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ARTENRAUB/025: Mystisches Wesen - Westafrikanische Seekuh vom Aussterben bedroht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Mai 2011

Umwelt: Mystisches Wesen - Westafrikanische Seekuh vom Aussterben bedroht

Von Amanda Fortier


Dakar, 31. Mai 2011 (IPS) - Der Manati, auch Seekuh genannt, ist ein Meeressäuger, dessen Form an einen Torpedo erinnert. Er gleitet gemächlich durch die warmen Gewässer der Erde von der Karibik über Südamerika bis Afrika, wo er in Küstennähe, in Flüssen und Feuchtgebieten vom Senegal bis Angola vorkommt. Schon Ende des 18. Jahrhunderts wurde ein enger Verwandter von Jägern ausgerottet. Die Stellersche Seekuh lebte damals in den polaren Gewässern des Nordpazifiks. Als leichte Beute fiel sie kurz nach ihrer Entdeckung Seefahrern und Jägern zum Opfer und gilt heute als ausgestorben. Jetzt ist auch das Überleben der Westafrikanischen Seekuh gefährdet.

Unter Forschern wird der Meeressäuger häufig sogar als 'das vergessene Tier' bezeichnet, obwohl dieses Geschöpf schon seit über 45 Millionen Jahren existiert. Der Afrikanische Manati gehört zur Familie der Rundschwanz-Seekühe, zu der auch der Fluss-Manati und der Nagel-Manati zählen. Sie stehen alle drei auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten der Vereinten Nationen. Obwohl man nur wenig über die exakte Zahl und die Verteilung der Afrikanischen Seekühe weiß, wird diese Art als am stärksten gefährdet eingeschätzt. Die Tiere werden noch immer illegal gejagt, weil man für ihr Fleisch, ihre Haut und Knochen viel Geld bekommt.

Lucy Keith-Diagne, wissenschaftliche Mitarbeiterin der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation 'EcoHealth Alliance', befasst sich seit über zehn Jahren mit den seltenen Meeressäugern. In Afrika sei die Seekuh das am wenigsten erforschte Großtier, sagt sie. Manatis sind sehr scheue Wesen, die in trübem Wasser und an entlegenen Plätzen leben. "Die meisten Menschen bekommen sie leider nur tot oder als Gulasch im Kochtopf zu sehen."

Seekühe sind Nomaden und scheue Einzelgänger. Außerdem pflanzen sie sich sehr langsam fort. Sie paaren sich nur alle zwei Jahre und bringen dann bloß ein einziges Kalb zur Welt. Da diese Tiere nur so selten gesichtet werden, sind sie in den Augen vieler Menschen zu einem Mysterium geworden. Bei einigen Fischergemeinden in Westafrika sind sie sogar gefürchtet.


Sagenumwobene Kreatur und begehrte Jagdtrophäe

Von der senegalesischen Hauptstadt Dakar aus bemüht sich die Umweltschutzorganisation 'Oceanium' darum, die Seekühe im Senegal-Fluss, im Mündungsgebiet und in den Mangrovenwäldern im Süden des Landes zu schützen. Der bekannte Umweltschützer Haidar El Ali ist der Leiter von Oceanium. Er engagiert sich seit mehr als 25 Jahren für den Naturschutz und arbeitet vor Ort mit den 'Thioubalo' zusammen, den Völkern, die in Flussnähe leben.

Haidar erklärt: "Die Seekuh gilt als mystisches Wesen. In den Dörfern der Casamance müssen die Jäger, die einen Manati erlegen wollen, viele verschiedene Talismane anlegen. Außerdem muss ein Ritual vollzogen werden, das bis zu zwei Stunden dauern kann, bevor sie es wagen, eine Seekuh zu jagen." Die Casamance ist eine wasserreiche Region im senegalesischen Süden.

Viele Afrikaner glauben, dass die Seekuh den afrikanischen Wassergeist 'Mami Wata' verkörpert, den sie sich als eine Art Meeresjungfrau vorstellen. Die Wissenschaftlerin Lucy Keith-Diagne erklärt jedoch, dass Mami Wata in den verschiedenen afrikanischen Ländern sehr unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben werden. "In Gabun glaubt man, sie sei eine schöne junge Frau, die Männer unter Wasser zieht, um sie mit in ihr Reich zu nehmen. Ihre Gefangenen lässt sie niemals wieder gehen", erzählt sie. "Im Grunde erklären sich die Menschen damit das Schicksal verschollener Fischer."

In Nigeria ist Mami Wata ein guter Geist, der Menschen in seine Unterwasserwelt mitnimmt, sie aber später wieder freigibt. Danach ist der Familie des Heimkehrers ein glückliches Leben beschieden. In Kamerun ist 'Mami Wata' ein anderes Wort für Prostituierte. "Trotz aller Legenden gibt es nur wenige Orte, an denen der Seekuh der Respekt entgegengebracht wird, der ihr das Leben rettet."

Seekühe sind Pflanzenfresser und ernähren sich von mehr als 60 verschiedenen Arten von Wasserpflanzen und halbaquatischen Gewächsen. Sie können an einem Tag das 15-fache ihres eigenen Körpergewichts verschlingen. Die größte Gefahr für die Tiere geht von den Menschen aus, die gezielt Jagd auf sie machen und ihnen - allerdings eher unbeabsichtigt - mit ihren Netzen und Unterwasserdämmen tödliche Fallen stellen.

Für die Jäger der Meeressäuger gibt es einen starken finanziellen Anreiz. Der Umweltschützer Haidar El Ali erklärt: "Eine Seekuh bringt etwa 400 bis 500 Kilo auf die Waage. Wenn man das Fleisch auf einem senegalesischen Markt für zwei US-Dollar pro Kilo verkaufen kann, lässt sich damit eine Menge Geld zu verdienen."

In Westafrika stehen die Seekühe eigentlich unter Schutz, doch werden die Gesetze nicht hinreichend durchgesetzt. Zusammen mit dem mangelnden Verständnis für die Tiere führt dies dazu, dass die Zahl der Manatis immer weiter schrumpft.


Strategien zum Schutz der Seekühe

Momar Sow koordiniert zurzeit ein Schutzprojekt für Seekühe in sechs westafrikanischen Ländern, das unter der Schirmherrschaft der Organisation 'Wetlands International' läuft. Seiner Erfahrung nach haben die Meeressäuger in der öffentlichen Wahrnehmung der einzelnen Länder einen sehr unterschiedlichen Stellenwert. "Glücklicherweise haben Senegalesen, Gambier und Guineer traditionell großen Respekt vor dieser Tierart", meint Momar Sow. "Außerdem finden sich unter den jungen Leuten nur noch selten Jäger, da die althergebrachten Jagdmethoden nicht mehr an sie weitergegeben werden. Aus unserer Sicht ist es ein glücklicher Umstand, dass sie nicht wissen, wie man Seekühe tötet."

Momar Sow zufolge ist Sierra Leone das Land, in dem am häufigsten Jagd auf Seekühe gemacht wird. Es bestürzt ihn zu sehen, dass die Meeressäuger wie Rinder abgeschlachtet werden. "In einigen Ländern werden die Seekühe als dem Menschen ebenbürtige Wesen betrachtet. Anderswo haben die Leute eine persönliche Geschichte, vor deren Hintergrund ihnen die Seekühe als Lebewesen nicht wichtig sind. An Orten, wo Flüchtlinge leben, sind diese Tiere nicht mehr als ein Stück Fleisch."

Dank der Arbeit von Organisationen wie Wetlands International und Oceanium rücken die Seekühe jetzt wieder ins öffentliche Bewusstsein. Bisher konnte Oceanium 22 Manatis im Senegal retten. Außerdem arbeitet die Gruppe zusammen mit der Lokalbevölkerung am Aufbau des Ökotourismus. Künftig sollen Besucher die Möglichkeit haben, gegen Bezahlung die Seekühe in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten.

Dem Umweltschützer Haidar El Ali zufolge ist der Ökotourismus eine gute Strategie in einem Land, in dem die Menschen in erster Linie darum kämpfen müssen, etwas zu Essen auf dem Tisch zu bekommen. Ihre Gedanken drehen sich deshalb nicht hauptsächlich darum, wie sie ein seltenes Tier vor dem Aussterben schützen könnten, sagt er. "Nur, wenn die Menschen mit der Umwelt Geld verdienen können, sehen sie einen Grund, ihre Umgebung zu schützen." (Ende/IPS/jb/2011)


Links:
http://www.ecohealthalliance.org/
http://www.wetlands.org/Whatwedo/Adaptingtoclimatechange/Mangrovesreefsforcoastalprotection/GreenCoastscommunitybasedrestoration/MangrovesfortheFuture/tabid/1339/Default.aspx
http://www.projecktbluesea.de/ocean/seekuehe.html
http://www.evangelisch.de/themen/umwelt/der-wei%C3%9Fe-gr%C3%BCne-bei- den-schwarzen31141
http://westafrikaportal.de/senegal.html
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55758

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. Mai 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2011