Institut für ökologische Wirtschaftsforschung GmbH, gemeinnützig - 21.09.2022
Wasserstoff-Hype: Studie fordert klare Prioritäten in der Energiepolitik
Gemeinsame Pressemitteilung des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit und des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
• Grüner Wasserstoff ist für ein nachhaltiges Energiesystem unverzichtbar, bleibt auf absehbare Zeit aber ein knappes Gut
• Die Politik muss priorisieren, wo Wasserstoff eingesetzt wird, sonst gefährden die Entwicklungspfade Klimaschutz, Energiesicherheit und Wirtschaftlichkeit
• Forschende vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit und vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) geben Empfehlungen für die Klima-, Technologie- und Innovationspolitik
Berlin, 21. September 2022 - Wasserstoff ist ein zentraler Baustein
der Energiewende. Dies betonen Akteure aus Wirtschaft, Politik oder
Wissenschaft fast täglich. Er soll nicht nur bei der Dekarbonisierung
der Wirtschaft helfen, sondern auch zur Energiesicherheit beitragen
und langfristig Erdgas ersetzen. Forschende vom Borderstep Institut
für Innovation und Nachhaltigkeit und vom Institut für ökologische
Wirtschaftsforschung (IÖW) warnen in dem Forschungsprojekt
'Wasserstoff als Allheilmittel?' vor falschen Hoffnungen. Auf Basis
aktueller Studien empfehlen sie, die Förderung von Wasserstoff auf
Anwendungsfelder wie die Stahl- und Ammoniakproduktion sowie
langfristige Energiespeicherung zu beschränken. Ohne klare politische
Priorisierung drohen Fehlentwicklungen, die einen nachhaltigen Einsatz
von Wasserstoff gefährden und gleichzeitig effizientere, preiswertere
Alternativen verdrängen könnten. In dem Impulspapier 'Wasserstoff
sparsam einsetzen' geben die Forschenden basierend auf dem Bericht
"Das Wasserstoffdilemma: Verfügbarkeit, Bedarfe und Mythen" aktuelle
Politikempfehlungen. Dazu zählt etwa: Wasserstoff wird für Pkw, Busse
und für den Lieferverkehr als nicht sinnvoll erachtet.
In Niedersachsen wurde kürzlich die weltweit erste Wasserstoff-Zugflotte im Regelbetrieb in Betrieb genommen (https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Weltweit-erste-Wasserstoff-Zug-Flotte-im-Regelbetrieb,hallonds75114.html). Ministerpräsident Stephan Weil pries dies als 'Fortschritt made in Niedersachen'. Das Beispiel zeigt: Wasserstoff wird in vielen Anwendungsbereichen als Lösung der Zukunft präsentiert: Er soll etwa im großen Stil Erdgas und Öl im Verkehr und in der Wärmeversorgung ersetzen.
"Optimistische Studien, die eine breite Verfügbarkeit von Wasserstoff versprechen, beflügeln diese Hoffnungen", sagt Jens Clausen vom Borderstep Institut. "Zwar wird grüner Wasserstoff ein unverzichtbarer Baustein im Energiesystem der Zukunft sein, aber seine Herstellung erfordert große Mengen an grünem Strom. Es dauert daher, bis größere Mengen verfügbar sein werden." Die Forschenden verglichen verschiedene Studien zum prognostizierten Bedarf und verfügbaren Angebot an grünem Wasserstoff in Deutschland. Sie wollen die Politik unterstützen, realistische und ambitionierte Transformationspfade zu entwickeln. Sowohl der Ausbau der notwendigen regenerativen Stromerzeugung als auch der Elektrolysekapazitäten wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen.
"Wir wollen eine hohe Versorgungssicherheit, Klimaschutz und bezahlbare Energiepreise. Um diese drei Ziele zu erreichen, brauchen wir parallel zum Aufbau der Wasserstoffwirtschaft und dem rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien vor allem auch eine Priorisierung von Wasserstoffanwendungen", sagt Florian Kern vom IÖW. "In der Stahlherstellung, als Langzeit-Energiespeicher und als Rohstoff für Raffinerien und die Chemieindustrie ist Wasserstoff nach heutigem Stand der Technik unverzichtbar, um die Klimaziele zu erreichen. In anderen Bereichen sollten energetisch und preislich effizientere Lösungen bevorzugt werden." In diesem Zusammenhang zeigt das Beispiel aus Niedersachsen: Zum Klimaschutz kann ein solcher Betrieb nur beitragen, wenn Wasserstoff aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Das ist zurzeit nicht der Fall. Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien ist daher eine Grundvoraussetzung für die grüne Wasserstoffwirtschaft.
Da es bei der Herstellung von Wasserstoff hohe Umwandlungsverluste gibt, verbraucht Wasserstoff deutlich mehr Primärenergie als direkt-elektrische Lösungen: Ein Heizkessel mit Wasserstoff etwa würde fünfmal so viel Energie verbrauchen wie eine Wärmepumpe. Und ein Pkw mit Wasserstoffantrieb benötigt doppelt so viel grünen Strom wie ein E-Auto mit Akku. Fördert die Politik Wasserstoff in solchen Bereichen trotzdem, könnten sich effizientere Technologien weniger durchsetzen.
Der Linienbetrieb der Wasserstoff-Zugflotte in Niedersachen etwa erfolgt auf einer kurzen Strecke, die vorher mit Dieselloks betrieben wurde. Die effizientere und billigere Lösung wäre gewesen, elektrische Batteriezüge einzusetzen. "Für den Klimaschutz ist es ein riesiges Problem, wenn sinnvolle Investitionen durch Technologie-Hypes verhindert werden", warnt Technologieforscher Kern. "Sollte sich herausstellen, dass die Prognosen zur Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff zu optimistisch waren, müssen wir uns weiterhin mit fossilen Brennstoffen behelfen und verfehlen die Klimaziele."
Zentrales Instrument der Politik ist die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung von 2020, die in diesem Jahr überarbeitet werden soll. "Die Politik muss Wasserstoffanwendungen priorisieren und so Richtungs- und Investitionssicherheit schaffen", fordert Projektleiter Klaus Fichter vom Borderstep Institut. "Wir untersuchen, ob die aktuelle Politik - inklusive staatlicher Förderprogramme - sinnvoll ist und wie sie die Strategien zentraler Akteure beeinflusst."
Florian Kern vom IÖW ergänzt: "Pilotprojekte können sinnvoll sein, um Technologien weiterzuentwickeln und praktische Erfahrungen zu sammeln. Aber es braucht auch Richtungssicherheit, in welchen Bereichen Wasserstoff wirklich eine gute Option zur Dekarbonisierung ist. Fördermittel sollten in solche Anwendungen fließen, für die weitgehender Konsens besteht, dass Wasserstoff dort notwendig ist."
Das Forschungsprojekt 'Wasserstoff als Allheilmittel'? läuft bis Ende
2023. Es wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung im Förderprogramm 'Insight - interdisziplinäre Perspektiven
des gesellschaftlichen und technologischen Wandels'.
Das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit
gemeinnützige GmbH
ist im Bereich der anwendungsorientierten Innovations- und
Entrepreneurshipforschung tätig und dem Leitbild einer nachhaltigen
Entwicklung verpflichtet. Als unabhängige und gemeinnützige
Forschungseinrichtung untersucht Borderstep Innovations-, Technologie-
und Marktentwicklungsprozesse, erstellt Studien für öffentliche und
private Auftraggeber. Das Institut wird von Prof. Dr. habil. Klaus
Fichter geleitet.
http://www.borderstep.de
Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
ist ein führendes wissenschaftliches Institut auf dem Gebiet der
praxisorientierten Nachhaltigkeitsforschung. Rund 70 Mitarbeiter*innen
erarbeiten Strategien und Handlungsansätze für ein zukunftsfähiges
Wirtschaften - für eine Ökonomie, die ein gutes Leben ermöglicht und
die natürlichen Grundlagen erhält. Das Institut arbeitet gemeinnützig
und ohne öffentliche Grundförderung. Das IÖW ist Mitglied im
'Ecological Research Network' (Ecornet), dem Netzwerk der
außeruniversitären, gemeinnützigen Umwelt- und
Nachhaltigkeitsforschungsinstitute in Deutschland.
http://www.ioew.de
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http://www.ioew.de/newsletter
Policy Insights "Wasserstoff sparsam einsetzen" (Download PDF, 0,6 MB:
https://www.borderstep.de/wp-content/uploads/2022/09/Policy-Insights_Wasserstoff-sparsam-einsetzen_2022.pdf
Ausführlicher Bericht "Das Wasserstoffdilemma: Verfügbarkeit, Bedarfe
und Mythen."
(Download PDF, 2.4 MB:
https://www.borderstep.de/wp-content/uploads/2022/06/AP2-Wasserstoff-Potenziale-Bedarfe_27-6-2022.pdf)
Über das Projekt:
https://www.borderstep.de/projekte/wasserstoff-als-allheilmittel/
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung GmbH, gemeinnützig - 21.09.2022
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 21. September 2022
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