Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2019
Die Geister, die wir riefen
Chemikalien belasten zunehmend Mensch und Umwelt - Zeit zu handeln!
Wald in der Klimakrise
Der fahrlässige Umgang der Politik mit dem Wald
von László Maráz
Selten war das Schicksal unserer heimischen Wälder so prominent in den Medien wie in diesem Sommer. Nach zwei Hitze- und Dürre-Sommern gerieten viele Bäume an ihre Grenze. Geschwächte Fichten wurden von Borkenkäfern befallen, Buchen leiden unter Schleimfluss (eine Pilzkrankheit). Millionen von Fichten, aber auch Birken, Buchen und sogar viele der recht trockenresistenten Kiefern sind verdorrt. Kein Wunder, dass landauf, landab WaldeigentümerInnen, Forstleute und PolitikerInnen sich darin überboten, in der Öffentlichkeit die Bedeutung des Waldes für das Allgemeinwohl zu loben und vor allem viel Geld für die Beseitigung der Schäden und die Anpflanzung neuer Waldbestände zu fordern.
Forderungen nach mehr Klimaschutz oder gar Demonstrationen vor
den Regierungsgebäuden blieben dagegen aus, obwohl WaldeigentümerInnen
schon heute und viel stärker von den Klimaschäden betroffen sind als
die vielen SchülerInnen, die seit über einem Jahr und inzwischen
weltweit freitags für echten Klimaschutz demonstrieren. Es sieht ganz
danach aus, als könnte die Regierung auch dieses Problem mit einigen
Hundert Millionen Euro Steuergeldern in die Zukunft verschieben.
Mehr Geld, mehr Holz, weniger Klimaschutz
Dass nicht der Wald, sondern das Holz und die eigenen Geschäfte im
Vordergrund stehen, wurde dann bei einem Fachgespräch im
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sichtbar:
WaldeigentümerInnen wollen Geld, um den Wald von abgestorbenen Bäumen
zu säubern, obwohl Borkenkäfer keine toten Bäume befallen und niemand
das Holz kaufen will. Das Transportgewerbe fordert die Zulassung
höherer Frachtgewichte, um Holz schneller (wohin?) fahren zu können.
Die Baumschulen bieten eine Milliarde junge Bäume zum Kauf an, obwohl
auch in geschädigten Wäldern Milliarden von Jungpflanzen kostenfrei
wachsen würden, wenn man die Flächen nicht räumen und befahren würde
oder weniger Wild weniger Pflanzen wegfressen würde. Aus den Reihen
der Forst- und Holzwirtschaft wird gefordert, den Holzverbrauch zu
steigern, um das Klima zu schützen (in Wirklichkeit will man den
Holzabsatz und Einnahmen daraus steigern).
Die Bioenergiebranche sieht Holzverbrennung sowieso als entscheidenden Beitrag zur Verringerung von Treibhausgasemissionen, auch wenn längst bekannt ist, dass auch dieser Beitrag gering und umstritten ist.(1) Vom Deutschen Forstwirtschaftsrat ist die Verlautbarung zu vernehmen, die Gesellschaft müsse viel Geld für die Wälder ausgeben, da Wälder viel Sauerstoff produzieren würden. In Krisenzeiten nimmt man es mit der Wahrheit nicht so genau: Wälder verbrauchen den erzeugten Sauerstoff fast vollständig selbst, wenn Laub und Holz verrotten (oder verheizt werden). Die Sorge solcher LobbyistInnen um die Sauerstoffversorgung erfasst übrigens nie den gigantischen Sauerstoffverbrauch von Kohlekraftwerken oder Fahrzeugmotoren.
Der Borkenkäfer macht nur seinen Job
Die Warnungen von ExpertInnen, wie dem renommierten
Forstwissenschaftler Prof. Dr. Pierre Ibisch,(2) wurden indes nicht
berücksichtigt, da sie den gewohnten Gang der Dinge nur stören würden.
Naturverjüngung statt teurer Pflanzungen? Den Wald ein paar Jahre in
Ruhe lassen? Schalenwild effektiver bejagen? Oder gar die Fehler in
der Forstwirtschaft der vergangenen Jahrzehnte selbstkritisch
analysieren? Fehlanzeige! Stattdessen wurden die Auswirkungen der
Klimakrise dafür genutzt, von den hausgemachten und altbekannten
Problemen abzulenken. Denn nicht die Borkenkäfer, sondern der
Massenanbau standortfremder Nadelbaumplantagen hatten schon lange zu
massiven Ausfällen der Fichte geführt, die von Natur aus nur auf ein
bis zwei Prozent der Waldfläche wachsen würde - heute sind es 28
Prozent. Jetzt, wo massenweise Fichtenholz auf den Markt drängt, sind
die Preise so niedrig, dass es sich nur in wenigen Fällen lohnt, das
viele Holz aus dem Wald zu räumen. Viele der etwas älteren Laubwälder
wurden stark aufgelichtet, indem man zu viele der alten Bäume gefällt
hat. Die schweren Maschinen haben in den vergangenen Jahrzehnten einen
großen Teil der Waldböden verdichtet, die deshalb weniger Wasser
aufnehmen und speichern. Der Waldumbau weg von artenarmen
Nadelbaumplantagen hin zu gemischten und Laubbaum-reicheren Wäldern
wurde viel zu langsam durchgeführt. Auch wegen der verfehlten
Jagdpolitik sind heute immer noch zu viele dieser Holzäcker nicht in
der Lage, auf die Folgen der Klimakrise zu reagieren. Die intensive,
oft gar industrielle Forstwirtschaft trägt selbst eine große
Mitverantwortung für die Schäden.
Gleichwohl sind auch viele Forstleute und WaldeigentümerInnen, die sich darum bemüht haben, eine naturnähere Waldnutzung zu verfolgen, an den Interessen der Jagdlobby und an Vorgaben der Länder (mehr Gewinne durch Holzverkauf machen) schier verzweifelt. Bei aller berechtigten Kritik muss man hier doch differenzieren und die Kritik an die Verantwortlichen richten, statt pauschal alle Forstleute und WaldeigentümerInnen zu kritisieren.
Patient Wald bracht Ruhe!
Mit einem offenen Brief(3) wandten sich mehr als 70 WaldexpertInnen an
die zuständige Bundesministerin Julia Klöckner, um zu verhindern, dass
im Forst nun das große Aufräumen und das wilde Anpflanzen aller
möglichen Bäume gestartet wird. An erster Stelle stand die wichtigste
Forderung: ernsthaften Klimaschutz betreiben, denn kein noch so
ökologisch gestalteter Wald kann die Folgen der befürchteten
Erdüberhitzung überleben. Die angeschlagenen Wälder brauchen Schonung.
Weniger Holzeinschlag würde die Wälder schattiger erhalten, das
Liegenlassen von Totholz kann zur Kühlung beitragen, weil Moderholz
viel Wasser speichert. Die Einträge von Pestiziden und Stickstoff, die
den Wald seit Jahrzehnten stark belasten, müssten ebenso verringert
werden wie die Wildbestände, die das natürliche Aufwachsen junger
Laubbäume verhindern. Anstatt teurer Pflanzungen könnte diese
natürliche Regeneration dabei helfen, die abgestorbenen Waldstücke zu
erneuern. Schon gar nicht dürfe man jetzt Baumarten anpflanzen, die
aus fernen Regionen importiert werden, weil sie besonders schnell
wachsen oder weil man vermutet, dass sie mit wärmerem Klima und
weniger Wasser auskommen.
Waldgipfel: ratlos in die Zukunft
Doch beim Waldgipfel stellte sich leider heraus, dass das
Bundeslandwirtschaftsministerium nicht daran interessiert ist, das
Möglichste zu tun, um funktionsfähigen Wäldern eine Chance zu geben.
Die wichtigsten Maßnahmen außerhalb des Waldes (Klimaschutz,
Pestizide, Stickstoff) werden von der Regierung nicht angepackt - im
Gegenteil: Wir erleben derzeit das komplette Versagen einer
Bundesregierung in den wichtigsten Zukunftsfragen. Weder wurden die
Empfehlungen anderer Bundesfachbehörden wie des Bundesamts für
Naturschutz(4) berücksichtigt, noch hatte man unabhängige Experten als
ReferentInnen eingeladen. Offenkundig stand das Ergebnis, nämlich die
Hausmeinung des BMEL, schon vorher fest.(5) Viel Geld soll von
Problemen ablenken, um Lobbygruppen und vermutetes
WählerInnenpotenzial zufriedenzustellen.
Deutlich wurde die Haltung auch während der Veranstaltung: Als die Waldreferentin von Robin Wood während ihrer Rede auf eine kleine Aktion im Saal hinwies, die im Hintergrund lediglich Aufmerksamkeits- und Informationscharakter hatte und weder aggressiver noch störender Natur war, wurde ihr vom Moderator in rüder Weise das Wort entzogen. Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Hauk, der seinen Wortbeitrag dazu missbrauchte, gegen die Ziele der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt zu hetzen, erhielt dagegen Beifall, obwohl diese Strategie und das Ziel, fünf Prozent der Wälder zu schützen, nicht Gegenstand des Waldgipfels war.
Dabei ist seit Langem klar, was getan werden müsste. Die wichtigste Forderung zur Waldnutzung ist, aus den Forstflächen wieder funktionierende, möglichst naturnahe Waldökosysteme zu machen. Das kann vielfach durch Unterlassen forstlicher Maßnahmen erfolgen, manchmal aber auch durch Pflanzungen unterstützt werden. Die Pflege und Förderung von (holz)leistungsstarken Baumarten hingegen ist der falsche Weg. Wenn gesunde, strukturreiche gemischte Wälder geschont werden und sich entwickeln dürfen, können sie auch wieder Holz produzieren. Genug Holz wird es nur dann sein, wenn wir unseren Verbrauch auf die Mengen beschränken, die wir Wäldern entnehmen können, ohne dass diese geschädigt werden.
Der Autor ist Koordinator der Dialogplattform Wald des Forum
Umwelt & Entwicklung.
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für
Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der
deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger
Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring,
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR)
e.V.
Anmerkungen
(1) https://plattform-wald-klima.de/holz-oder-kohle/.
(2) http://waldproblematik.de/wp-content/uploads/2019/11/ausf%C3%BChrl-Stellungnahme-Prof-Ibisch-Bundestag-Waldanh%C3%B6rung-11-11-2019.pdf.
(3) https://www.forumue.de/offener-brief-an-bundesministerin-kloeckner-waldexperten-warnen-vor-aktionismus-in-der-waldkrise-und-fordern-ende-von-holzfabriken/.
(4) https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/landwirtschaft/Dokumente/BfN-Positionspapier_Waelder_im_Klimawandel_bf.pdf.
(5) https://www.waldgipfel.de/fileadmin/waldgipfel//dateien/presse/bmel_eckpunktepapier_waldgipfel_sept2019_1.pdf.
*
Quelle:
Rundbrief 4/2019, Seite 34 - 35
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2020
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