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ARTENSCHUTZ/084: Indien - Ghat-Berge unter UNESCO-Schutz, Politik und Wirtschaft leisten Widerstand (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. August 2012

Indien: Ghat-Berge unter UNESCO-Schutz - Politik und Wirtschaft leisten Widerstand

von Malini Shankar


In den Westlichen Ghat-Bergen entspringen 62 Flüsse - Bild: © Malini Shankar/IPS

In den Westlichen Ghat-Bergen entspringen 62 Flüsse
Bild: © Malini Shankar/IPS

Bangalore, Indien, 7. August (IPS) - Die UN-Kultur- und Wissenschaftsorganisation UNESCO hat das Westliche Ghat-Gebirge in Indien auf die Liste des Weltnaturerbes aufgenommen. Experten betrachten das Gebiet als eines der artenreichsten auf dem gesamten Subkontinent. Wirtschaftliche und politische Interessen in Indien gehen aber in eine ganz andere Richtung.

Der Gebirgszug, der nach Schätzungen von Geologen mit mehr als 150 Millionen Jahren älter ist als der Himalaja, verläuft entlang der Westküste Indiens. Er gilt als letztes Gebiet, in dem alle wichtigen Ökosysteme des Landes zu finden sind.

So gibt es dort sechs verschiedene Waldarten, darunter dichte immergrüne Regenwälder, Laubwälder, Pinienwälder, Grasland und 'Sholas' (Talwälder). Nirgendwo sonst auf der Welt ist der Artenreichtum von Tieren und Pflanzen größer.

In den Westlichen Ghat-Bergen entspringen mehr als 60 Flüsse, die fast 75 Millionen Menschen in 28 Ländern mit Wasser versorgen. Die Wälder sind außerdem wichtige Auffangbecken für den Monsun-Regen. Der Gebirgszug zieht sich über eine Länge von fast 1.600 Kilometern parallel zur indischen Westküste hin und hat eine durchschnittliche Höhe von 1.200 Metern über dem Meeresspiegel. Es ist daher kein Wunder, dass 17 Staaten in Asien den Antrag der Region auf Aufnahme in die Weltnaturerbe-Liste unterstützten.

In den Grasgebieten am Rand der Wälder sind seltene Arten wie die Königskobra, die Malabar-Schlange, die Schlangengattung Kraits sowie Pythons heimisch. Dort wurden auch mindestens 508 Vogel-, 156 Reptilien-, 334 Schmetterlings-, 218 Fisch-, 121 Amphibien- und 120 Säugetierspezies registriert. Auf den Bergen, die bis zu den Wolken reichen, findet man mehr als 4.000 endemische Pflanzenarten. Aus einer einzigen Höhle im Kudremukh-Wald entspringen drei Flüsse: Tunga, Bhadra und Netravati.

Insgesamt 39 Orte werden den UNESCO-Schutz erhalten. Genaue Kontrollen durch die Weltorganisation sollen die fragilen Ökosysteme auch für die Zukunft erhalten. "Die 39 Orte sind über ein Gebiet von insgesamt etwa 8.000 Quadratkilometer verteilt. Dies entspricht ungefähr fünf Prozent der Gesamtausdehnung der Westlichen Ghat-Berge über 140.000 Quadratkilometer", sagt der Leiter des 'Wildlife Institute of India' (WII), V.B. Mathur.

In der Region liegen zudem ein Schutzgebiet für Elefanten, elf Tigerreservate, zwölf weitere Schutzgebiete für wildlebende Tiere, sieben Nationalparks und acht Waldreservate.


Politiker und Unternehmer fürchten finanzielle Einbußen

Umweltschützer, die lange Zeit über Versäumnisse beim Umweltschutz in Indien geklagt haben, begrüßen die Entscheidung der UNESCO: Vertreter politischer Parteien und Unternehmer sind damit hingegen nicht sonderlich zufrieden. Ihre Pläne, das Gebiet stärker durch den Menschen nutzbar zu machen, dürften durch den neuen Welterbe-Status durchkreuzt werden.

Durch Sonderregelungen war in der Vergangenheit bereits erreicht worden, dass der Bergbau in der Region unter Umgehung der Umweltauflagen fortgesetzt werden konnte. Wenn die Westlichen Ghat-Berge jedoch unter internationaler Beobachtung stehen, wird es nicht mehr möglich sein, die Naturschutzgesetze zugunsten anderer Interessen zurechtzubiegen.

Insbesondere die Regierungen der Bundesstaaten Karnataka und Kerala wehren sich gegen zusätzlichen Schutz für den Gebirgszug. Das Parlament in Karnataka ging sogar so weit, eine Resolution gegen den Schutz des Gebiets durch die UNESCO anzunehmen. Politiker in beiden Staaten beharren darauf, dass die bestehenden Gesetze für den Artenschutz ausreichend sind.

"Der Erhalt des Ghat-Gebirges sollte eher von innen und nicht von außen garantiert werden", meinte K.N. Ganeshiah von der Universität für Agrarwissenschaften. Eine Expertengruppe, die von dem indischen Umweltministerium gebildet worden sei, habe bessere Ratschläge gegeben als die UNESCO unterbreiten könne.

Dahinter stehen allerdings auch massive wirtschaftliche Interessen. Das an Bodenschätzen und Wasser reiche Gebiet ist attraktiv für Bergbau- und Wasserkraftprojekte. Der für die Wälder zuständige Minister in Karnataka kritisierte, dass sogar die Entwicklung des Öko-Tourismus durch die strikten UNESCO-Standards erschwert werde.


Oberstes Gericht steht auf der Seite der Naturschützer

Bezeichnenderweise konnte der Bau eines siebten Staudamms über den durch Urwälder verlaufenden Kalinadi-Fluss erst durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs Indiens gestoppt werden. Beobachter sehen darin ein deutliches Zeichen dafür, dass die Politik nicht am Erhalt der Umwelt interessiert ist.

Dasselbe Gericht hatte bereits im Jahr 2000 einem geplanten Eisenerzbergwerk im Kudremukh-Wald den Riegel vorgeschoben und damit einen längerfristigen Schutz der empfindlichen Ökosysteme ermöglicht. Der Wald liegt in einem der größten Täler Asiens und beherbergt viele endemische Pflanzenarten.

Ohne ein Urteil des Obersten Gerichts von 1996 hätten die Minenarbeiten in dem Tigerreservat Dandeli Anshi niemals aufgehört. Manoj Kumar, einer der Waldhüter in dem Reservat, warnte zudem davor, dass die zahlreichen Staudämme in dem Gebiet die Migrationsrouten der Tiere blockierten. Dies führe zu Inzucht, durch die mehrere Spezies auszusterben drohten.

Laut einer 2010 vorgelegten WII-Studie leben in den Westlichen Ghat-Bergen 534 Tiger und damit fast ein Drittel der Gesamtpopulation in Indien. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://portal.unesco.org/geography/en/ev.php-URL_ID=15795&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html http://www.wii.gov.in/
http://www.ipsnews.net/2012/07/unesco-protection-crucial-and-controversial/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2012