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ATOM/942: Hessische Atomaufsicht muß Bescheid über Biblis-Stillegung korrigieren (IPPNW)


IPPNW-Presseinfo vom 9. Oktober 2009

Hessische Atomaufsicht muss wegen Sicherheitsmängeln Bescheid über Biblis-Stilllegung korrigieren

IPPNW: Union und FDP müssen Biblis sofort stilllegen


Im Zuge der Klage der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW hat das Hessische Umweltministerium im September gegenüber dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof angekündigt, den IPPNW-Antrag auf Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis B neu bzw. ergänzend zu bescheiden. Hintergrund ist, dass ein Teil der von der IPPNW dokumentierten rund 200 schwerwiegenden Sicherheitsmängel von Biblis B von den Aufsichtsbehörden in Bund und Land inzwischen sehr Ernst genommen wird. Hinzu kommt, dass ein neueres Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Rechtsauffassung der IPPNW in wesentlichen Punkten stützt. "Mit der Ankündigung einer ergänzenden Bescheidung räumt die hessische Atomaufsicht ein, dass ihr Bescheid vom 10. April 2008, mit dem sie die Stilllegung von Biblis B als angeblich unbegründet ablehnte, defizitär und insofern rechtswidrig war", so die Dortmunder IPPNW-Anwältin Wiltrud Rülle-Hengesbach. IPPNW-Atomexperte Henrik Paulitz fordert Union und FDP auf, Biblis nun endgültig stillzulegen, "weil sogar die Hessische Atomaufsicht im Rahmen unserer Klage zugeben musste, dass dieses Atomkraftwerk selbstverständlich nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Damit genügt dieses Atomkraftwerk nicht dem vom Atomgesetz geforderten Sicherheitsstandard."

"Uns ist bekannt, dass 53 von im Jahr 2007 zunächst rund 160 dokumentierten Sicherheitsmängeln von Fachleuten als sicherheitstechnisch relevant eingestuft wurden", so Paulitz. Inzwischen habe die IPPNW dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof über 200 Sicherheitsmängel von Biblis B vorgelegt. Die sicherheitstechnische Relevanz ergibt sich laut IPPNW insbesondere aus Bewertungen der Behörden-Gutachter (TÜV Süd, TÜV Nord, Gesellschaft für Reaktorsicherheit), des Atomkraftwerksherstellers Siemens und des Biblis-Betreibers RWE.

"Es gelang den Behörden und Gutachtern bis zum heutigen Tage nicht, diese technischen Mängel von Biblis B überzeugend wegzudiskutieren", so Paulitz. "Jetzt hat die hessische Atomaufsicht erneut den TÜV eingeschaltet. Diesem soll nun das Kunststück gelingen, eigene sicherheitstechnische Bewertungen der Vergangenheit als irrelevant abzutun. Dass der TÜV darin ein gewisses Geschick entwickelt hat und hierbei auch trickreich vorgeht, hat er in Zwischenstadien der Auseinandersetzung bereits bewiesen. Derartige Stellungnahmen des TÜV sind allein deswegen mit großer Vorsicht zu genießen, als diese Gutachterorganisation ein geschäftliches Eigeninteresse daran hat, dass das Atomkraftwerk Biblis noch viele Jahre lang weiterbetrieben wird."

Die Hessische Atomaufsicht gerät laut IPPNW jetzt auch juristisch in die Bredouille. Denn nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2008 müssten Atomkraftwerke auch einen Kernschmelzunfall als "auslegungsüberschreitendes Ereignis" sicher beherrschen können. "Die Kernschmelzfestigkeit von Biblis B ist aber katastrophal", so Paulitz. "Wir haben auch unter Berücksichtigung von Nachrüstungen allein in diesem Bereich 14 schwerwiegende Sicherheitsmängel festgestellt."

Die IPPNW fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und FDP-Chef Guido Westerwelle auf, sich "den Fall Biblis" einmal näher anzuschauen. "Wir stellen den Fachleuten von Union und FDP gerne alle relevanten Dokumente zur Verfügung. Diese werden dabei auch feststellen, dass sich in Biblis gefährliche Phänomene häufen, die auf Alterungsprozesse zurückzuführen sind. Ebenso wie veraltete Kohlekraftwerke stillgelegt werden, müssen selbstverständlich erst recht alte Atomkraftwerke ihren Betrieb einstellen, bevor ein Riss in einer über die Jahre strapazierten Schweißnaht zum Super-GAU führt", so Paulitz.


Über die IPPNW: Diese Abkürzung steht für International Physicians for the Prevention of Nuclear War. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges engagieren sich seit 1982 für eine Welt ohne atomare Bedrohung und Krieg. 1985 wurden sie dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seit 1990 stehen zusätzlich gesundheitspolitische Themen (z.B. Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere, Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten) auf dem Programm des Vereins. In der IPPNW sind rund 7.000 ÄrztInnen und Medizinstudierende organisiert.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 9. Oktober 2009
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel. 030/69 80 74-0, Fax: 030/69 38 166
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Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2009