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VERBRAUCHER/116: Plastikkrise - Maß statt Masse (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 1/2020
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Plastikkrise
Maß statt Masse

von Rolf Buschmann und Manuel Fernandez


Weil viele Plastikprodukte nur kurz in Gebrauch und danach schwer zu recyceln sind, türmen sich weltweit die Plastikberge, ein Riesenproblem für den Umwelt- und Naturschutz. Um die Ressourcenverschwendung zu beenden, sind die Politik und wir alle gefordert.


Hören wir von Plastik oder - unverfänglicher - von Kunststoffen, gehen uns verschiedene Bilder durch den Kopf: Verpackungen, Spielzeug, Einweggeschirr - und natürlich viel Müll. Plastikmaterialien sind ungeheuer vielseitig und haben fraglos entscheidend zu dem wirtschaftlichen Wohlstand der vergangenen Jahrzehnte beigetragen. Doch Plastik ist auch zum Sinnbild für die Schattenseiten eines völlig ungebremsten Wachstums geworden, das heute unsere Lebensgrundlagen bedroht.

Kunststoffe kommen heute fast überall zur Anwendung, von der Medizin über die Elektronik oder den Verkehr bis zur Kleidung. Wovon genau sprechen wir hier überhaupt? Plastik ist ein umgangssprachlicher Begriff, der eine Gruppe synthetischer Materialien bezeichnet. Diese entstehen aus einer Abfolge von chemischen Reaktionen auf Basis der organischen Rohstoffe Erdöl und Erdgas. Kunststoffe sind leicht und robust zugleich. Und sie werden massenhaft produziert, um den weltweit stetig wachsenden Konsumhunger zu stillen.

Der Weg ins Plastikzeitalter
Das war nicht immer so. Anfangs besetzte Plastik nur eine kleine Marktnische und wurde sorgsam eingesetzt. Der Boom begann erst etwa 80 Jahre nach seiner Erfindung, in den 1950er Jahren. Damals entdeckte man, dass Chlor, ein Nebenprodukt bei der Herstellung von Natronlauge, dazu genutzt werden kann, PVC herzustellen. Während des zweiten Weltkriegs stieg die Nachfrage nach PVC erheblich, unter anderem um die Kabel auf Kriegsschiffen zu isolieren.

Bald erkannte die Industrie, dass sich Lieferketten vereinfachen und viele Kosten sparen ließen, wenn Verpackungen und Flaschen nach ihrer Nutzung einfach weggeworfen werden konnten. Im Jahr 1978 ersetzte Coca-Cola seine Glas- durch Einwegflaschen aus Kunststoff. Damit leitete der Konzern das Plastikzeitalter ein, die Wegwerfgesellschaft war geboren.

Mittlerweile werden unglaubliche Mengen an Plastik hergestellt. Im Jahr 2015 waren es sagenhafte 407 Millionen Tonnen. Über ein Drittel davon wird für Verpackungen verwendet. Allein die in Deutschland jedes Jahr produzierten Einwegflaschen würden 13-mal bis zum Mond reichen. An zweiter Stelle kommt die Produktion für den Bausektor, gefolgt von Textilien und von Gebrauchswaren. Für unsere Elektronik fallen immerhin noch 18 Millionen Tonnen Plastik an.

Wohin mit dem Müll?
Das größte Problem dabei: die kurze Nutzungsdauer. Etwa 40 Prozent aller Plastikprodukte sind höchstens einen Monat lang in Gebrauch und werden dann weggeworfen. Das Müllproblem und seine Folgen für die Umwelt sind weitgehend bekannt. Deutschland gehört zu den fünf weltweit größten Exporteuren von Plastikmüll, vieles davon geht nach Malaysia. Ein Teil wird zu Billigprodukten recycelt, der Rest entweder verbrannt oder - soweit irgendwie verwertbar - von den Allerärmsten der Armen gesammelt und verkauft. Auf den Müllkippen sind die Sammler*innen verschiedensten Krankheiten ausgesetzt, die hier von Fliegen, Kakerlaken oder Ratten übertragen werden.

Zudem werden den Kunststoffen häufig problematische Stoffe hinzugefügt. Dazu gehören Weichmacher für die gewünschte Form und Härte sowie fluorierte Verbindungen als Imprägnier- oder Flammschutzmittel. Viele dieser Zusatzstoffe schaden der Gesundheit. Sie dünsten oder schwitzen aus und gelangen so über Hautkontakt, die Atemwege oder auf Umwegen auch über die Nahrungsaufnahme in unsere Körper.

Nur richtig entsorgen?
Oft wird behauptet, dass akkurate Mülltrennung und ein gutes Recycling die Plastikkrise lösen könnten und höchstens die Entsorgung des Plastiks problematisch sei. Aus diesem Grund zielen viele Gesetze und Abkommen nur darauf, den Plastikmüll richtig zu entsorgen, zum Beispiel das »internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe« aus den 1970er Jahren.

Bis heute landet der Großteil des Plastikmülls in der Umwelt oder in einem Verbrennungsofen. Kunststoffe zu verbrennen ist Energieverschwendung und kostet viel Geld. Auch entstehen dabei teils hochgiftige Abgase, die nicht alle ausgefiltert werden können. So gelangen krebserregende Dioxine und Furane, Quecksilber, Cadmium oder Blei in die Umwelt, zusätzlich zu den klimaschädlichen CO2-Emissionen. Die hochgiftige Schlacke der Verbrennungsrückstände muss in spezielle Behälter verpackt und (wie Atommüll) in unterirdischen Stollen deponiert werden.

Wenig recycelt
Nur neun Prozent des seit 1950 weggeworfenen Kunststoffs wurden recycelt. Die Gründe dafür sind technischer wie auch wirtschaftlicher Art. Vor allem die Einwegprodukte (wie viele Verpackungen) sind nicht recycelbar, weil sie aus mehrschichtigen Materialien bestehen, die sich kaum voneinander trennen lassen. Die fehlende Sortenreinheit ist der Grund, warum so viel Plastikabfall nur noch zu minderwertigen Billigartikeln wird.

Zum Teil gelangen dabei auch schädliche Inhaltsstoffe in den Recyclingkreislauf und in die hier entstehenden Produkte. So landen etwa giftige Flammschutzmittel aus Computergehäusen in Spielzeugautos, Zauberwürfeln und anderer Billigware.

Offiziellen Daten zufolge lag die Recyclingquote in Deutschland 2016 bei 45 Prozent. Knapp die Hälfte unseres Plastikabfalls wird also an Recyclingunternehmen geliefert. Mitgezählt wird hier jedoch auch aller Abfall, der exportiert wird. In Ländern wie Malaysia hat unser Wohlstandsmüll mitunter erschreckende Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen. Weil die nötige Infrastruktur fehlt, um unsere Müllberge zu bewältigen, wird der Plastikmüll häufig unkontrolliert verbrannt oder landet auf offenen Deponien und dann in der Natur.

Letztlich werden nur 15,6 Prozent der Kunststoffe in Deutschland tatsächlich zu Rezyklat, also wiederverwendbarem Kunststoffgranulat. Und lediglich die Hälfte davon dient dazu, ähnlich hochwertige Produkte zu gewinnen wie solche aus neuen Kunststoffen.

Klare Prioritäten
Hersteller nutzen lieber neuwertigen Kunststoff für ihre Produkte als minderwertiges Rezyklat. Hinzu kommt, dass die Hersteller den Aufwand scheuen, altes Plastik zu sortieren und aufzuarbeiten. Die Unwirtschaftlichkeit und die technischen Hindernisse zeigen, dass Recycling alleine nicht die Lösung der Plastikkrise sein kann.

Vielmehr müssen wir weniger Plastik produzieren und verbrauchen. Sowohl die Hersteller- als auch die Verbraucherseite kann den Einsatz von Plastik senken. Wie immer gilt das Prinzip von Angebot und Nachfrage: Lehnen wir im Alltag unnötige Verpackungen und den gedankenlosen Verbrauch von Plastik ab, werden sich die Hersteller bemühen, dem nachzukommen, um weiter ihre Produkte zu verkaufen.

Nun ist unser Wirtschaftssystem nach wie vor auf ein grenzenloses Wachstum ausgerichtet. In der begrenzten Biosphäre der Erde ist das nicht möglich und auch nicht nötig. Was wir aber brauchen (nicht nur beim Plastik), ist ein ökologisch und sozial verträgliches Stoffstrommanagement mit klaren Prioritäten: Vermeiden, Wiederverwenden, Recyceln, Verwerten, Beseitigen - und zwar in dieser Reihenfolge!

Umweltverträgliches Maß
Dem BUND geht es nicht darum, Kunststoffe per se zu verteufeln und für einen völligen Verzicht darauf zu werben. Wichtig ist uns vielmehr, die Massenproduktion von Plastik und den damit verbundenen Rohstoff- und Energieverbrauch auf ein umweltverträgliches Maß zu bringen. Die Schere zwischen dem, was wir verbrauchen und verschwenden, und dem, was unser Planet an Ressourcen bereitstellen kann, klafft immer weiter auseinander. Wenn wir so weitermachen wie bisher, bräuchte es schon in zehn Jahren zwei Planeten Erde. Auch die Vereinten Nationen fordern deshalb im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsziele, die Ressourcen effizient und umweltverträglich zu nutzen.

Als Hilfestellung für unseren Einkauf können wir zunächst immer die Sinnfrage stellen: Ist das jetzt nötig? Brauche ich das? Konsequent auf alles Überflüssige zu verzichten, kostet anfangs sicher manchmal Überwindung. Immerhin gilt es da lange Zeit selbstverständliche Verhaltensmuster zu ändern. Wer freundlich, aber bestimmt unnötige Verpackungen zurückweist, stößt zudem nicht überall auf Gegenliebe. Halten Sie sich vor Augen: Sie sind nicht alleine mit diesem Problem. Und der Druck, den wir als Verbraucher*innen erzeugen, zeigt zuweilen schneller und effektiver Wirkung als langwierige politische Prozesse.

Neue Stoffpolitik
Doch wollen wir die Politik ganz und gar nicht aus der Verantwortung entlassen. Der BUND setzt sich für eine international abgestimmte nachhaltige Stoffpolitik ein. Sie muss den gesamten Kreislauf von chemischen Stoffen und den daraus hergestellten Produkten im Blick haben - vom Abbau der Rohstoffe bis zur Wiederverwertung und Entsorgung. Die Menschheit muss Energie und Ressourcen effizienter nutzen. Sie muss geschlossene Stoffkreisläufe anstreben und den Verbrauch von Chemikalien und Produkten senken, durch neue Konsum- und Lebensstile.

Notwendig ist auch, dass reiche Industriestaaten und ihre Unternehmen die Länder des strukturschwachen Südens und Ostens stärker darin unterstützen, diesen Wandel zu begleiten. Denn die Armut und der Mangel an Möglichkeiten für einen guten Umweltschutz sind eng miteinander verbunden.

Die Welt wird die Plastikkrise und die ihr zugrunde liegende Verschwendung von Ressourcen nur bewältigen, wenn beide Seiten rasch handeln: zum einen wir selbst als verantwortungsvolle Konsument*innen. Und außerdem Politik und Wirtschaft. Die Produktion und der Verbrauch von Kunststoffen müssen konsequent verringert werden. Und die Hersteller müssen nach dem Verursacherprinzip für die Kosten aufkommen, die dadurch entstehen, dass ihre Produkte schädlich sind - für Natur und Umwelt sowie für Klima und Gesundheit.

Rolf Buschmann ist der BUND-Referent für technischen Umweltschutz.
Manuel Fernandez ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Chemikalienpolitik.


Mehr Informationen
www.bund.net/plastik

Im neuen Positionspapier »Herausforderungen für eine nachhaltige Stoffpolitik« richtet der BUND konkrete Forderungen an die Politik.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Der Kunststoff-Planet
Fast die Hälfte (44 %) alles jemals hergestellten Kunststoffs wurde seit 2000 hergestellt
Die Plastikproduktion steigt seit 20 Jahren stark an.


Wofür brauchen wir Plastik?
(Nutzung nach Industriezweigen. Gesamtmenge 407 Millionen Tonnen)

Industriemaschinen: 3 (Mio. t)
Elektronik: 18
Transport & Verkehr: 27
Gebrauchswaren: 42
Textilien: 47
Bausektor: 65
Verpackungen: 146 (meist nur einmal genutzt)
Sonstiges: 59

Über ein Drittel des hergestellten Plastiks entfällt auf kurzlebige Verpackungen.

- Ohne Müllexport würde Deutschland in seiner Plastikflut ersticken.

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Quelle:
BUND MAGAZIN 1/2020, Seite 12 - 15
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2020

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