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FRAGEN/021: Unzumutbare Belastungen durch Bottroper Kokerei - Bürger wehren sich (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 9 vom 28. Februar 2020
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

300 Klagen wegen Körperverletzung
In Bottrop wehren sich Bürger gegen unzumutbare Belastungen durch die Kokerei

Von Werner Sarbok

Tina Krüger, Michael Gerber und andere Bürger aus Bottrop klagen gegen die Kokerei von ArcelorMittal, dass die Verseuchung der Umwelt und die Gesundheitsgefährdung der Anwohner in Zukunft unterlassen wird.


UZ: Wie erlebst du die Kokerei, wie machen sich die Belastungen bemerkbar?

Tina Krüger: Grauenvoll. Wir erleben hier seit 2016 einen Dreck, das ist kaum mehr auszuhalten. Dass wir neben einer Kokerei wohnen, das wussten wir, als wir vor neun Jahren hierhergezogen sind. Dass eine Kokerei auch Staub macht, wussten wir auch.

Daher beschwere ich mich auch nicht über die ersten Jahre. Da habe ich dann ein- oder zweimal in der Woche die Fensterbänke abgeputzt. Das war normaler Staub.

Die Wende kam 2016. Ich habe mich immer nur gefragt: Was ist das, wo kommt denn das her? Das war kein Staub mehr, das waren Brocken, die hier runtergekommen sind, von der Größe einer Viertelerbse, alles lag voll. Die schwarzen Brocken zerbröselten, man kriegte es von den Zäunen und Fensterbänken nicht mehr ab. Man sieht es auch heute noch an der Hausfassade.

Am Anfang wussten wir ja überhaupt gar nicht, wo das herkam. Keiner von uns Anwohnern hatte das vorher in dieser Form erlebt. Bis ich dann stutzig wurde, als ich erfahren habe, dass in der Nachbarschaft im Jahr 2017 eine Familie eine Entschädigung von ArcelorMittal bekommen hat. Was die mir zeigten, war der gleiche Dreck, den wir hier hatten. Also habe ich da auch mal angerufen, Vertreter der Kokerei haben sich das angeguckt, und dann bekamen hier 14 Parteien aus der Nachbarschaft eine Entschädigung von jeweils 250 Euro.

UZ: Wie ging's dann weiter?

Tina Krüger: Damit, habe ich gedacht, hat sich das Thema erledigt. Aber es wurde immer schlimmer. Autodächer wurden innerhalb von Minuten schwarz mit Brocken, die ganze Terrasse ebenfalls. Herr Pufpaff, Vorsitzender der Geschäftsführung der Kokerei Bottrop, spricht dann immer von einem "Ereignis", das stattgefunden hat. Nach so einem "Ereignis" steigen die Anwohner morgens früh ins Auto ein und sehen erst mal nichts. Machen sie den Scheibenwischer an, zerkratzen die sich das ganze Glas.

Michael Gerber: Was noch erschwerend hinzukommt, ist, dass dieser Kokskohlestaub einen ölhaltigen Schmierfilm hinterlässt. Das war früher nicht der Fall. Die Autos kann man auch nicht mehr mit einer normalen Autowäsche reinigen. Da muss man eine Spezialwäsche machen, die mehrere hundert Euro kostet.

UZ: Wie viele Klagen gibt es jetzt gegen diese Belastung von der Kokerei?

Michael Gerber: Bei der Staatsanwaltschaft in Essen sind ungefähr 300 Klagen eingegangen, und zwar 300 Klagen wegen Körperverletzung, also Gesundheitsbeeinträchtigungen, und von der DKP haben wir diese Klage noch wegen Umweltbelastung ergänzt. Das liegt bei der Oberstaatsanwaltschaft in Essen. Wir sind gespannt, wie die Staatsanwaltschaft damit umgeht.

UZ: Woran liegt denn der Anstieg der Belastungen durch die Kokerei?

Tina Krüger: ArcelorMittal unternimmt nichts, die Kokerei instand zu halten. Uns liegen Gutachten vor, dass Türen, Öfen und Kamine der Kokerei undicht sind.

UZ: Was müssen wir uns darunter vorstellen?

Michael Gerber: Die Kokerei selber ist aus den dreißiger Jahren, also an die 100 Jahre alt. Was die aktuellen Öfen betrifft, so wissen wir auch aus der Belegschaft selber, dass da der Wartungszustand sehr schlecht ist. Die Türen sind undicht. Das muss ja selbst die Kokerei eingestehen. Und auch die Koksöfen selber haben mittlerweile Risse, so dass auch durch die Koksöfen Dämpfe und Schmutz entweichen und insbesondere dieses Benzo(a)pyren, das krebserzeugend ist. Die aktuellen Werte der Kokerei sind schlechter als in den Vorjahren, obwohl die Verantwortlichen der Kokerei immer wieder beteuern, dass sie alle Maßnahmen ergreifen, um diese Werte zu senken.

DKP-Ratsmitglied Michael Gerber:
"Die Kokerei von ArcelorMittal ist eine Dreckschleuder! Kein Wunder, daß die Anwohner über gesundheitliche Beschwerden klagen. Die Bezirksregierung muss endlich die Verbrennung von Petrolkoks auf der Kokerei verbieten! Ebenso muss die Verbrennung von Altölen, Hydraulikflüssigkeiten, Altfetten und Reinigungsflüssigkeiten auf der Kokerei untersagt werden. Die Kokerei ist nicht als Sondermüllverbrennungsanlage angelegt und hat dafür auch keine Genehmigung! Der Milliardengewinn von ArcorMittal muss endlich dafür genutzt werden, auf der Kokerei desn modernsten Stand der Technik zu realisieren. Nur dann kann der Grenzwert/Zielwert von Benzo(a)pyren auch unter 1ng/m gesenkt werden. Ein 'Weiter so' darf es nicht geben!"

UZ: Habt ihr hier Anhaltspunkte über gesundheitliche Beeinträchtigungen?

Tina Krüger: Wir wissen, dass die Krebsrate steigt.

Michael Gerber: Die Krebsneuerkrankungen haben hier in Bottrop und Gelsenkirchen den höchsten Wert im ganzen Ruhrgebiet. Die Krebsneuerkrankungen liegen bei 490 auf 100.000 Einwohner. Wir haben hier in der Siedlung neben der Grundschule und der Hauptschule eine Messanlage des Landesamtes für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (LANUV), da werden deutschlandweit die höchsten Benzo(a)pyren Werte gemessen.

Tina Krüger: Von der Stadt Bottrop haben wir die Empfehlung bekommen, dass wir das im Garten angebautes Gemüse wie Grünkohl und Mangold nicht mehr essen sollen, da es mit Benzo(a)pyren verseucht sei.

Michael Gerber: Das LANUV hat einen Test gemacht in der Hoffnung, dass die Sorgen der Bevölkerung entkräftet werden könnten und war dann selber überrascht. Auch die Stadt Bottrop, dass bei der Analyse dann wirklich die Alarmglocken geschellt haben. Damit hatte wohl keiner von den offiziellen Stellen gerechnet, dass die Werte bei den Grünkohluntersuchungen so hoch sind, so dass wirklich ein Verzehrverbot erlassen wurde. Wir haben ja sehr viele Kleingärtner hier in diesem Bereich, die waren natürlich entsetzt.

Tina Krüger: Als wir hier eingezogen sind, hatten wir eine große Population von Fledermäusen. Seit zwei Jahren werden das immer weniger. Der NABU hat mir bestätigt, dass die Jungtiere das nicht überleben mit dem hohen Benzo(a)pyren-Wert. Auch Königslibellen sehen wir hier nicht mehr.

Aber ganz dramatisch ist: Wir haben viele Kinder hier, darunter viele kleine. Wir haben eine Schule, wir haben Kindergärten hier, wir haben Kinder in den Gärten und auf den Sportplätzen. Sie spielen auf den Wiesen und nehmen dort diese Gifte über die Haut auf.

UZ: Was habt ihr nach dem Bekanntwerden dieser Analyse unternommen?

Michael Gerber: Wir hatten als DKP der Bürgerinitiative das Angebot gemacht, für zehn Bewohner ein Biomonitoring zu finanzieren.

Tina Krüger: Die Bürgerinitiative hat daraufhin Bürger für ein Monitoring angesprochen, da müssen ja auch gewissen Kriterien eingehalten werden, und es haben sich auch einige gemeldet. Die Sprecherin der Bürgerinitiative hat dann auch ein Labor gefunden, aber das ist dann kurzfristig abgesprungen.

Michael Gerber: Ganz offensichtlich wurde Druck von oben ausgeübt gegenüber diesem Labor. Sei es über die Kokerei, sei es von der Stadt. Wir hatten dann als DKP im städtischen Gesundheitsausschuss den Antrag gestellt, dass die Stadt so eine Maßnahme finanziert und durchführt. Der Gesundheitsausschuss hat dann einstimmig beschlossen, sich an das Land zu wenden, damit über das Land eine solche Untersuchung durchgeführt wird. Die NRW-Umweltministerin hat geantwortet, dass es derzeit keine Möglichkeit gibt, durch Untersuchungen zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen, was die gesundheitlichen Auswirkungen der PAK-Immissionen auf die Anwohner der Kokerei betrifft. Mit dieser Antwort geben wir uns nicht zufrieden. Wir fordern Gesundheitsuntersuchungen bei den Anwohnern. Die Kokerei-Beschäftigen werden schließlich auch zwei Mal jährlich untersucht.

UZ: Wie reagieren die Verantwortlichen?

Michael Gerber: Die Stadt Bottrop hat aufgrund des starken öffentlichen Druckes einen Runden Tisch eingeführt, bei dem die Klagen der Anwohner thematisiert werden. Die Kokerei und auch die Bezirksregierung stehen dort massiv unter Druck. Die Bezirksregierung, das ist der Vorwurf von der Bürgerinitiative, aber auch von der DKP, übt viel zu wenig Druck auf die Kokerei aus, um diese Umweltbelastung wirklich einzustellen. Die DKP fordert, dass ArcelorMittal eine Koksbatterie dicht machen soll, um sie generalzuüberholen, weil alles Stückwerk nichts bringt. Wenn ArcelorMittal die Kokerei weiter betreiben will, dann muss das eine Anlage sein, die dem modernsten Standard entspricht.

Tina Krüger: Die Anlage hat einen großen Sanierungsstau. Dies berichten Beschäftigte aus der Kokerei der Bürgerinitiative. Sie haben alle Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Michael Gerber: Bezeichnend ist, dass ArcelorMittal als größter Stahlkonzern weltweit 2018 5,1 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat. Sie investieren einfach viel zu wenig in die Modernisierung dieser Anlagen.

UZ: Was macht nun die DKP in Bottrop?

Michael Gerber: Wir werden den öffentlichen Druck weiter erhöhen, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern. Kokerei-Chef Pufpaff hat angekündigt, dass er im Jahr 2020 die Grenzwerte einhalten wird, das wird der Prüfstein sein. Wenn die das nicht einhalten, dann hat das Konsequenzen für die Kokerei insgesamt.

Die Fragen stellte Werner Sarbok


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Tina Krüger ist aktiv in der Bürgerinitiative "Saubere Luft für alle", Michael Gerber ist Ratsmitglied der DKP

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 52. Jahrgang,
Nr. 9 vom 28. Februar 2020, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2020

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