbehörden" die Europäische Union angerufen.


Umwelt- und Naturschutz in Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich gemeinsam mit zahlreichen Staaten in der "Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt" verpflichtet, den Verlust der Artenvielfalt aufzuhalten und die Lebensbedingungen der heimischen Arten zu verbessern. Die 2007 vom Bundeskabinett beschlossene "Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt" besagt, dass "die Abnahme der biologischen Vielfalt unter anderem durch den Verlust und die Zerschneidung von Lebensräumen, Verlärmung, Licht- und Schadstoffemissionen bewirkt wird." Folgende Ziele wurden formuliert:

1. "Gestaltung von Bundesverkehrswegeplan und Verkehrswegekonzepten, so dass erhebliche Beeinträchtigungen der biologischen Vielfalt vermieden werden"

2. "Sicherstellung der Einbeziehung der Naturschutzaspekte bei der europäischen Verkehrswegeplanung"

Die Definition der Kategorie "Naturpark" erfolgt durch Bundesrecht. Der Paragraf 27B des Bundesnaturschutzgesetzes besagt, dass sie einheitlich zu pflegende Landschafts- oder Naturschutzgebiete sind, die eine große Arten- und Biotopenvielfalt aufweisen. Eine dauerhaft umweltgerechte Landnutzung, besonders für Erholung und nachhaltigen Tourismus, ist angestrebt. Grundsätzlich sind in Naturparks alle Handlungen, Eingriffe und Vorhaben verboten, die dem Schutzzweck zuwiderlaufen.

Im Sommer 2011 ging den zuständigen Bundes- und Landesministern und weiteren Entscheidungsträgern ein Offener Brief zu, um auf die Folgen der Flugroute über den westlichen Naturpark aufmerksam zu machen. Dieser erreichte auch den Präsidenten des Bundesumweltamtes, Jochen Flasbarth, der den Brief a priori mit dem Hinweis beantwortete, dass die Wahrung der Belange von Natur und Landschaft Aufgabe der zuständigen Landesbehörden sei. Diese jedoch hat ihre "Hausaufgaben" nicht gemacht und zu dem Brief gar nicht erst Stellung genommen. Dennoch bleibt nun die Hoffnung, dass das Umweltbundesamt seinem Namen gerecht wird. Denn von ihm werden die Flugrouten vor der endgültigen Bekanntgabe im Januar 2012, gemeinsam mit dem Bundesamt für Flugsicherung, abschließend geprüft. Wenn der Präsident des Umweltbundesamtes, seines Zeichens ein engagierter Naturschützer, hier keinen Einfluss gelten machen kann, dann gute Nacht, schöne Gegend!

Infos:
mensch-und-natur@e-mail.de
www.zum-seddiner-see.de


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 164 - Oktober/Novembers 2011, S. 1+4
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2011