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AFRIKA/031: Überwinterungsgebiet Äthiopien - Ein Paradies für Kraniche? (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 11/2010

Überwinterungsgebiet Äthiopien: Ein Paradies für Kraniche?

Von Günter Nowald und Werner Schröder


Der Populationstrend des Eurasischen Kranichs ist in vielen Bereichen Europas erfreulicherweise weiterhin positiv. So steigen die Zahlen überwinternder Kraniche in Spanien und Frankreich, ja sogar in Deutschland überwintern in milden Wintern Tausende Vögel. Weiter östlich innerhalb des riesigen Verbreitungsgebietes wird die Situation aber immer unklarer. Bereits in einer großen Region um Moskau, welche in der Kranichszene als "Crane Homeland" bezeichnet wird, nehmen die Zahlen aktuell ab. Der Trend der östlichen Populationen ist vollkommen unklar. Dabei sind genaue Informationen aus den Überwinterungsgebieten in Asien und Afrika ebenso wenig bekannt.


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Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem NABU und dem äthiopischen BirdLife Partner, der Ethiopia Wildlife and Natural History Society (EWNHS), wurde im Jahr 2007 gemeinsam mit Kranichschutz Deutschland (NABU, WWF, Lufthansa Umweltförderung) ein landesweites Kranichmonitoringprogramm in Äthiopien gestartet, um genauere Erkenntnisse zur Situation der Kraniche in einem Hauptüberwinterungsgebiet in Afrika zu erhalten.

Dabei erfassten die Kranichschützer nicht nur die Überwinterungsbestände und Habitate des Eurasischen Kranichs (Grus grus) und des Jungfernkranichs (Anthropoides virgo), sondern ebenfalls die Bestände, Brutgebiete, Tagesrastplätze und Schlafplätze des Klunkerkranichs (Bugeranus carunculatus) und des Schwarzen Kronenkranichs (Balearica pavonina). Der Schwarze Kronenkranich und der Klunkerkranich sind Jahres- und Brutvögel in Äthiopien. Beim Kranichmonitoring suchten jeweils vier Teams für zehn Tage im Januar/Februar 2007 und 2009 geeignete Lebensräume in Nord-, Zentral- und Südäthiopien auf und registrierten das Vorkommen aller vier anzutreffenden Kranicharten sowie verhaltensökologische und naturschutzrelevante Daten.

Abweichend von Literaturangaben aus den1980/1990er Jahren und vom African Waterfowl Census von 2003/04, die den Bestand an Eurasischen Kranichen in Äthiopien auf etwa 10 Vögel bezifferten, wurden beim 1. Internationalen Kranich Monitoring in Äthiopien 2007 mehr als 55000 Eurasische Kraniche gezählt, was etwa zwölf Prozent des Weltbestands entspricht. Im Jahr 2009 wurden 59000 Vögel erfasst. Dabei erfüllten zwölf Schlafplätze das 1%-Kriterium als Important Bird Area.

Der Nahrungserwerb der Kraniche erfolgte überwiegend auf Stoppelfeldern mit Teff oder Mais. Teff (Eragrostis tef) ist ein sehr altes äthiopisches Kulturgetreide. Im Jahr 2007 (2009) wurden 83 (73) Klunkerkraniche und 1171 (1885) Kronenkraniche in Äthiopien gezählt.

Schwerpunktvorkommen des Eurasischen Kranichs befinden sich ca. 50südlich von Addis Abeba in Feuchtgebieten und gestauten Gewässern bei Akaki und Debre Zeit, weiter südlich im Rift Valley sowie im Norden am Tana See. Aus Befragungen mit lokalen Bauern wurde klar, dass der Bestand der Eurasischen Kraniche in den letzten zwanzig Jahren deutlich angestiegen ist. Gleichzeitig steigt aber auch der Nutzungsdruck durch die wachsende Bevölkerung auf Feuchtgebiete, die Rast- und Nahrungsplätze der Kraniche darstellen - Konflikte sind absehbar.


Gefahr durch Industrialisierung

2007 startete die äthiopische Regierung ein Industrialisierungsprogramm. So boomt neuerdings nicht nur südlich von Addis Abeba die Entwicklung. Neue Industrieanlagen und Wohngebiete, der Ausbau des Straßennetzes sowie die Intensivierung der Landwirtschaft zeigen bereits jetzt einen dramatischen Rückgang naturnaher Lebensräume. Besonders kritisch ist die Situation um Debre Zeit, wo dem wichtigsten Schlafplatz Chelekleka buchstäblich das Wasser abgegraben wird. Blumenfarmen und eine allgemeine Intensivierung der Landwirtschaft durch den Einsatz von Wasserpumpen und das Einschwemmen von Pestiziden bedrohen das Feuchtgebiet und damit den Schlafplatz von bis zu 17000 Eurasischen Kranichen. Solange das Ökosystem des Feuchtgebietes von Chelekleka intakt bleibt, sichert es nicht nur für die Vögel, sondern auch für viele Hundert Familien die Existenzgrundlage. Dabei zieht Äthiopien immer mehr Vogelbeobachter an und das ökotouristische Potenzial ist enorm.

Der Tana See, ca. 450 km nördlich von Addis Abeba gelegen, und die Fogera Plains am östlichen Ufer des Sees werden aufgrund ihrer Bedeutung für Zug- und Standvögel als Important Bird Areas ET007 und ET0069 geführt. Genauere Angaben über Rastgebiete des Eurasischen Kranichs waren jedoch nicht vorhanden. Interessant ist, dass nur am Nord- und Ostufer Eurasische Kraniche vorkommen. 2009 fanden die Kranichschützer in der Fogera Ebene am Ostufer des Tana Sees einen bis dahin unbekannten großen Schlafplatz des Eurasischen Kranichs. Drei Zählungen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen ergaben, dass das Feuchtgebiet Shesher im Februar ca. 20000 Eurasische Kraniche beherbergte. Tagsüber verteilen sich die Kraniche über die riesige Fogera Ebene, wo man hier und da kleine Gruppen oder Familienverbände findet. Dass die Gesamtzahl so gewaltig ist, hätte niemand vermutet. Der Tana See ist für viele Arten ein wichtiger Trittsteinbiotop, Überwinterungs- und Brutgebiet. Im Jahr 2009 wurden foldende Ramsar- oder AEWA-relevanten Arten gezählt: 1111 Schwarze Kronenkraniche (sudanesische Unterart), 21 Klunkerkraniche in Walala (Fogera Ebene - entspricht 10,5 % des äthiopischen Bestands), 18000 Krickenten, 12000 Löffelenten, 8000 Spießenten, 30000 Kampfläufer, 8500 Zwergstrandläufer, 18000 Uferschnepfen, 1000 Rosapelikane, 830 Rosaflamingos, mehr als 1000 Kuhreiher, 1210 Säbelschnäbler und 300 Lachseeschwalben.


Erfassung der Artenvielfalt

Im Jahr 2009 trat Äthiopien dem Abkommen zur Erhaltung der afrikanisch-eurasischen wandernden Wasservögel (AEWA, eines der Regionalabkommen der Bonner Konvention, CMS) bei. Das Feuchtgebiet Shesher ist jedoch hochgradig gefährdet. Am Nord- und Nordostufer des Tana See sollen in Kürze mit Mitteln der Weltbank drei Zuflüsse reguliert werden, die das Wasserregime von zwei Feuchtgebieten entscheidend verändern werden. Da bisher keine oder kaum verlässliche Daten zur biologischen Vielfalt vorliegen, die in eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit einbezogen werden können, ist ein Anliegen des NABU und Kranichschutz Deutschland, mögliche Schutzmaßnahmen auf der Grundlage der gesammelten Daten in Gang zu setzen. Die unmittelbar bevorstehenden großflächigen Bewässerungs- und Staudammprojekte sowie die Nutzung der Wasserkraft zur Stromgewinnung am Tana See sind nicht unumstritten. Zu befürchten ist der Verlust großflächiger Überschwemmungsgebiete, die bisher von September bis Dezember überflutet waren. Bis zum März trocknen diese allmählich aus und werden von der lokalen Bevölkerung als landwirtschaftliche Flächen genutzt. Die ökologischen und sozio-ökonomischen Folgen der Bewässerungsprojekte sind nicht absehbar. Die zu erwartenden Lebensraumveränderungen werden neben den Eurasischen Kranichen viele weitere Arten treffen.

Damit die Naturbelange bei der überall im Land stattfindenden Raumplanung und Gebietsentwicklung berücksichtigt werden können, müssen genaue Daten zur biologischen Vielfalt vorhanden sein. Die EWNHS, der NABU und Kranichschutz Deutschland arbeiten eng mit der Wildschutzbehörde, der Ethiopian Wildlife Conservation Authority, zusammen um die biologische Vielfalt im Land und ihre "Hotspots" zu erfassen. Mit dem landesweiten Kranichmonitoring liefern die Naturschützer wertvolle Informationen für die Regional- und Zentralregierung über die wichtigsten Lebensräume für Kraniche im Land und über den Zustand von Feuchtgebieten im Allgemeinen. Liegen die Informationen den staatlichen Stellen vor, können negative Einflüsse auf wichtige Brut-, Schlaf-, Rast- oder Überwinterungsgebiete der vier im Land vorkommenden Kranicharten in Äthiopien reduziert bzw. verhindert werden.


Dr. Günter Nowald ist Leiter des Kranich-Informationszentrums in Groß Mohrdorf, Geschäftsführer der gemeinnützigen Kranichschutz Deutschland GmbH.

Dipl.-Biol. Werner Schröder ist Sprecher der Bundesarbeitsgruppe Afrika im NABU. Seit 2005 koordiniert er die Zusammenarbeit mit dem NABU-Partner Ethiopian Wildlife and Natural History Society.


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Literatur zum Thema:

Nowald G, Schröder W, Günther V, Aynalem S 2010: Common Cranes Grus grus in Ethiopia, Vogelwelt 131: 169-174.

Redman N, Stevenson T, Fanshawe J 2009: Birds of the Horn of Africa: Ethiopia, Eritrea, Djibouti, Somalia and Socotra. C. Helm, London.

Spottiswoode C, Gabremichael M, Francis J 2010: Where to Watch Birds in Ethiopia. C. Helm, London.

Urban EK, Brown LH 1971: A Checklist of the Birds of Ethiopia. Addis Adeba University Press, Addis Adeba.

Urban EK, Fry HC, Stuart K 1986: The Birds of Africa - Vol. II. Academic Press, London.

Treuenfels von C-A 2005: Zauber der Kraniche. Knesebeck Verlag, München.


Dank: Das Kranichmonitoring in Äthiopien wurde unterstützt von Kranichschutz Deutschland, NABU, Lufthansa, Chester Zoo, GTZ International Services Äthiopien und Swarovski Optik.


Länderinfo Äthiopien

Äthiopien - auch als das Dach von Afrika bezeichnet - ist wegen seiner kulturhistorischen Schätze mit Klöstern und Kirchen, wegen seiner alten Königspaläste, als Hochburg des christlich-orthodoxen Glaubens und als Fundort von "Lucy" - einem der ältesten Hominiden Fossilienfunde in Afrika - bekannt. Weniger bekannt ist seine artenreiche Vogelwelt, die ca. 860 Arten aufweist, davon 18 Endemiten und mehr als 200 paläarktische Zugvogelarten.

Äthiopien ist drei Mal so groß wie Deutschland und hat etwa 80 Millionen Einwohner. Mehr als die Hälfte ist unter 16 Jahre alt! Mit ca. 2,25 % ist das Bevölkerungswachstum hoch. Ausbildung, Arbeitsplätze und medizinische Versorgung können nur von einem Bruchteil der Bevölkerung in Anspruch genommen werden.

Äthiopien ist ein Agrarland. Kaffee ist das wichtigste Exportgut, Viehzucht- und Erdölprodukte werden ebenfalls ausgeführt. Aufgrund der klimatischen Bedingungen, der politischen Lage und des geringen Bildungsstandes ist Äthiopien eines der am wenigsten entwickelten und eines der ärmsten Länder der Welt. Ein Großteil der Bevölkerung lebt unter der absoluten Armutsgrenze. Die Wirtschaft krankt vor allem an fehlender Infrastruktur und einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Die strukturellen Probleme (Dürreperioden, rasches Bevölkerungswachstum und der daraus resultierende starke Druck auf Umwelt und Ressourcen) sowie die zunehmenden Probleme aus den Industrialisierungsbemühungen sind ungelöst. Der NABU ist offizieller Partner der äthiopischen Regierung bei der Etablierung des ersten UNESCO-Biosphärenreservates im Westen Äthiopiens. Das Kafa-Biosphärenreservat soll den letzten und größten Rest afromontanen Bergwaldes mit einer artenreichen Flora und Fauna schützen. Es ist ein wichtiger CO2-Speicher und Heimat des wilden Arabica-Kaffees.


Kranichschutz Deutschland

Seit den 1970er Jahren führten der NABU und die Umweltstiftung WWF-Deutschland jeweils eigene Kranichschutzprojekte in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg durch. Im östlichen Deutschland haben im gleichen Zeitraum die Mitglieder der "Arbeitsgruppe Kranichschutz" des "Arbeitskreises zum Schutz vom Aussterben bedrohter Tierarten in der DDR" ein Netzwerk zur Überwachung der Kranichbrut- und Rastplätze entwickelt. Nach der Wiedervereinigung schlossen sich die ost- und westdeutschen Kranichschützer im Jahr 1991 mit Unterstützung der Lufthansa Umweltförderung zur "Arbeitsgemeinschaft Kranichschutz Deutschland" zusammen. Eine gemeinnützige "Kranichschutz Deutschland GmbH" wurde 1996 mit dem NABU und dem WWF als Gesellschafter gegründet. Ihr Ziel ist es - neben der Öffentlichkeitsarbeit - dem Kranich eine sichere Brutheimat sowie störungsfreie Sammel- und Rastplätze in Deutschland zu erhalten und zum internationalen Kranichschutz beizutragen.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 11/2010
57. Jahrgang, November 2010, S. 470-472
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2010