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ATOM/1194: Hintergrund - Die Sache mit dem Abriss eines Atomkraftwerks (.ausgestrahlt)


.ausgestrahlt / gemeinsam gegen atomenergie - Rundbrief 16 / Frühjahr 2012

Hintergrund
Die Sache mit dem Abriss

von Armin Simon



Das AKW ist aus, sein Rückbau lässt auf sich warten. Es fehlen Castoren, Konzepte und der Wille zum Abriss. Und die Öffentlichkeit soll außen vor bleiben. Ein Überblick

Das Abrissteam in Biblis hat an diesem Sonntag leichtes Spiel. Ein paar Handgriffe genügen und die Reaktorhülle fällt, das Stahlgerüst darunter ist schnell demontiert. Kunstrasen ausrollen, Blumen streuen: Fertig ist die grüne Wiese. So einfach wie vor dem Zaun des AKW Biblis wird es dahinter nicht gehen, das ist auch den DemonstrantInnen klar, die mit ihrer Abrissaktion am Zwei-MeterModell deutlich machen, was aus ihrer Sicht in Biblis schnellstens passieren müsste: Der Rückbau beider Reaktoren.

Der Super-GAU in Fukushima brachte für acht AKW in Deutschland das Aus. Seit dem 6. August 2011 dürfen sie keinen Strom mehr produzieren - ein riesiger Erfolg, um den auch die Bürgerinitiative "AK.W.ENDE Bergstraße" lange gekämpft hat. Nun wirft er die Frage auf: Wie wird man die Atomruine möglichst schnell und möglichst sicher los? Die Frage bewegt auch an anderen Standorten AnwohnerInnen, Bürgerinitiativen und PolitikerInnen, in Brunsbüttel, Esenshamm und Krümmel genauso wie in Philippsburg, Neckarwestheim und Ohu. Expertengremien diskutieren, Atomaufsichtsbehörden überlegen. Und die Konzerne? Die taktieren - und warten. Eon etwa will bei den AKW Unterweser und Isar-1 "endgültige Rückbauarbeiten" erst in Angriff nehmen, wenn die Konzernklage auf Schadensersatz gerichtlich entschieden ist. Das kann noch Jahre dauern. RWE hat für die beiden Blöcke in Biblis angekündigt, bis Frühjahr ein "kostenoptimiertes Konzept" vorzulegen. Ob das Konsequenzen hat, ist offen.

Neue Gemengelage

Die neue Situation hat alte Fronten durcheinandergewirbelt. Die Betriebsräte in Biblis wie in Unterweser etwa fordern unisono - wenngleich noch nicht gemeinsam - mit den Bürgerinitiativen, den Rückbau unverzüglich in Angriff zu nehmen. Schließlich würde das auch auf Jahre hinaus Arbeitsplätze am Standort sichern. Die Kreistage rings um Biblis dagegen verlangen in parteiübergreifenden Resolutionen von Schwarz bis Grün an erster Stelle, dass der Atommüll schnellstens weg soll, der im Zwischenlager und der bei einem Abriss anfallende - wohin, ist ihnen schnuppe. Die Aktiven des AK.W.ENDE setzten die von immer mehr Bündnispartnern unterzeichnete "Bensheimer Erklärung" dagegen. Darin fordern sie den unverzüglichen, von einer unabhängigen Begleitgruppe kontrollierten Rückbau des AKW zur "grünen Wiese", wobei Sicherheitsaspekte oberste Priorität haben sollen. Den anfallenden Strahlenmüll wollen sie auf sichere Weise solange "auf dem Werksgelände" lagern, "bis eine Endlagerung gefunden ist".

Tatsächlich wirft schon der erste Schritt, das Ausräumen des Brennstoffs aus den Kraftwerken, große Probleme auf. Denn die Castor-Behälter, die es dafür in großer Zahl bräuchte, gibt es nicht und sie lassen sich auch nicht so schnell herstellen. Für die Brennelemente aus Siedewasserreaktoren (Brunsbüttel, Krümmel, Philippsburg-1 und Isar-1), deren Abklingbecken besonders gefährlich sind, weil sie wie in Fukushima außerhalb des Sicherheitsbehälters liegen, gibt es noch nicht einmal einen zugelassenen Behältertyp.

Ungeklärt ist auch, ob und wenn ja welche Teile eines AKW sofort demontiert werden können. Solange noch Brennelemente im Abklingbecken lagern, darf etwa der gesamte Kontrollbereich nicht angetastet werden. Gefahren lauern aber auch bei Arbeiten an anderen Stellen: Beim Sägen und Schweißen könnte es zu Bränden kommen, schwere Teile könnten runterfallen und wichtige Systeme beschädigen. Selbst wenn ein AKW einmal komplett frei von Brennstoff sein sollte, braucht es noch Schleusen, Filter- und Lüftungsanlagen, die für Unterdruck sorgen, samt der zugehörigen Notsysteme.

Kein Antrag auf Stilllegung

"Unumkehrbar" müsse die Stilllegung der AKW durch die Rückbaumaßnahmen werden, fordert der AK.W.ENDE. Doch ein einmal ausgebautes Bauteil lässt sich immer auch wieder einbauen. Formal befinden sich die acht 2011‍ ‍abgeschalteten Meiler im "Nichtleistungsbetrieb". Juristisch unumkehrbar wird ihre Wiederinbetriebnahme, sobald die Behörde die erste Stilllegungsgenehmigung erteilt hat. Die nämlich ersetzt die Betriebsgenehmigung.

Dafür aber müssten die Betreiber erst einmal einen Antrag auf Stilllegung stellen. Das hat bisher noch keiner getan. Druck machen könnten die Atomaufsichtsbehörden. Die in SchleswigHolstein ging unlängst in die Offensive. Vattenfall solle sein bereits für Ende März zugesagtes Konzept für die Stilllegung der AKW Brunsbüttel und Krümmel unverzüglich einreichen, verlangte Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos). Zudem schlug er vor, im Atomgesetz klarzustellen, dass die Aufsichtsbehörden Fristen für den Beginn des Rückbaus setzen können. Denkbar wäre schon heute, dass sie unter Verweis auf Sicherheitsrisiken direkt einzelne Maßnahmen anordnen und so das Zepter in die Hand nehmen.

Konzeptionell geht die Debatte darum, ob es nicht besser wäre, Brennelemente und Flüssigkeiten zu entfernen und die AKW dann erst einmal für einige Jahrzehnte einzumotten. "Sicherer Einschluss" heißt das, praktiziert wurde es unter anderem im 1977 stillgelegten AKW Lingen, beim Thorium-Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop sowie bei einigen Forschungsreaktoren. Dafür spricht, dass ein Teil der Strahlung nach diesem Zeitraum bereits abgeklungen wäre. Ein größerer Teil des AKW könnte somit - dank der von RotGrün verwässerten Strahlenschutzverordnung - als normaler Schutt beziehungsweise Altmetall abgegeben werden, was teure Zwischen- und Endlagerkosten sparen würde. Dagegen spricht, dass das Wissen der Betriebsmannschaft über den Reaktor dann möglicherweise nicht mehr so zur Verfügung steht, dass sich die radioaktive Belastung mancher Bauteile messtechnisch bedingt nur noch schwer ermitteln lässt - und dass das Geld für den Abbau, das die Konzerne derzeit auf der hohen Kante haben, dann möglicherweise nicht mehr da ist. .ausgestrahlt und andere Organisationen fordern deshalb, die Rückstellungen in einen öffentlichen Fonds zu überführen.

In Baden-Württemberg müssen derweil Gerichte entscheiden, ob Rückbau-Planungen öffentlich ausgelegt und diskutiert werden müssen. Geklagt haben Anwohner des AKW Obrigheim, das 2005 vom Netz ging. Der Umweltminister, der die Öffentlichkeit lieber außen vor lassen will, ist ein Grüner.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
"Vom Atomkraftwerk zur grünen Wiese": Aktion vor dem AKW Biblis am 22. April. Foto: Michael Nething

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Quelle:
Rundbrief 16, Frühjahr 2012, Seite 6-7
Herausgeber: .ausgestrahlt
Normannenweg 17-21, 20537 Hamburg
E-Mail: info@ausgestrahlt.de
Internet: www.ausgestrahlt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2012