Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INDUSTRIE


FORSCHUNG/512: Bioelektrische Chemieanlagen könnten klassische Petrolchemie einmal ablösen (UFZ)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Pressemitteilung, 9. März 2015

Bioelektrische Chemieanlagen könnten klassische Petrolchemie einmal ablösen

Beispiel Lysinproduktion zeigt Kostenvorteile auf

von Tilo Arnhold


Leipzig/Brisbane. Die "Elektrifizierung" der Weißen Biotechnologie ist kein grüner Traum, sondern eine Alternative zur Petrolchemie mit realistischem ökonomischen Potenzial. Im Vergleich mit der zuckerbasierten Bioproduktion seien bioelektrochemische Prozesse bereits jetzt zum Teil wettbewerbsfähig. Die nächste Generation dieser Chemieanlagen könnte daher nicht nur wesentlich umweltfreundlicher, sondern auch kosteneffizienter werden. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der University of Queensland, die erstmals die ökonomischen Chancen dieses neuen Zweiges der Biotechnologie untersucht und die Ergebnisse im Fachblatt "ChemSusChem" veröffentlicht haben.


Gruppe von Forscher/inne/n beugt sich über Versuchsanordnung - Foto: © André Künzelmann/UFZ

Mikrobielle Bioelektrokatalyse & Bioelektrotechnologie.
Foto: © André Künzelmann/UFZ

Im Gegensatz zur Energie- und Kraftstoffbranche, die zum Großteil durch staatliche Ziele geprägt ist, wird die Chemieindustrie ausschließlich von Marktmechanismen dominiert. Firmen und Kunden sind bisher größtenteils nicht bereit, einen Mehrpreis für "grüne" Produkte zu bezahlen. Dies hat zur Folge, dass die Produktion von bio-basierten Chemikalien gegenüber der traditionellen erdölbasierten Produktion billiger sein oder einen Zusatznutzen haben muss. Bei gleichen Kosten dagegen setzen Firmen meist auf die bewährten Produktionswege und -verfahren. Trotzdem wird der Anteil der "grünen" an der gesamten Chemieproduktion bis 2025 deutlich steigen, so die Prognosen verschiedenster Institutionen. Dieser große Markt steht im Mittelpunkt der sogenannten Weißen Biotechnologie, die biotechnologische Methoden für industrielle Produktionsverfahren einsetzt und von der roten (Medizin) sowie grünen Biotechnologie (Pflanzen) abgegrenzt wird.


Foto: © André Künzelmann/UFZ

Bioreaktor mit Aufrüstset zur bioelektrischen Synthese.
Foto: © André Künzelmann/UFZ

Treibstoffe und Chemikalien können bioelektrochemisch produziert werden. Dazu werden mikrobielle Synthesen durch elektrischen Strom angetrieben und gesteuert, was neue Möglichkeiten eröffnet. Trotzdem ist diese "Elektrifizierung" der weißen Biotechnologie nicht leicht zu erreichen, da biochemische und elektrochemische Reaktionen unterschiedliche Prozessbedingungen bevorzugen. Deshalb besteht noch ein erheblicher Bedarf an systematischer Forschung und Entwicklung, um diese Technologie für den Markt verfügbar zu machen, wie die Forscher in ihrer Arbeit darlegen.


Foto: © André Künzelmann/UFZ

Biofilmelektrode.
Foto: © André Künzelmann/UFZ

Um die ökonomischen Chancen dieses relativ neuen Ansatzes abzuschätzen, betrachteten die Forscher einen etablierten Prozess zur Biosynthese und verglichen diesen mit der entsprechenden Bioelektrosynthese. Als Modellprozess wählten sie die Lysinproduktion, welche konventionell auf Zuckern oder komplexen Substraten, wie beispielsweise auf Saccharose aus Zuckerrüben oder Melasse basiert. Lysin ist ein Massenprodukt, von dem 2013 über 1,9 Millionen Tonnen hergestellt wurden. Diese Aminosäure wird als Zusatz in Futtermitteln oder in Schmerzmitteln verwendet und erzielte Preise zwischen 1,6 und 2,4 US-Dollar pro Kilogramm. Die Forscher verglichen nun die Substratkosten für eine solche konventionelle Biosynthese (auf Saccharose basierend) mit der Bioelektrosynthese, bei welcher neben Saccharose auch elektrische Energie als Substrat eingesetzt wird.

Durch unterschiedliche Rohstoffpreise für Saccharose in der EU und in den USA ergaben sich für beide Szenarien unterschiedliche Kosten: Unter Annahme aktueller Marktpreise würde die bioelektrochemische Produktion von 30 Tonnen Lysin, was einem typischen Produktionsansatz entspricht, demnach in der EU etwa 21.500 US-Dollar und in den USA etwa 16.700 US-Dollar kosten. Gegenüber der klassischen Biosynthese ergäben sich durch die neue, effizientere Produktionsmethode Kosteneinsparungen von 8,4% in der EU und 18,0% in den USA. "Dabei werden potentielle Ersparnisse durch den geringeren Bedarf an Produktreinigung aufgrund der verringerten Nebenproduktproduktion noch nicht einmal berücksichtigt" ergänzt Dr. Jens Krömer von der Universität Queensland. "Wenn man spekuliert und dies auf einen Zeithorizont von zehn Jahren umrechnet, macht dies bei einer Anlage mit einer Jahresproduktion von 50.000 Tonnen immerhin 30 Millionen US-Dollar in der EU bzw. 50 Millionen US-Dollar in den USA aus. Dabei müssen allerdings noch die zusätzlichen Investitionskosten, welche bisher nicht abgeschätzt werden können, abgezogen werden. Nichtsdestotrotz zeigt dieses Beispiel, dass die bioelektrische Produktion von Chemikalien also auch ökonomisch interessant werden kann", erklärt Dr. Falk Harnisch vom UFZ.

Die Bioelektrotechnologie ist also ein Thema mit weitreichender Bedeutung. Das Fachjournal "ChemSusChem", das sich der Chemie und der Nachhaltigkeit verschrieben hat, widmet daher dieser Publikation auch seine Titelseite. Diese zeigt das (von einer Mitautorin gezeichnete) Bild eines Globus mit zwei Seiten - der grünen Synthese und der Erdölchemie. Dieser positive Ausblick soll ausreichend dazu motivieren, die Forschung der Bioelektrotechnologie weiter zu fördern.

Publikationen:
Harnisch, F., Rosa, L. F. M., Kracke, F., Virdis, B. and Krömer, J. O. (2014): Electrifying White Biotechnology: Engineering and Economic Potential of Electricity-Driven Bio-Production. ChemSusChem. doi: 10.1002/cssc.201402736
http://dx.doi.org/10.1002/cssc.201402736

Die Untersuchungen wurden gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF-Initiative "Nächste Generation biotechnologischer Verfahren - Biotechnologie 2020+"), die Helmholtz-Gemeinschaft (Nachwuchsgruppe & Forschungsprogramm Erneuerbare Energien) sowie die University of Queensland.

Als deutschsprachige Übersicht zum Thema:
Agler-Rosenbaum, M., Schröder, U. und Harnisch, F. (2013): Mikroben unter Strom. Biologie in unserer Zeit, 43: 96-103. doi: 10.1002/biuz.201310502
http://dx.doi.org/10.1002/biuz.201310502

Die Arbeit wurden gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG-Exzellenzcluster "Tailor-Made Fuels from Biomass"), über das Zukunftskonzept II der RWTH Aachen, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF-Initiative "Nächste Generation biotechnologischer Verfahren - Biotechnologie 2020+") und die Helmholtz-Gemeinschaft (Nachwuchsgruppe & Forschungsprogramm Erneuerbare Energien).



Weiterführende Links:

Arbeitsgruppe "Mikrobielle Bioelektrokatalyse & Bioelektrotechnologie" am UFZ:
http://www.ufz.de/index.php?de=31005

Forschung zur mikrobiellen Bioelektrotechnologie wird in Leipzig etabliert (Pressemitteilung vom 13. September 2012):
http://www.ufz.de/index.php?de=30828

Initiative "Nächste Generation biotechnologischer Verfahren - Biotechnologie 2020+"
http://www.bmbf.de/de/biotechnologie2020plus.php

Was ist Biotechnologie?
https://www.biotechnologie.de/BIO/Navigation/DE/Hintergrund/basiswissen,did=79764.html

*

Quelle:
UFZ-Pressemitteilung, 09.03.2015
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tilo Arnhold
Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
Telefon: (0341) 235-2278, Telefax: (0341) 235-2649
E-Mail: presse@ufz.de
Internet: www.ufz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang