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ATOM/1247: Die Leukämiefälle bei Jülich - Jetzt kennen wir die Ursache (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 664-665 / 28. Jahrgang, 4. September 2014 - ISSN 0931-4288

Die Leukämiefälle bei Jülich: Jetzt kennen wir die Ursache

Ein Nachtrag zum vorstehenden Bericht [1] von Rainer Moormann und Jürgen Streich

von Inge Schmitz-Feuerhake (*)



Im Jahr 1993 berichtete der Marburger Nuklearmediziner Prof. Dr. Horst Kuni über eine auffällige Häufung von Leukämiefällen bei Kindern und Jugendlichen in der Nähe der ehemaligen Kernforschungsanlage Jülich. Seinem Verdacht, dass die Erkrankungen mit dem Betrieb des Versuchsreaktors AVR zusammenhängen, wurde mit dem üblichen Hinweis der Behörden begegnet, dass die Überwachung der Kernreaktoren und ihrer radioaktiven Emissionen in Deutschland funktioniere und die Dosis in der Umgebung keinen messbaren Effekt erzeugen könne.

Aus der Gemeinde Niederzier mit nur 6.800 Einwohnern hatte sich eine Bürgerin an den Nuklearmediziner Horst Kuni gewandt, nachdem dort von 1990 bis 1992 drei Erkrankungsfälle an akuter Leukämie (AL) bei Kindern und einer bei einem 15-Jährigen aufgetreten waren. Niederzier liegt etwa 5 Kilometer südöstlich von der Kernforschungsanlage entfernt. Im Nachbarort Titz mit einer Entfernung 5 bis 10 Kilometern vom Versuchsreaktor wurden von 1984 bis 1992 vier kindliche Leukämiefälle diagnostiziert (ebenfalls AL).

Seit 1980 gibt es für die Bundesrepublik Deutschland ein Kinderkrebsregister an der Universität Mainz. Im Vergleich zum westdeutschen Mittelwert leitet sich danach ab, dass in Titz 0,05 akute Leukämiefälle pro Jahr bei Kindern zu erwarten waren [Haaf 1993]. Damit zeigte sich dort von 1984 bis 1992 eine fast 9fache Erhöhung. In Niederzier betrug der entsprechende Erwartungswert 0,06 Fälle pro Jahr und ergab eine signifikante Erhöhung für den Zeitraum 1990 bis 1992 um den Faktor 17.

Kuni untersuchte, ob andere bekannte oder denkbare Risikofaktoren als Ursache für die Leukämieerkrankungen in Frage kämen wie Röntgenstrahlen, Leben unter Hochspannungsleitungen, Pflanzenschutzmittel und Kohlebergbau, konnte diese aber ausschließen. Als einzige Gemeinsamkeit war die Nähe zur Kernforschungsanlage zu verzeichnen. Die Erhöhungen fallen in den Betriebszeitraum des AVR bzw. ergaben sich noch kurz danach (Ende des Betriebes Dezember 1988). Strahleninduzierte akute Leukämieerkrankungen haben relativ kurze Latenzzeiten. Ab 1978 traten nennenswerte Leckagen auf, der Leukämieeffekt zeigte sich erst ab 1984, 6 Jahre später: Das ist aber kein Widerspruch, da unbekannt ist, wie sich die Leckagen in der Umgebung zeitlich ausbreiteten. Kuni machte darauf aufmerksam, dass offensichtlich insbesondere der "Normalbetrieb" von Versuchs- und Forschungsreaktoren eine Gesundheitsgefährdung für die umliegende Bevölkerung darstellt, da noch bei 4 anderen Atomforschungsinstituten mit Reaktoren Leukämiehäufungen registriert wurden: bei Garching (TU München) und den früheren Zentren GSF in Neuherberg bei München, Rossendorf in der Nähe von Dresden und GKSS in Geesthacht. Bei letzterer erfolgten die umfangreichsten Untersuchungen der Umgebungskontamination. Nicht-regierungshörige Personen identifizierten einen vertuschten Unfall im September 1986 [Bürgerinitiative 2006].

Offiziell gibt es das alles nicht. Keine Bundes- oder Landesregierung hat je eingeräumt, dass ein deutscher Bürger durch radioaktive Emissionen aus einer kerntechnischen Anlage umgekommen ist. Umso berechtigter ist daher für die kommenden Zeiten des verstärkten Rückbaus solcher Anlagen die Forderung nach unabhängigen Kontrollen durch die Betroffenen selbst. Sogar der atomfreundliche Fachverband für Strahlenschutz e.V. plädiert neuerdings für Messstationen in Bürgerhand beim undicht gewordenen Endlager Asse, um Vertrauen wiederzugewinnen.


Kuni, H.: A cluster of childhood leukaemia in the vicinity of the German Research reactor Jülich. In Schmitz-Feuerhake, I., Schmidt, M. (Ed), Radiation exposures by nuclear facilities. Ges. f. Strahlenschutz, Berlin 1998, p. 251255. ISBN 3-9805260-1-1
http://www.kuni.org/h/neues/beitrag/6
http://www.staff.unimarburg.de/~kunih/alldoc/juele.pdf

Haaf, H.G., Michaelis, J., Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation, Universität Mainz: Schreiben an das Gesundheitsamt Düren, 6.08.1993

Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch e.V. et al.: Die Elbmarschleukämien-Stationen einer Aufklärung. Strahlentelex Nr. 480-481 v. 4.1.2007, 1-8
www.strahlentelex.de/Stx_07_480_S01-08.pdf

(*) Prof. Dr. Inge SchmitzFeuerhake
Gesellschaft für Strahlenschutz e.V.
ingesf@uni-bremen.de


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_14_664-665_S01-07.pdf

[1] Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
Der Artikel "Kugelhaufenreaktoren - Status nach Erscheinen einer unabhängigen Expertenstudie zum AVR Jülich", von Rainer Moormann und Jürgen Streich ist im Schattenblick zu finden unter
ATOM/1246: Kugelhaufenreaktoren. Status nach einer unabhängigen Expertenstudie zum AVR Jülich (Strahlentelex)
www.schattenblick.de/infopool/industri/unia1246.html
und mit Fotos auf der Seite des Strahlentelex unter:
http://www.strahlentelex.de/Stx_14_664-665_S01-07.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, September 2014, Seite 6-7
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
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Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2014