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WALD/163: Wälder im Klimawandel - Was zu tun und was zu lassen ist (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 1/2019

Wälder im Klimawandel
Was zu tun und was zu lassen ist

von Prof. Dr. Pierre L. Ibisch und Jeanette S. Blumröder


Wälder sind Selbstversorger. Sie erzeugen ihr eigenes Mikroklima und bauen sich einen Boden auf, der ihnen im Laufe der Zeit zum immer wertvoller werdenden Fundament ihrer nachhaltigen Existenz wird. Wälder speichern Kohlenstoff und beeinflussen auf globaler Ebene die Konzentration der Treibhausgase. Auf lokaler und regionaler Ebene tragen Wälder erheblich zur Kühlung der Landschaft sowie zur Vermeidung von starken Temperatur- und Luftfeuchteschwankungen bei und wirken als Wasserspeicher.


Die Größe von Waldökosystemen und die langen Altersspannen der Bäume bedingen, dass es sich um vergleichsweise träge Systeme mit verzögerten Reaktionen auf Umweltwandel und Störungen handelt. Dies ist ein wichtiger Faktor bei der Klimawandelanpassung und gibt uns im Falle gesunder, funktionstüchtiger Wälder etwas Zeit. Die kurzfristige Stabilität darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Wälder mittel- und langfristig ganz erheblich unter Klimaänderungen leiden können und werden. Ereignisse wie Sturmwurf und Waldbrände zeigen, dass auch sie sehr kurzfristig von Extremereignissen betroffen sein können.

Nach der außergewöhnlichen Dürre und Hitzeperiode des Sommers 2018 stehen die Waldökosysteme und auch die von ihrem Funktionieren abhängige Forstwirtschaft vor großen Herausforderungen. Allein die große Zahl von Bränden in Brandenburg hat gezeigt, dass vor allem die Nadelholzmonokulturen ein riskantes Bewirtschaftungsmodell darstellen. Die stark geschwächten Wälder dürften zukünftig auch eine gesteigerte Verwundbarkeit gegenüber weiteren Extremereignissen wie etwa Stürmen sowie Schädlingen und Krankheiten aufweisen. Das Risiko von ökologischen und auch betriebs- bzw. volkswirtschaftlichen Schäden kann, je nach Witterungsverlauf, in den kommenden Jahren noch erheblich steigen. Die entsprechenden Zusammenhänge werden bereits seit über zehn Jahren intensiv diskutiert. Es muss nunmehr endlich entschiedener auf Grundlage des verfügbaren Wissens gehandelt werden:

1. Der Umbau der flächigen Nadelholzmonokulturen muss für alle Besitzarten, zumindest auf einem angemessenen Teil von Waldbeständen, verpflichtend werden. Seit Jahrzehnten wird in den von Monokulturen geprägten Forstregionen Deutschlands die Notwendigkeit des Waldumbaus gefordert. Seitdem ist in zahlreichen Forstrevieren ein beachtlicher Fortschritt erzielt und bewiesen worden, dass eine Umwandlung der naturfernen Forsten in naturnähere Wälder möglich ist. In anderen wiederum sind keinerlei Schritte eingeleitet bzw. die Gelegenheit, vielfältigere Strukturen zu schaffen, abgelehnt worden. Die gesetzliche Verankerung einer nach angemessenen aktuellen Kriterien definierten Guten fachlichen Praxis für die Forstwirtschaft ist unabdinglich.

2. Es ist über neue Modelle des räumlichen Designs von Wirtschaftswäldern nachzudenken. Die Wälder sind für eine große Zahl von verschiedenen Ökosystemleistungen relevant. Nicht alle können gleichzeitig auf derselben Fläche optimal erbracht werden. Entsprechend ist über eine Nutzungsdifferenzierung und Zonierung nachzudenken. Intensiver bewirtschaftete (ggf. auch plantagenartige) Bestände sollten in eine naturnahe und ökologisch funktionale Waldökosystemlandschaft eingebettet werden. Diese muss als möglichst zusammenhängendes und unzerschnittenes, aus Korridoren und Knotenpunkten bestehendes Verbundsystem angelegt werden. Kleine, isolierte Waldbestände in der Landschaft sind anzubinden und zu arrondieren. Die Gestaltung von Waldrändern muss auf die Verringerung von Sturmangriffsflächen und von Randeffekten abzielen.

3. Zusätzliche Schwächungen von Waldökosystemen durch Infrastruktur sind dringend zu vermeiden - insbesondere, wenn diese zu Zerschneidung und Öffnung von geschlossenen Waldbeständen führt.

4. Zukünftig ist in Forschung und Praxis verstärkt darauf zu fokussieren, wie waldbauliche Maßnahmen beispielsweise durch Förderung der mikroklimatischen Regulation, der Kühlungs- und Pufferkapazität die Selbstregulationskräfte des Waldes stärken können. Die Notwendigkeit der Anpassung der Forstwirtschaft an den Klimawandel wird seit anderthalb Jahrzehnten intensiv diskutiert. Viele frühzeitige Forderungen und Empfehlungen von Entscheidungsträgern wurden schlicht ignoriert. Die forstliche Debatte hat sich mittlerweile zu sehr auf das Anpflanzen von alternativen Baumarten verengt. Dabei wurden blinde Flecken in Kauf genommen und ökosystembasierte Forschungs- und Handlungsansätze nicht verfolgt.

5. Alle forstlichen Praktiken müssen auf den Prüfstand gestellt und bezüglich der Beeinträchtigung von Waldökosystemen und der Anpassung an den Klimawandel hinterfragt werden. Hierzu gehören u.a. das Anlegen von dichten Rückegassennetzen in Laubmischwäldern, die starke Auflichtung von Beständen oder Befahrung und Einschlag in Phasen ungünstiger Witterung (z.B. im Sommer während Hitze- und Dürreperioden oder nach lang anhaltendem Regen, wenn Böden stark wassergesättigt sind).

6. Die verbliebenen alten Laubmischwaldbestände sind angemessen zu schützen. Ein effektiver Schutz muss auch die Einrichtung angemessen großer Pufferzonen umfassen, in denen der Wald naturnah bewirtschaftet wird, sowie die Einbindung in ein Verbundsystem naturnaher Wälder. In Regionen, in denen alte Laubmischwälder nur noch vereinzelt und isoliert vorkommen, muss ein Einschlagmoratorium gelten.

7. Den Wäldern ist mehr Raum für natürliche Waldentwicklung zu geben. Die Fünf-Prozent-Zielvorgabe der nationalen Biodiversitätsstrategie bzgl. der natürlichen Waldentwicklung muss sich auf Wälder beziehen, die angemessen groß und dauerhaft geschützt sind. Statt vorrangig interventionistische Managementansätze zu verfolgen, sollte zudem auf weiteren größeren Flächen verstärkt auf Selbstregulation der Waldökosysteme gesetzt werden. Dies muss nicht langfristigen Nutzungsverzicht bedeuten.

8. Chancen für die Umgestaltung von Forsten sind gerade auch nach katastrophalen Ereignissen zu nutzen. Nach Sturmwurf und Waldbränden sollten mindestens 50 Prozent des geschädigten Holzes als Investition in die Bodenbildung und die Selbstheilungskräfte des Waldes auf den Flächen verbleiben. Eine Totalentnahme der oberirdischen Holzbiomasse ist grundsätzlich zu verbieten. Es ist vorrangig auf die natürliche Sukzession zu setzen, die zu vielfältigeren Strukturen führt und auch ökonomisch vorteilhaft ist.

9. Ein modernes Wildtiermanagement muss überkommene Jagdpraktiken ersetzen, die nachweislich für den Waldumbau nicht förderlich sind. Die Bejagung muss bezüglich der angewendeten Strategien ergebnisorientiert sein. Die Wildbestandsregulierung muss sich an natürlichen Populationsschwankungen orientieren und nicht auf stabile Populationen abzielen.

10. Für den Wald ist dem Konzept eines ganzheitlichen Ökosystemmanagements zu folgen statt einer einseitig betriebswirtschaftlich orientierten Forstwirtschaft, die sich den aus der Ökologie ergebenden Anforderungen widersetzt. Vielmehr sind Waldbewirtschaftung, Wildtiermanagement, die Förderung des Landschaftswasserhaushalts und Naturschutz zusammenzudenken. Zu einem derartigen Ökosystemmanagement gehören zudem die Beachtung aller vom Wald erbrachten Ökosystemleistungen, die Berücksichtigung der Tatsache, dass der Wald selbst lebendes und totes Holz für sein Funktionieren benötigt, die angemessene Beteiligung der Bevölkerung sowie das Anerkennen von Obergrenzen für die Nutzholzentnahme. Ausmaß und Praktiken der Waldbewirtschaftung müssen sich vorrangig an den - sich dynamisch verändernden - ökologischen Standortbedingungen und den hieraus erwachsenden Anforderungen orientieren und keinesfalls an Nachfrage, ökonomischer Effizienz bzw. verfügbarer Technik. Ein solches Waldökosystemmanagement schließt ein angemessenes Risikomanagement ein, um Produktions- und Ernteausfällen bzw. Waldverlusten durch Feuer, Sturm und Kalamitäten vorzubeugen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Der Herbststurm Xavier führte vielerorts zu Sturmwurf, wie im Eberswalder Stadtwald. Bei Belassen von geworfenen Stämmen können sich aus einem Schadereignis sogar positive Wirkungen für Strukturvielfalt und Waldentwicklung ergeben. Leider wird Sturmholz oft quantitativ aufgearbeitet, woraus sich kahlschlagartige Bedingungen ergeben.

- Bei einem Vollfeuer im Treuenbrietzener Forst (Potsdam-Mittelmark) verbrannten auf ausgedehnten Flächen Unterwuchs, Humusauflage und teilweise sogar die Wurzelstöcke. Das verbleibende angebrannte Totholz bzw. die Holzkohle sind für Humusneubildung, Beschattung, Erosionsminderung sowie Wasserrückhaltung und damit für die zukünftige Walderholung von großer Bedeutung.

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Quelle:
naturmagazin, 33. Jahrgang - Nr. 1, Februar bis April 2019, S. 10-12
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
NaturSchutzFonds Brandenburg, Stiftung öffentlichen Rechts
Natur+Text GmbH
Redaktion:
Natur+Text GmbH
Friedensallee 21, 15834 Rangsdorf
Tel.: 033708/20431, Fax: 033708/20433
E-Mail: verlag@naturundtext.de
Internet: www.naturmagazin.info
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2019

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