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ATOM/1100: Atomindustrie läßt beim Rückbau von 12 Forschungsreaktoren den Bürger bezahlen (BI Hamm)


Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm e. V. - 2. September 2010

Die Atomindustrie läßt beim Rückbau von 12 Forschungsreaktoren den Bürger bezahlen!


Zum hundersten Mal mussten wir es im August 2010 in den Medien lesen: "Kosten für Rückbau des Ex-Forschungsreaktors gestiegen". Gemeint war der mit 13 MW elektrischer Leistung sehr kleine Thorium Hochtemperaturreaktor (THTR) im Forschungszentrum Jülich, der von 1967 bis 1988 von der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor (AVR) betrieben wurde.

Doch ebenfalls 11 andere nukleare Forschungsanlagen müssen in der BRD in Zukunft zurückgebaut werden. An dieser Stelle wollen wir uns einmal genauer ansehen, wie preiswert die Atomenergie ist.


Reichen 612 Millionen Euro Rückbau-Kosten?

Bereits am 14.1.2003 schrieb die Süddeutsche Zeitung: "Im vergangenen Sommer hatte der Bundesrechnungshof in einem Bericht den ,desaströsen Projekverlauf' gerügt und eine Neuverteilung der Lasten angemahnt. Der Betrieb ruht bereits seit 15 Jahren. Während der Reaktor vor sich hinalterte, verschlangen Bewachung und Maßnahmen zur Stilllegung bis heute mehr als 200 Millionen Euro."

Die 15 Energieversorgungsunternehmen (EVUs) waren als Gesellschafter der AVR mit dem aufwändigen und komplizierten Rückbau überfordert und übertrugen den Energiewerken Nord (EWN) GmbH die weitere Verantwortung. Obwohl die Kosten völlig aus dem Ruder liefen, posaunten die Veranwortlichen protzig in ihrer Presseerklärung vom 15. 9. 2005 den Termin für das "Richtfest für die riesige Materialschleuse" hinaus. Heute sind sie stiller geworden und reden nicht mehr so gerne über Kosten und Komplikationen, denn der Kleinst-THTR stellt bei seinem Rückbau alles bisher Dagewesene in den Schatten:

"Zu diesem Zweck muss der 2100 Tonnen schwere Behälter mit sieben Kränen und einem Luftkissentransportschlitten bewegt werden. Am neuen Standort soll er voraussichtlich 60 Jahre stehenbleiben, um anschließend von Robotern zerlegt und in ein Endlager überführt zu werden. Das aufwendige Prozedere ist erforderlich, weil das Erdreich unter dem Reaktor radioaktiv kontaminiert ist. Um den Schaden in Grenzen zu halten, ist eine Sanierung dieses Bereichs unumgänglich. Die Verseuchung geht auf einen Störfall aus dem Jahr 1978 zurück, als durch ein Problem am Dampferzeuger Strontium-90 den Boden kontaminierte.

Teuer für den Steuerzahler sind auch rund 300.000 verbrauchte Brennelementekugeln, die in 152 Castor-Behältern in einem Zwischenlager des Jülicher Geländes aufbewahrt werden. Diese Castor-Behälter müssen demnächst in das Atom-Zwischenlager in Ahaus verlegt werden, da es für deren Deponierung in Jülich nur bis 2013 eine Genehmigung gibt" (1).

Inzwischen haben die finanziellen Belastungen schwindelerregende Höhen erreicht: "Die bislang aufgelaufenen Kosten für Stilllegung und Rückbau beziffert die Bundesregierung auf inzwischen 612 Millionen Euro. Ursprünglich waren 399 Millionen Euro eingeplant" (2). Aber dies ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Im Reaktordruckbehälter selbst muss die Radioaktivität noch mehrere Jahrzehnte lang abklingen, bevor an dieser Stelle weitergearbeitet werden kann. Diese Kosten können in der bisherigen Rechnung noch gar nicht einbezogen sein und bieten noch viel Raum für bisher ungeahnte Steigerungsraten. Die Kosten müssen sich Bund und das Land NRW im Verhältnis 70 zu 30 teilen (3).

Diese finanziellen, politischen und technischen Querelen sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf all das, was noch kommen wird. In den nächsten 10 Jahren steht der Rückbau von 11 weiteren nuklearen Forschungsanlagen in der BRD bevor. Die folgenden Angaben sind Auskünften der Bundesregierung auf eine Bundestagsanfrage (Drucksache 17/2646) entnommen worden:


1. WAK (Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe)

Stilllegung 1990 nach 19 Jahren Betriebszeit. Rückbau 2010 bis 2035.

Ausgaben des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) bis 2009: 638 Millionen Euro. Summe der kommenden Ausgaben: 675 Millionen Euro. "Die Gesamtkosten der Stilllegung und des Rückbaus werden vom Betreiber auf 2,6 Milliarden EUR (Stand 2007) geschätzt" (4).


2. KNR II (Kompakte Natriumgekühlte Kernenergieanlage) Karlsruhe

Bestandteil des Schnellerbrüterprogramms (20 KW-Anlage). Stilllegung 1991.

Ausgaben des BMBF bis 2009: 189 Millionen Euro. Summe der kommenden Ausgaben: 26 Millionen Euro.


3. MZFR (Mehrzweck-Forschungsreaktor) Karlsruhe

Schwerwassergekühlter und -moderierter Druckwasserreaktor (58 MW). Stilllegung 1984.

Ausgaben des BMBF bis 2009: 164 Millionen Euro. Summe der kommenden Ausgaben: 27 Millionen Euro.


4. HDB (Hauptabteilung Dekontaminationsbetriebe) Karlsruhe

Zentrale Einrichtung zur Behandlung und Konditionierung radioaktiver Stoffe.

Ausgaben des BMBF bis 2009: 102 Millionen Euro. Summe der kommenden Ausgaben: 452 Millionen Euro.


5. MAREN/FRG 1+2, Geesthacht

Neutronenquelle für die Materialforschung. FRG 1 ist ab Juni 2010 abgeschaltet. Rückbauplanung läuft.

Summe der Ausgaben des BMBF bis 2009: 24 Millionen Euro. Summe der kommenden Ausgaben: 83 Millionen Euro. 6. Projekte FZJ (u. a. Merlin), Jülich

2006 wurde der Forschungsreaktor abgeschaltet. Ansonsten Restlaufzeiten von 2010 bis 2014

Summe der Ausgaben des BMBF bis 2009: 106 Millionen Euro. Summe der kommenden Ausgaben: 70 Millionen Euro.


7. FRJ-2 (DIDO), Jülich

Dieser Reaktor war von 1962 bis 2006 in Betrieb. Die
Stillegungsgenehmigung ist noch nicht erteilt.

Geplanter Beginn des Rückbaus 2012. "Restlaufzeit": 2010 bis 2017. Summe der kommenden Ausgaben: x Millionen Euro.


8. Chemiezellen (CZ), Jülich

Einstellung der wissenschaftlichen Nutzung Ende 2009. Geplanter Beginn des Rückbaus 2012.

"Restlaufzeit": 2011 bis 2015. Summe der kommenden Ausgaben: x Millionen Euro.


9. Große Heiße Zellen (GHZ), Jülich

Rückbau nicht mehr benötigter Infrastruktur. Geplanter Beginn des Rückbaus 2012.

"Restlaufzeit": 2011 bis 2018. Summe der kommenden Ausgaben: x Millionen Euro.


10. WAK/EWN (Forschungsreaktor FR-2), Karlsruhe

Dieser Reaktor mit 44 MW Leistung war von 1961 bis 1981 in Betrieb.

"Rückbau des zurzeit im sicheren Einschluss befindlichen Forschungsreaktors. Wegen knapper Haushaltsmittel bisher zurückgestellt"! Summe der kommenden Ausgaben: x Millionen Euro.


11. WAK/EWN (Heiße Zellen), Karlsruhe

"Rückbau nicht mehr benötigter Infrastruktur.

Wegen knapper Haushaltsmittel bislang zurückgestellt"! Summe der kommenden Ausgaben: x Millionen Euro.


In der Drucksache 17/2646 vom 26. 7. 2010 beziffert die Bundesregierung die Summe der für "Stillegung und Rückbau kerntechnischer Anlagen" notwendigen Ausgaben auf rund 10,6 Milliarden Euro für den Bund. Legt man die bisherigen Erfahrungen mit dererlei offiziellen Angaben zugrunde, werden es erheblich mehr. Legt man die Erfahrungen mit dem THTR Hamm zugrunde, werden sich die Kosten um ein Vielfaches des angegebenen Wertes steigern.

Zur Erinnerung seien hier die bisherigen Kosten für den THTR Hamm noch einmal aufgelistet: 2,045 Milliarden Euro Baukosten + 2,390 Milliarden Euro Forschung + 0,425 Milliarden Euro Stilllegung und Einschluss bis 2009 (5)

Die Atomenergie ist nicht nur die unsicherste Energieform, sondern auch die Teuerste. Die Zeche für die verantwortungslosen Experimente mit den nuklearen Forschungsreaktoren zahlt auch die nächsten Jahrzehnte der einfache Bürger. Die Atomkonzerne hingegen kassieren ab. So will es diese Bundesregierung. Bereiten wir ihr einen heißen Herbst! Kommt zur Demo am 18.09.2010 in Berlin.

Horst Blume


Anmerkungen:
Aus: Aachener Zeitung vom 27. 8. 2010
WDR vom 25. 8. 2010
Siehe "Reaktor am Haken" in THTR-Rundbrief Nr. 104 http://www.reaktorpleite.de/nr.-104-januar-06.html
Siehe Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Wiederaufarbeitungsanlage_Karlsruhe
Siehe THTR-Rundbrief Nr. 124 http://www.reaktorpleite.de/nr.-124-dezember-08.html


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Quelle:
Pressemitteilung, 02.09.2010
Herausgeber: BI Umweltschutz Hamm e. V.
Postfach 1242, 59002 Hamm
E-Mail: h.blume@thtr-a.de (Horst Blume)
Internet: www.thtr-a.de, www.reaktorpleite.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2010