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EUROPA/320: EU-Klima-Politik - "Harmonisierung" des Öko-Stroms (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 5 vom 4. Februar 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP
Hintergrund

EU-Klima-Politik: "Harmonisierung" des Öko-Stroms
Oettinger legt Pläne für ein "einheitliches Fördersystem" für Erneuerbare Energien in ganz Europa vor

Von Hans-Peter Brenner


Jetzt wird klarer, warum die deutsche Bundesregierung vor einigen Tagen die bisherige nationale finanzielle Förderung von Solarenergie abbremst und erschwert hat. Dies war offensichtlich kein nationaler Alleingang.

Die europäischen Energiemonopole stecken über ihre Vertreter in der EU-Kommission die Grenzen für die nationale "grüne" Energiepolitik insgesamt enger und strenger ab. Ihre bisherigen "claims", d. h. ihre Monopolstellung bei der Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern bzw. aus Kenenergie, die ihnen einen jahrzehntelang ungebremsten Kapitalzustrom garantierte, sollen zum einen nicht angetastet werden und zugleich soll eine künftige Monopolstellung auch auf dem Markt für "Öko-Strom" - vor allem aus Solarenergie - vorbereitet werden.

Dies ist kurz gesagt der Sinn eines "Schwabenstreichs" des noch relativ neuen EU-Energiekommissars Günther Oettinger, vor kurzem noch Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der quasi über Nacht nach Brüssel abgeschoben worden war.


"Harmonisierung"der Förderung der Alternativenergie?

Zum EU-Gipfel zu Energiefragen legte Oettinger Pläne für ein "einheitliches Fördersystem" für Erneuerbare Energien in ganz Europa vor. Damit realisiert und konkretisiert Oettinger einen Beschluss des "Europäischen Rates" - der Konferenz der EU-Regierungschefs - vom 17. 6. 2010, wonach im Rahmen der neuen "EU-Strategie für Beschäftigung und Wachstum" bis zum Jahr 2020 als drittes von fünf Kernzielen eine Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien am Energiegesamtverbrauch auf 20 Prozent und eine gleichzeitige Senkung des Energiebedarfs durch "Energieeffizienz" erreicht werden soll.

Nach Oettingers Darstellung blockieren sich die unterschiedlichen Fördersysteme der nationalen Binnenmärkte gegenseitig - und führen so zu unnötig hohen Kosten. Die Erneuerbaren Energien würden pro Jahr mit 35 Milliarden Euro gefördert: Den größten Anteil daran finanzieren die Verbraucher durch Preisaufschläge für den "Normalstrom" aber von EU-Mitglied zu EU-Mitglied in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Würden nun stattdessen alle Staaten an einem gemeinsamen (Förder-) Strang ziehen, könnten laut Vorabinformation durch die "Financial Time Deutschland" zum Oettinger-Bericht bis zu zehn Milliarden Euro jährlich eingespart werden. Ist der EU-Kommissar Oettinger jetzt also zum Förderer der Alternativenergien mutiert? Skepsis ist angesichts der schon länger bekannten Verbindungen Oettingers zur Großindustrie und speziell auch zu den großen Energiemonopolen grundsätzlich angebracht.


Berechtigte Skepsis und Kritik der Ökoenergie-Industrie

Und tatsächlich: bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Die EU-weiten Kooperationen sollen dafür sorgen, dass Staaten, die ihre Ziele für die Produktion Erneuerbarer Energien nicht erreichen, Ökostrom in anderen Ländern einkaufen. Das würde in der Konsequenz heißen, dass deutsche Energiekonzerne hierzulande weiter viel Atom- und Kohlestrom produzieren und Sonnenstrom etwa in Spanien hinzukaufen könnten.

Die geplante "Harmonisierung" wird nach Darstellung der deutschen Ökostrombranche die Kosten bei der Produktion von Alternativstrom nicht senken, sondern im Gegenteil in die Höhe treiben. Es sei unwahr, dass eine EU-weit harmonisierte Förderung für Verbraucher billiger würde als das deutsche System, erklärte der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) in Berlin. Studien des BBE hätten gezeigt, dass sich die Mehrkosten einer "harmonisierten" Förderung gegenüber nationalen Maßnahmen auf 50 bis 90 Mrd. Euro summieren könnten.

Dies erklärte BEE-Geschäftsführer Björn Klusmann. Von den Befürwortern der Oettinger-Pläne würden oft die Übertragungskosten für den Ökostrom nicht mitgerechnet, wenn Kostenvorteile behauptet würden. Zudem gebe es in einem Zertifikatesystem Mitnahmeeffekte, sagte Klusmann.

Befürworter des Oettinger-Plans argumentieren, dann würde zum Beispiel Solarstrom vornehmlich in Südeuropa gefördert, wo die Sonne häufiger strahle und die Ausbeute deshalb besser sei. Windparks könnten an besonders günstigen Standorten in der Nordsee oder an der Atlantikküste Frankreichs und Spaniens entstehen. Einzelne EU-Länder könnten ihre Ökostromziele dann auf dem Papier erreichen, indem sie - statt selbst zu produzieren - Zertifikate von den Ökostromlieferanten kaufen. BEE-Chef Klusmann argumentierte, dieses supranationale System führe zu größeren Finanzierungskosten für Investoren. Es berge die Unsicherheit, ob der Strom aus einem neuen Projekt letztlich zu vermarkten sei. Die Zusatzkosten würden sich die Investoren vergelten lassen - zulasten der Verbraucher. Zudem habe ein nationales Fördersystem den Vorteil, die Versorgungssicherheit im eigenen Lande zu stärken. Klusmann argumentiert natürlich nicht uneigennützig. Auch ihm geht es in erster Linie um den Gewinn. Aber er steht mit seiner Kritik nicht allein da.

Die deutschen Energiekonzerne setzen ganz klar darauf, dass durch eine EU-weite Anpassung weniger Ökostrom in Deutschland produziert wird. "Der dynamische Ausbau der Erneuerbaren Energien wird früher oder später zu einer Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke führen, dass soll mit diesem Vorstoß verhindert werden", erklärte Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn durchaus mit Recht am letzten Dienstag in Berlin. Sie forderte die Bundesregierung auf, beim Gipfel Anfang Februar in Brüssel für eine Beibehaltung der national eigenständigen Fördersysteme zu kämpfen.

Sogar Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) äußerte laut dpa verbal Skepsis gegenüber solchen EU-Vorhaben und kündigte an, für die gerade von ihm selbst gekappte nationale deutsche Förderung "kämpfen" zu wollen. Sonst könne man das Energiekonzept, das bis 2050 eine weitgehende Ökostromversorgung vorsieht, "in den Papierkorb" werfen. Röttgen produziert damit eine "dialektische rhetorische Volte", deretwegen man fast in Bewunderungsrufe ausbrechen möchte.


Pro und Contra der Experten

Der Oettinger-Plan wird argumentativ durch das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln (EWI) gestützt. Es hatte im vergangenen Jahr eine Studie vorgelegt, nach der die EU ihr Ziel eines 20-prozentigen Ökostrom-Anteils bis zum Jahr 2020 zu geringeren Kosten erreichen könnte, wenn die jeweiligen Erneuerbaren Energien europaweit jeweils nur an ihrem besten Standort eingesetzt werden. Nach Berechnungen des EWI würde die Kostenbelastung für die Verbraucher in ganz Europa um mindestens 118 Mrd. Euro geringer ausfallen. "Die Einsparungen kommen dadurch zustande, dass durch eine europaweite Förderpolitik die Regionen untereinander in einen Wettbewerb um die Erzeugung treten", heißt es im EWI-Gutachten: Würde zusätzlich ein "Wettbewerb zwischen den Technologien" ausgelöst - zum Beispiel Solarstrom gegen Windkraft - könnten sich die Einsparungen für den Verbraucher sogar auf bis zu 178 Mrd. Euro erhöhen.

Das Fraunhofer Institut (ISI) hat diese EWI-Angaben laut einem Bericht "DER WELT" in einer Kritik als "deutlich übertrieben" bewertet. Unter anderem hätten die Kölner Forscher nicht die Kosten für den Netzausbau eingerechnet.


Die Demokratie-Frage. Kein "Streit um des Kaisers Bart"

Auf der außerordentlichen EU-Ratssitzung werden also wichtige Grundsatzentscheidungen für den grenzüberschreitenden Ausbau der Infrastruktur für Strom und Gas beraten. Zu erwarten ist ein enormer Schub für den Um- und Ausbau von Stromleitungen, Pipelines und Energiespeichern, der den Energiegroßkonzernen für sich betrachtet schon Milliardengewinne garantieren wird. Nur für einige Projekte könne die öffentliche Hand "begrenzte" Zuschüsse gewähren heißt es im Oettinger-Papier. Die Industrie werde den Hauptteil der Finanzierung tragen.

Ist das alles nun ein Streit um des "Kaisers Bart" und muss man sich in der Frage "national" oder "europäisch" jetzt entweder auf die eine oder die andere Seite schlagen. Und hat eventuell die "europäische Dimension" möglicherweise sowieso zwangsläufig "Vorrang" vor dem "engeren" nationalstaatlichen Ansatz?

Rein pragmatisch könnte man zunächst sagen: grenzüberschreitende Projekte wie das Seekabel "NorGer" zwischen Skandinavien und Deutschland, das nordeuropäische Seatec- oder das südeuropäische Desertec-Projekt beweisen, dass schon längst an der Schaffung einer grenzüberschreitenden Energie-Infrastruktur für "Ökostrom" gearbeitet wird. Das könne gar nicht mehr gestoppt werden. Auch der Bundesverband Erneuerbare Energie argumentiert deshalb auch gar nicht aus einer Position der grundsätzlichen Kritik an einer EU-weiten Regelung für einen europäischen Öko-Energie-Binnenmarkt.

Der BEE kritisierte Oettinger vor allem dafür, die EU-Richtlinie zur Einführung Erneuerbarer Energien schon wieder novellieren zu wollen, obwohl diese gerade erst in Kraft getreten sei. Auch die aktuelle EU-Richtlinie sehe "Kooperationsmechanismen" zwischen Mitgliedstaaten bei der Förderung von Öko-Energie vor. Deshalb sei eine komplett neue Umstellung des Förderregimes jetzt noch zu früh. Man sei bei aller Kritik nicht grundsätzlich gegen einen europäischen Binnenmarkt, erklärte BEE-Geschäftsführer Klusmann. "Bisher ist keine ausreichende Netzinfrastruktur vorhanden, mit der große Strommengen quer durch Europa transportiert werden können", erklärte er laut "WELT". Und ohne ausreichende Übertragungsmöglichkeiten von Strom sei ein gemeinsamer Markt für Öko-Strom nicht möglich.

Was ist mit der Demokratie- und Eigentumsfrage?

Doch darum geht es eigentlich gar nicht. Es geht vielmehr um die Frage der Kontrolle über einen neuen Markt, der längst kein "Nischen-Dasein" mehr führt und um den Zugriff auf neue Investitionsund Absatzmärkte in einem die engeren nationalstaatlichen Märkte sprengendem Ausmaß.

Die Frage des Eigentums an und der demokratischen Kontrolle über ein solches zentrales volkswirtschaftliches Marktsegment wird von den jeweiligen Betreibern beider Varianten ("national" oder "europäisch") gar nicht thematisiert. Genau das aber wäre die Aufgabe der Befürworter - aber eigentlich auch der Produzenten - von alternativen Energien. Wer kontrolliert den Energiemarkt? Wo sind die gesellschaftlichen Instanzen von Gewerkschaften, Öko-Verbänden, Konsumenten, sonstigen demokratischen Institutionen, die in Form von "Energie-Räten" eine Kontrollinstanz über den gesamten Energiemarkt darstellen?

Auf "gut Deutsch" heißt dies aber: Wer hat die Macht? Nicht nur auf dem Energiemarkt. Die Konzerne oder das Volk? Tunesien, Ägypten, Jemen sind weit weg. Aber die Grundfrage ist ähnlich.


Werte der nicht veröffentlichten Grafik der Originalpublikation:

Aus welchen Energieträgern stammt unser Strom?
(Angaben für 2008)

Energieträger
Anteil in Prozent
Braunkohle
Steinkohle
Erdas
Mineralöl
Kernenergie
Windkraft
Wasserkraft
Biomasse
Photovoltaik
Müll
Sonstige
23,6 %     
19,5 %     
13,5 %     
1,6 %     
23,3 %     
6,3 %     
4,2 %     
3,5 %     
0,7 %     
1,6 %     
2,2 %     

*


"Gewinn-Minderung" verhindern
Der Energiekommissar und sein Auftrag

Zur Erinnerung: im April 2007 hatte Oettinger in einer Trauerrede zur Beerdigung seines Vor-Vorgängers Hans Filbingers gehalten, in der er diesen unter anderem als "Gegner des NS-Regimes" bezeichnete hatte, obwohl Filbinger noch nach Kriegsende als damaliger NS-Marinerichter die Hinrichtung von Deserteuren aus der Wehrmacht zu verantworten gehabt habe. Die Behauptungen Oettingers hatten bundesweit und international heftige Kritik ausgelöst. Oettinger musste seine Aussage zurücknehmen. Als auch noch seine Verbindung zum rechtskonservativen "Studienzentrum Weikersheim", bei dem ultrarechte und neofaschistische Referenten offenbar zum Seminar-Standardangebot zähl(t)en, heraus kam, gab es kein Halten mehr für ihn. Sein Ansehen in der BRD war aber so ramponiert, dass der Weggang nach Brüssel einer Flucht gleich kam. Für den Posten des einflussreichen Energiekommissar brachte er seine eigenen Verbindungen zur deutschen Energieindustrie - insbesondere zu EnBW - mit ein.

Für die Abfassung seiner vor Amtsantritt in Brüssel pflichtgemäß abzugebenden offiziellen "Interessenerklärung" brauchte Oettinger mindestens drei Versuche bzw. Anläufe, bis sie ihm repräsentabel und unauffällig genug erschien. Am 7. Januar 2010 legte er endlich die Liste seiner "Tätigkeiten" vor, die er zu diesem Zeitpunkt ausübe. Danach war er Mitglied des Vorstandes des "Forums Region Stuttgart", des Beirates der Umweltstiftung Stuttgarter Hofbräu, des Beirates der "Initiative D21" und im Vorstand der Theodor-Heuss-Stiftung. Fett gedruckt stand dahinter die Anmerkung: Alle diese Tätigkeiten würden vor seinem Amtsantritt als EU-Kommissar beendet werden. Nicht angegeben hatte Oettinger allerdings seinen Sitz im Kuratorium der Ludwigsburger Festspiele - einem Gremium wichtiger Menschen aus dem schwäbischen Musterländle, zu denen etwa auch ein Vorstand des Energiekonzerns EnBW zählt. Das sind aber seine einzigen Affinitäten zu den deutschen Energiemonopolen.

Kurz nach seiner Berufung nach Brüssel ließ er am 2. Juli 2010 in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau erkennen, dass es nicht nur rein "kulturelle" Interessen sind, die ihn an die Seite der EnBW führen. Vor allem das finanzielle (!)Wohl der BRD Energiemonopole liegt ihm besonders am Herzen liegt. Bemerkenswert dazu ist die folgende Passage: "'FR': Die Bundesregierung musste soeben einräumen, dass die Haftungsregelungen für Unglücke auf Ölplattformen mehr als dürftig sind. So gibt es keine gesetzliche Verpflichtung für die Ölfirmen zur Deckungsvorsorge. Kann das so bleiben?

Oettinger: Auch das Thema Schadensersatz, Haftung der Ölförderbranche, wird ein Schwerpunkt sein. Jedes hier tätige Unternehmen muss die notwendige Kreditwürdigkeit und Kapitalstärke mitbringen, um im Falle eines worst-case für alle Schäden an Natur und Menschen gerade stehen zu können. Hier wäre etwa an eine umfassende Haftpflichtversicherung zu denken.

FR: ...finanzielle Rückstellungen, wie sie Energiekonzerne für AKW-Störfälle bilden müssen? Oettinger: Das ist durchaus vergleichbar. Allerdings sind solche Rückstellungen gewinnmindernd; das müsste bei der Steuererhebung der Unternehmen berücksichtigt werden."

"Gewinnminderung" für die deutschen Energiemonopole zu verhindern, das scheint ein besonders inniges Herzensanliegen Oettingers zu sein. Dies wird auch in seiner ersten großen energiepolitischen Initiative als EU-Kommissar deutlich.

H. P. B.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP
43. Jahrgang, Nr. 5 vom 4. Februar 2011, Seite 9
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2011