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FORSCHUNG/510: Bioökonomie und die Begrenztheit der Wasserressourcen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014
Goldgräberstimmung
Bioökonomie zwischen Welthunger und Rohstoffalternativen

Unproblematisch und alternativlos?
Die Bioökonomie und die Begrenztheit der Wasserressourcen

Von Nikolaus Geiler


Stofflich und energetisch nutzbare Biomassen haben einen ungleich höheren Wasserbedarf als fossile Rohstoffe. Die angestrebte Bioökonomie läuft deshalb Gefahr, den Wasserstress in den Biomasse-Herkunftsländern noch weiter zu verschärfen. Normen und Nachhaltigkeitszertifizierungen erlauben die Prüfung der wasserwirtschaftlichen Relevanz einer einzelnen Biomasseplantage oder einer einzelnen Biomasseweiterverarbeitungsstätte. Wenn aber ganze Flusseinzugsgebiete auf einen Biomasseanbau zugunsten der Realisierung einer Bioökonomie-Wirtschaft in den Industriestaaten umgestellt werden, versagen diese individuellen Auditierungsinstrumente. Es fehlt bislang jegliche Abschätzung, welchen Wasserbedarf die Bioökonomie insgesamt nach sich ziehen wird.


Es ist eine kühne Vision: Statt auf Erdöl, Erdgas und Kohle, soll die Wirtschaft künftig auf Biomasse basieren. Nicht nur die fossilen Energieträger sollen durch Energiepflanzen ersetzt werden, auch Grundstoffe der organischen Chemie und Kunststoffe sollen mehr und mehr aus Biomasse (insbesondere Pflanzen und Algen) gewonnen werden. Der Umbau von einem fossil-basierten zu einem Biomasse-basierten Wirtschaftssystem läuft unter dem Titel "Bioökonomie". Gleich sieben Bundesministerien haben sich zu einer ressortübergreifenden BioökonomieArbeitsgruppe zusammengefunden, um mit über zwei Milliarden Euro aus der Bundeskasse die Bioökonomieforschung voranzutreiben. Aufgelegt wurde zudem eine Bioökonomie-Strategie der Bundesregierung,(1) die den Transfer hin zu einer Biomassebasierten Wirtschaft beschleunigen soll. Mit großem Aufwand wurde im Juni 2014 eine "Halbzeitbilanz" der bisherigen Bioökonomieanstrengungen zelebriert und eine Zeitenwende proklamiert. Gleich zwei Bundesminister - die Forschungsministerin und der Landwirtschaftsminister - beschworen vor über 500 Teilnehmenden aus Industrie und Forschung die Erfolge, die man bereits auf dem Weg zu einer Biomasse-basierten Wirtschaft erreicht habe.(2) Auch in der EU-Kommission hat der Bioökonomie-Hype Anklang gefunden: Über das große EU-Forschungsprogramm "Horizon 2020" werden für die Bioökonomie Forschungsgelder gleich in mehrfacher Milliardenhöhe bereitgestellt.(3) Einige Bundesländer - insbesondere Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg - haben ebenfalls Gefallen an der Bioökonomie-Idee gefunden und eigene Bioökonomiestrategien für ihre Bundesländer konzipiert.

Was bleibt von der Bioökonomie übrig, wenn das Wasser zur Neige geht?

Möglicherweise werden die hochfliegenden Hoffnungen der Bioökonomie aber schon an der Begrenztheit der Wasserressourcen scheitern. Denn im Schnitt benötigen der Anbau und die Weiterverarbeitung von Biomasse 70mal mehr Wasser als die Gewinnung von Erdöl, Erdgas oder Kohle.(4) Deshalb ist am 3. November 2014 auf einem Umweltverbändeseminar(5) die Frage diskutiert worden, ob mit der Bioökonomie der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden soll: Denn eine Bioökonomie in Europa wird nur möglich sein, wenn im gigantischem Umfang Biomasse aus Übersee bezogen wird. In den Überseeländern wird der Export von Biomasse für die energetische und stoffliche Nutzung in Europa den Wasserstress noch weiter in die Höhe treiben, wobei international anwendbare Normen zur Sicherung der Nachhaltigkeit von Biomasseanbau und Weiterverarbeitung "water grabbing", Wassermangel und Wasserverschmutzung verhindern sollen.

Die ISO-Normung zum Wasserfußabdruck(6) sowie die Nachhaltigkeitszertifizierungen für Anbau und Weiterverarbeitung von Biomassen zur energetischen und stofflichen Nutzung sind nur tauglich, einzelne Projekte zu bewerten - aber nicht den regionenweiten Wasserbedarf durch eine Vielzahl von Biomasseplantagen! Wie der Wasserbedarf in den Biomasse-Herkunftsländern gedeckt werden soll, wenn zeitgleich Unter- und Mangelernährung überwunden und Biomasse in großem Umfang in die EU exportiert werden soll, ist noch nicht einmal in Ansätzen geklärt. Derzeit nutzt die Chemiebranche schätzungsweise um die 13 % biogene Rohstoffe. Noch niemand hat überschlagen, was es für den Wasserhaushalt in den Biomasse-Herkunftsregionen für Folgen hätte, wenn diese Marge beispielsweise auf 26 % verdoppelt würde. Deshalb vertreten die GRÜNE LIGA und der Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) die Auffassung, dass der Wasserbedarf der Bioökonomie mit konkreten und regionalisierten Zahlen hinterlegt werden muss. Hierzu werden in Deutschland bislang kaum Forschungen durchgeführt. Um dem "blinden Fleck" in der Bioökonomieforschung entgegenzuwirken, muss sich die milliardenschwere Bioökonomie-Forschung nach Ansicht der beiden Umweltverbände auch für ein Mitspracherecht der Zivilgesellschaft öffnen.

Alles kein Problem?

Apologeten der Bioökonomie gehen davon aus, dass uns reichlich Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um gleichermaßen die Prämisse "Nahrungsmittelsicherheit zuerst", die Vermeidung von Wasserstress und ein ausreichend großes Biomasseangebot für die Bioökonomie zu gewährleisten. Ihre Argumentation lautet:

• Wir könnten die Effizienz bei der Bewässerung erhöhen und verstärkt aufbereitetes Abwasser zur Bewässerung nutzen. Zudem könnten wir weniger flächen- und wasserintensive Fleisch- und Milchprodukte konsumieren, so dass Anbauflächen und Wasserressourcen für den Biomasseanbau frei würden.

• Auch wenn weniger Lebensmittel weggeworfen oder durch Schädlinge befallen und unbrauchbar gemacht würden, stünden zusätzliche Land- und Wasserressourcen für den Anbau von Biomasse zur Verfügung.

• Und ferner könnten wir die Produktivität der Landwirtschaft steigern, so dass hierdurch Freiraum für den Anbau von energetisch und stofflich nutzbarer Biomasse geschaffen würde.

Im Angesicht der Notwendigkeit eines benötigten Mehrs an Nahrungsmittelproduktion, das sich aus dem prognostizierten Anstieg der Weltbevölkerung von derzeit 7 Milliarden auf 9 bis 10 Milliarden Menschen ergeben wird, stellen sich hier ernstzunehmende Fragen. Bereits seit 2008 wächst die Weltbevölkerung drei Mal schneller als die Agrarproduktion.(7) Selbst der Bioökonomierat als Beratungsgremium der Bundesregierung befürchtet, dass durch den Klimawandel und den Anstieg des Meeresspiegels zunehmend landwirtschaftliche Nutzflächen aus der Produktion herausfallen werden - auch wegen des Eindringens von marinem Salzwasser in küstennahe Grundwasserleiter. Möglicherweise zunehmende Dürren (wie derzeit in Kalifornien) werden dazu führen, dass dürrebedingte Ertragsausfälle in anderen Regionen der Erde kompensiert werden müssen - was wiederum die Nutzungskonkurrenzen hinsichtlich der Flächen- und Wasserverfügbarkeit verschärfen könnte. Der Raubbau an den Wasserressourcen, Versalzung, Erosion sowie Bodendegradation führen ebenfalls zu einem Schrumpfen der landwirtschaftlich nutzbaren Böden. Wenn also das Motto "Nahrungsmittelsicherheit an erster Stelle!" tatsächlich gelten soll, müssen wir diskutieren, wie viel "Platz" tatsächlich noch bleibt, um in nennenswertem Ausmaß Biomasse für die energetische und stoffliche Nutzung anbauen zu können.

Ist die Bioökonomie "alternativlos"?

Optimisten gehen davon aus, dass uns künftig durch die solare Meerwasserentsalzung in den Küstenzonen Wasser zur Bewässerung in Hülle und Fülle zur Verfügung stehen wird.(8) Bislang funktioniert die solare Meerwasserentsalzung allerdings nur im Litermaßstab. Denkbar wäre eine Photovoltaikgetriebene Meerwasserentsalzung zur Bereitstellung von Bewässerungswasser. Aber möglicherweise ist das ein verlustreicher Umweg, um reduzierte Kohlenwasserstoffverbindungen herzustellen. Effizienter könnte es sein, "überschüssigen" Photovoltaik- und Windkraftstrom via Elektrolyse direkt in Wasserstoff umzuwandeln, um daraus Methan und Methanol für die energetische und stoffliche Nutzung zu gewinnen. In einer Langfristperspektive ist die Bioökonomie also nicht - wie vielfach propagiert - "alternativlos".

Jenseits dieser technischen Fragen ist jedoch die Grundsatzfrage zu beantworten, ob die Bioökonomie letztlich nur dazu gut ist, Industriestaaten weiterhin auf Wachstumskurs halten zu können. Denn bislang hat es den Anschein, dass Bioökonomie nicht die fossil-basierte Wirtschaft ersetzt - sondern dass sie zu der fossil-basierten Wirtschaft addiert wird. Für die GRÜNE LIGA und den Ak Wasser im BBU ist klar, dass in den Industriestaaten aus Gründen der globalen Gerechtigkeit und im Hinblick auf die planetaren Grenzen "ein Deckel drauf muss". Erst wenn wir uns in Richtung Suffizienz bewegen und die Nutzung fossiler Rohstoffe und Energieträger sowie der Konsum stark schrumpfen, wird es tatsächlich Spielraum für eine verantwortbare Bioökonomie geben.


Autor Nikolaus Geiler ist Mitarbeiter im Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) Freiburg.


Anmerkungen

1. Download via http://www.bmbf.de/de/biooekonomie.php.

2. Ein ausführlicher Tagungsbericht kann als pdf via nik@akwasser.de angefordert werden.

3. Siehe: http://www.forschungsrahmenprogramm.de/horizont2020.htm.

4. Siehe zum Wasserbedarf von stofflich und energetisch genutzter Biomasse:
http://www.ufz.de/index.php?de=21978 /
http://www.waterfootprint.org/Reports/Gerbens-Hoekstra-VanderMeer-2009-WaterFootprint-Bioenergy.pdf /
http://www.waterfootprint.org/?page=files/Water-energy.

5. Download des Programms und der Erklärung:
http://www.wrrl-info.de/site.php4?navione=angebote&navitwo=seminare&content=seminar44.

6. Siehe:
http://www.iso.org/iso/home/news_index/iso-in-action/water.htm (rechte Spalte).

7. TAZ vom 28.10.2014, S. 18 (Rubrik "Flimmern & Rauschen").

8. So beispielsweise Michael Carus vom NOVA-Institut (persönliche Mitteilung).

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014, Seite 15 - 16
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2015

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