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ARTENSCHUTZ/065: Mittelweg zwischen Ökonomie und Artenschutz gesucht - Interview mit CBD-Chef (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. März 2012

Umwelt: Mittelweg zwischen Ökonomie und Artenschutz gesucht - Interview mit CBD-Chef

von Stephen Leahy


Vancouver, Kanada, 5. März (IPS) - Das Lebenserhaltungssystem der Erde, das Luft, Wasser und Nahrung erzeugt, wird nach neuesten Schätzungen von 8,7 Millionen Spezies aufrechterhalten. Über 99 Prozent dieser Arten wissen wir nur wenig, außer dass zu viele von ihnen rasch ausgestorben sein werden.

Was kann getan werden, um diesen Prozess, der möglicherweise auch zur Vernichtung der Menschheit führen könnte, zu verlangsamen? "Die Herausforderung liegt darin, den Mittelweg zwischen wirtschaftlichen Interessen, Lebensgrundlagen und Naturschutz zu finden", sagte Braulio Ferreira de Souza Dias, der neue Direktor des Sekretariats der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) in Montreal, im Interview mit IPS. CBD soll den Staaten der Welt dabei helfen, den Verlust von Flora und Fauna abzubremsen und umzukehren.

Der Brasilianer promovierte an der Universität Edinburgh in Zoologie und war lange Jahre im Umweltministerium seines Landes tätig. Zuletzt war er dort für Biodiversität und Wälder zuständig. Im Gespräch mit IPS forderte Ferreira de Souza Dias, dass der Artenschutz in allen staatlichen Strategien und Bereichen verankert werden muss.

Ferreira de Souza Dias zufolge nimmt die Landwirtschaft großen Einfluss auf die Artenvielfalt. "Die Umwandlung von Landschaften in Agrarland führt zu dem Verlust von Ökosystemdienstleistungen wie Flutreduzierung sowie das Reinigen und Zurückhalten von Wasser. Wir büßen auch die genetische Vielfalt und damit künftige Optionen zur Bekämpfung von Krankheiten ein", erklärte er. Sobald eine Spezies aussterbe, sei sie für immer verloren.


Einbindung aller staatlichen Stellen gefordert

Als oberstes Ziel von CBD bezeichnete Ferreira de Souza Dias die Beteiligung aller staatlichen Institutionen und Behörden am Artenschutz. Wenn neue Regelungen und Strategien entworfen würden, sollten stets deren Folgen für die Artenvielfalt in Betracht gezogen werden. Studien wie 'The Economics of Ecosystems and Biodiversity' (TEEB) lieferten Daten, die belegten, welche Bedeutung die Biodiversität für die Volkswirtschaften hat. "Patentrezepte gibt es aber nicht", betonte er.

In Brasilien wird derzeit über Änderungen des Forstgesetzes gestritten, die die Abholzung des Regenwaldes vorantreiben könnten. "Die Regierungen müssen mit den konkurrierenden Interessen von Bauern und Umweltschützern umgehen", meinte Ferreira de Souza Dias.

2011 habe das brasilianische Abgeordnetenhaus eine Fassung des Gesetzes gebilligt, die den Interessen der Landwirtschaft entgegenzukommen schien, berichtete er. Im Dezember habe der Senat jedoch für Änderungen votiert, die auf eine ausgewogenere Herangehensweise abzielten. Über diese Fassung werde die Abgeordnetenkammer nun im März abstimmen.

"Brasilien hat im vergangenen Jahrzehnt erfolgreich die Entwaldung verringert, indem die Bevölkerung besser über den Wert des Naturschutzes und der natürlichen Ökosysteme informiert wurde. Die Öffentlichkeit hat ihren Druck auf die Regierung definitiv verstärkt", sagte der CBD-Chef.

Für ebenso wichtig wie gute Informationen hält Ferreira de Souza Dias die finanziellen Instrumente. "Bei unserer nächsten Vertragsstaatenkonferenz im indischen Hyderabad (COP 11) wünsche ich mir eine Einigung darüber, dass Regierungen bei allen ihren Beschaffungen Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen", sagte er.

COP 10 hatte vor zwei Jahren zu dem Nagoya-Protokoll geführt, das den Zugang zu genetischen Ressourcen und die faire Teilung der Vorteile durch ihre Nutzung vorsieht. Nach Ansicht von Ferreira de Souza Dias ist die Staatengemeinschaft in Nagoya große Verpflichtungen im Kampf gegen das Artensterben eingegangen. Er sprach von "einem großen Erfolg". Jedes Land habe nun eine nationale Strategie und einen Aktionsplan zum Schutz der Biodiversität innerhalb der eigenen Grenzen.

"Diese Verpflichtung muss nun auch auf übernationale Ebenen und in alle Bereiche gebracht werden. Für die meisten Länder ist das aber nicht einfach und erfordert finanzielle und technische Unterstützung", räumte er ein.


Mehr als 90 Staaten wollen Nagoya-Protokoll ratifizieren

Laut Ferreira de Souza Dias haben mehr als 90 Staaten bereits ihre Zustimmung zu dem Nagoya-Protokoll erklärt und versichert, es zu ratifizieren. Dennoch erfordere es noch Zeit, bis die Gesetzgebungsverfahren in den einzelnen Ländern abgeschlossen sind. Der CBD-Chef befürchtet, dass bis zu COP 11 im nächsten Oktober die 50 Ratifizierungen daher nicht erfolgt sein werden, die für das Inkrafttreten des Protokolls notwendig sind.

In Hyderabad wird unter anderem auch über neue Finanzierungsmechanismen und ein Arbeitsprogramm beraten. Einen besonderen Rang wird der Schutz der offenen Meere und des dort vorhandenen Planktons einnehmen, das viel Sauerstoff produziert. Da die Ozeane nicht zu den Hoheitsgebieten einzelner Staaten gehörten, sind sie auch nicht Teil der nationalen Strategien. (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.cbd.int/
http://www.teebweb.org/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2012