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VERKEHR/1029: Wachstumswahn ohne Grenzen - XXL-Airport London Heathrow soll erweitert werden (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 185 - April/Mai 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Wachstumswahn ohne Grenzen
XXL-Airport London Heathrow soll erweitert werden

Von Volker Voss


Es war eine eindrucksvolle Manifestation gegen den Klimawandel, als am 7. März unter dem Motto "Time To Act", fast 20.000 Demonstrant_innen in der Londoner Innenstadt zum Parlament zogen. Darunter war auch der "No New Runways"-Block der Gegner der Erweiterung des Flughafens London Heathrow um eine dritte Start- und Landebahn. "Die Stimmung war ausgelassen und von der festen Entschlossenheit geprägt, dass wir etwas verändern können", teilte John Stewart, Vorsitzender der Umweltschutzorganisation HACAN auf Anfrage mit. "Der Protestmarsch hatte auch das Ziel, vor der Parlamentswahl im Mai Druck auf die Parteien auszuüben. Zudem soll vor den Klimagesprächen im Dezember in Paris verstärkt Augenmerk auf das Thema Klimawandel gelegt werden", erläutert John Stewart die Zielrichtung. Schon jetzt sind der ohrenbetäubende Krach und die Luftverschmutzung, unter dem die Anwohner leiden, unerträglich. "Neue Rollbahnen bedeuten mehr Flugbewegungen und Bedrohung für das Klima", stand groß auf einem Plakat.

Die Wut ist groß

Es werde beispiellose, direkte Aktionen geben, sollte es mit der Nord-West-Rollbahn akut werden, kündigte John McDonnell (Labour Party), Abgeordneter des Londoner Stadtbezirks Hayes und Harlington, an. Dann werde es die "Mutter aller ökologischen Schlachten" geben. Der Lokalpolitiker McDonnell ist bekannt für seinen Einsatz für den Umweltschutz und soziale Belange.

Anfang Januar veröffentlichte HACAN, die den Widerstand gegen die Flughafenerweiterung aktiv organisiert, erste Zahlen, wie viele Überflüge die Anwohner_innen der einzelnen Bezirke ohnehin schon jährlich erdulden müssen. Insgesamt 12 Londoner Bezirke wurden erfasst. So kommt Hounslow auf 237.000 Flugbewegungen über seine Dächer hinweg, bei Greenwich sind es 168,000. Stadtbezirk Sutton, am unteren Ende der Skala, erleidet immerhin noch 156.000 tieffliegende Maschinen jährlich. Sollten die Pläne der Regierung verwirklicht werden, würden viele ihre Wohnung beziehungsweise ihr Grundstück verlieren.

Für die Regierung hingegen zählt nur Wirtschaftswachstum, koste es was es wolle - ohne Rücksicht auf die Anwohner_innen: London stehe in Sachen Investorengunst in harter Konkurrenz zu anderen europäischen Städten. Würde die dritte Startbahn nicht gebaut, stünden Großbritannien schwere Zeiten bevor. Ebenso solle Heathrow, der als bedeutender Umsteigeflughafen fungiert, weitere Transitpassagiere anlocken.

Gesundheitskosten ausgeklammert

Zur Vorgeschichte: Anfang 2009 kündigte der damalige Transportminister an, dass die britische Regierung die Erweiterung des Flughafens London Heathrow unterstützt, und zwar den Bau einer dritten Start- und Landebahn mit einer Länge von 2.200 Metern und ein weiteres, sechstes Terminal. Sonst würden andere europäische Flughäfen auf Kosten Heathrows gewinnen. Die Regierung selbst würde keine Baumaßnahmen veranlassen, jedoch die Flughafenverwaltung darin ermutigen, sich um eine Planungsgenehmigung zu bewerben, um dann mit den Arbeiten beginnen zu können. Die Rollbahnen seien bereits zu fast hundert Prozent ihrer Kapazität ausgelastet, wodurch es oft zu Verspätungen und Flugausfällen kommt. Heathrow, der größte Flughafen Europas, fertigte allein im letzten Jahr 68.090.000 Passagiere ab.

Die zusätzlichen Gewinne durch die angedachte Erweiterung würden zig Milliarden betragen. Die steigenden Gesundheitsrisiken und Kosten wegen der zunehmenden Umweltverschmutzung und der krankmachenden Lärmbelästigung, denen mehrere Hunderttausend Menschen ausgesetzt würden, wurden allerdings nicht eingerechnet. Sowohl die Labour Party als auch die Konservativen unterstützen das Vorhaben. Schließlich wäre da noch die Lobbyarbeit der Luftfahrtbranche, die gute Kontakte zu den wichtigen Entscheidungsträgern in der Politik unterhält, kritisieren Umweltschützer. Jedoch stehen auch einige hochrangige Politiker wie der konservative Londoner Bürgermeister Boris Johnson, begeisterter Radfahrer, sein Vorgänger Ken Livingstone sowie viele Lokalpolitiker, einige Abgeordnete, die den Einzug ins Parlament anstreben und Umweltgruppen, in Opposition zur Erweiterung. Mehrere Londoner Ratsversammlungen planen auch rechtliche Schritte und hoffen auf die Unterstützung durch Bürgermeister Boris Johnson.

Starker Protest

"Auch wir werden Lobbyarbeit leisten", so John Stewart. "Wir werden bis zum Urnengang auf die Wahlkandidaten zugehen. Für nach der Wahl planen wir, den neuen Abgeordneten reichlich Informationen zukommen lassen." Des Weiteren werde es viele öffentlichkeitswirksame Aktionen geben. "Wir denken, dass wir die Erweiterung verhindern können, schon allein aufgrund der starken Opposition dagegen. Wir hatten das Projekt schon einmal gestoppt, nachdem es unter der vorherigen Labour-Regierung vorgeschlagen wurde", so John Stewart. Es habe über die Jahre hinweg keine Anzeichen dafür geben, dass die Opposition dagegen kleiner geworden ist.

Was die erwarteten wirtschaftlichen Vorteile durch Mehreinnahmen betrifft, werden diese durch den erhöhten CO2-Ausstoß zusätzlicher Flüge und eines dadurch erhöhten Anstiegs der globalen Erwärmung wettgemacht , errechnete die britische NGO AirportWatch. Schließlich würden aufgrund einer dritten Rollbahn in Heathrow etwa 700.000 Flüge mehr abgewickelt werden. Bis zu 920.000 Menschen wären dann vom Krach betroffen, so die Schätzungen. Bis Sommer 2015 soll eine Flughafen-Kommission darüber entscheiden, ob der Airport London Gatwick ebenfalls eine zusätzliche Rollbahn bekommen soll.

Laut einer Studie der britischen Regierung National Noise Attitude Survey hat sich die Anzahl der Bürger_innen, die in Großbritannien insgesamt von Fluglärm betroffen sind, innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. Vier Prozent (über zwei Millionen Menschen) sind demnach stark von Fluglärm betroffen, während etwa neun Prozent angaben, mittelmäßig betroffen zu sein. Die Flugzeugindustrie hofft, in naher Zukunft Maschinen mit kohlenstoffarmen Biotreibstoff tanken zu können. Dies ist eine Illusion, warnt AirportWatch. Denn Biotreibstoff könne nur in geringem Umfang eingesetzt werden, weil für den Anbau riesige Landflächen benötigt würden. Dies wiederum würde bedeuten, dass weniger Flächen zum Anbau von Getreide für die Lebensmittelherstellung zur Verfügung stünden, was negative Auswirkungen auf die Biodiversität, die Ökosysteme und ebenso schwerwiegende soziale Folgen hätte.

Die internationale Flugwirtschaft rechnet für die nächsten Jahre mit einem weiteren Anstieg der Fluggastzahlen, wobei sich insbesondere die Billig-Carrier gegenseitig weiter mit Dumpingpreisen die Pfründe abzujagen versuchen. Diese künstlich erzeugte Mobilität lässt sich auf Dauer sicherlich nicht aufrechterhalten.



Weitere Informationen:
hacan.org.uk
www.airportwatch.org.uk

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 185, Seite 19
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2015

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