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GLOBAL/055: Rio+20 - Den Kollaps der Erde verhindern (WWF magazin)


WWF magazin, Ausgabe 2/2012
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Den Kollaps der Erde verhindern

von Matthias Adler und Günter Mitlacher, WWF



Die Zeit ist reif: 20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel sollen die Staats- und Regierungschefs die Weichen für eine "grüne" Wirtschaft stellen, den Kampf gegen die Armut verstärken und das Prinzip Nachhaltigkeit auf allen politischen Entscheidungsebenen verankern.


Seit dem 30. Oktober 2011 bevölkern mehr als sieben Milliarden Menschen unseren Planeten. In weniger als 40 Jahren werden es bereits neun Milliarden sein. Schon jetzt verbrauchen wir natürliche Ressourcen von umgerechnet anderthalb Planeten, wie der WWF in seinem aktuellen "Living Planet Report" errechnet hat. Behalten wir unsere Lebensweise bei, würden wir 2050 sogar zwei Erden benötigen. Deshalb ist es höchste Zeit, konsequent gegenzusteuern, um den Kollaps der Erde zu verhindern.

Drängende Fragen bündeln
Vom 20. bis zum 22. Juni 2012 laden die Vereinten Nationen in Rio de Janeiro zwanzig Jahre nach dem ersten Erdgipfel erneut zur großen Zusammenkunft in Sachen Umwelt. Zur "UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung" (UNCSD) werden Spitzenvertreter der Regierungen aus allen Nationen anreisen. Von ihnen werden Antworten auf die drängendsten Fragen der Menschheit erwartet: Wie ermöglichen wir mehr Wohlstand für die Ärmsten? Wie schaffen wir Zugang zu Trinkwasser für alle? Und wie stillen wir den wachsenden Hunger nach Energie, Holz, Fisch und Fläche für Megastädte - ohne durch Raubbau unseren Planeten zu zerstören? Diese und andere Fragen werden in Rio de Janeiro zu zwei Kernthemen gebündelt: Wie können wir die politische Kraft von Umweltschutz und Nachhaltigkeit verstärken? Wie können wir auf nachhaltige Wirtschaftsformen - so genannte "Green Economy" - umstellen, die Natur und Umwelt nicht weiter zerstören und gleichzeitig Armut verringern?

Welt im Ungleichgewicht
Denn unsere Weil ist nicht nur bevölkerter als jemals zuvor, sie ist auch stärker als je zuvor im Ungleichgewicht. Branko Milanovic, einer der führenden Analysten der Weltbank, hat errechnet: Bereits ein Nettojahreseinkommen von 26.567,70 Euro genügt, um zum reichsten Prozent der Weltbevölkerung zu gehören. Dessen Mehrheit lebt nördlich des Äquators.

Wer hingegen weniger als 96 Eurocent pro Tag zur Verfügung hat, zählt zu den Ärmsten der Erde. Das, so schätzt die Weltbank, werden im Jahr 2015 bereits über 900 Millionen Menschen sein - fast 13 Prozent der Weltbevölkerung. Hier muss drastisch gegengesteuert werden, um Armut zu lindern, Konflikte um Wasser, Land und Energie zu verhindern und keine neuen Flüchtlingsströme und Hungersnöte entstehen zu lassen.

Nahrungs- und Rohstoffmangel auf der einen sowie Wachstum und Wohlstand auf der meist anderen Seite des Äquators hängen eng zusammen. Denn diejenigen, die so leben wie wir in Deutschland, verbrauchen große Mengen an Naturgütern wie Wasser, Boden, Fisch, Holz oder Erdöl und rotten dadurch immer mehr Tier- und Pflanzenarten aus - meist anderswo, in armen Ländern des Südens. Zudem belasten wir Industriestaaten die Luft mit Treibhausgasen - auf Kosten aller Erdbewohner. Entsprechend dramatisch vergrößert sich unser ökologischer Fußabdruck. Darunter verstehen Wissenschaftler die Fläche, die benötigt wird, um die gesamten Naturgüter zu erzeugen, welche die Menschheit innerhalb eines Jahres konsumiert. Dieser ökologische Fußabdruck der Weltbevölkerung hat sich zwischen 1961 und 2007 mehr als verdoppelt. Dabei verbraucht das reichste Prozent der Erdbewohner mit Abstand die meisten Rohstoffe.

Doch der Rest der Welt holt auf. Die vier BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) haben ihren ökologischen Fußabdruck innerhalb von 40 Jahren verzwanzigfacht, der Südostasiatische Staatenverbund (ASEAN) gar verhundertfacht. Trotzdem liegen beide Gruppen im Durchschnitt noch deutlich unterhalb der Industriestaaten.

Auch viele der ganz armen Länder machen Fortschritte und verbrauchen immer mehr natürliche Ressourcen. Wer aber wollte ihnen das Recht absprechen, endlich den gleichen Wohlstand zu genießen wie wir?

WWF fordert Ende des Raubbaus
Diese Entwicklung würde ohne ein Umsteuern die so genannte Biokapazität der Erde überfordern - zumal, wenn die Bevölkerung weiterhin wächst. Eine Welt mit neun Milliarden Bürgern wird nicht mehr nach den gängigen Wirtschaftsprinzipien funktionieren können. Denn Wachstum im bisherigen Sinne wird den Planeten auslaugen und seine Naturreserven aufbrauchen.

Der WWF fordert deshalb vom Erdgipfel in Rio 2012 ein Ende des Raubbaus und endlich den Wechsel hin zu wirklich nachhaltigem Wirtschaften. Wir müssen effizienter mit natürlichen Rohstoffen wie Wasser und Energie umgehen. Und wir müssen unser Konsumverhalten ändern. Die Menschheit muss zu einer Lebensweise in den Grenzen eines Planeten zurückkehren. Das gelingt, wenn unsere Politiker gegen kurzfristiges Gewinnstreben langfristig Umweltschutz und Nachhaltigkeit durchsetzen.

1+1/2 PLANETEN ERDE
Momentan verbrauchen wir global die natürlichen Ressourcen von anderthalb Erden. Jeder kann sich ausrechnen, dass es so nicht weitergehen kann.

Um globale Umweltprobleme endlich in den Griff zu bekommen, sollten die Regierungen deshalb eine eigenständige UN-Umweltorganisation ins Leben rufen, die direkt an die Generalvollversammlung der Vereinten Nationen berichtet. Wichtig ist, dass solch eine Weltumweltorganisation "auf Augenhöhe" mit der Weltgesundheitsorganisation und der Welternährungsorganisation steht. Nach Ansicht des WWF könnte Umweltschutz so besser durchgesetzt werden.

Das Gleiche gilt für Fragen der Nachhaltigkeit, die künftig einen höheren Stellenwert haben müssen. Ein globaler Nachhaltigkeitsrat oder ein Hoher Kommissar für Nachhaltigkeit könnten mehr politische Durchsetzungskraft entfalten.

Mit "grüner Wirtschaft" gegen Armut
Wie aber kann nachhaltiges Wirtschaften gelingen und wie lässt sich damit zugleich die Armut bekämpfen? Das wird in diesem Jahr in Rio das zweite Schwerpunktthema sein.

Die Basis allen Wirtschaftens ist das begrenzte Naturkapital der Erde. Wird ein Waldgebiet nachhaltig bewirtschaftet, sichert es nicht nur die Holzreserven von morgen, sondern auch viele andere Ökosystemleistungen - wie zum Beispiel als Wasser - und Kohlenstoffspeicher, Klimaregulator oder Lebensraum für gefährdete Tiere und Pflanzen. Von diesen kostenlosen Leistungen der Wälder profilieren wir alle.

Der Wert von Natur-Leistungen kann durchaus in Geld ausgedrückt werden. Insekten beispielsweise arbeiten kostenlos als Bestäuber für die Landwirtschaft. Ihren Anteil an den tatsächlichen Ernteerträgen beziffert die TUN auf rund 146 Milliarden Euro - jährlich wohlgemerkt.

Der WWF hat konkrete Vorschläge ausgearbeitet, wie eine "Green Economy" in Deutschland und in anderen Ländern aussehen sollte. Dabei gilt immer: Auch Industriestaaten wie wir profilieren von nachhaltigen Konzepten. Neue umweltschonende Produktionsmethoden, die Sanierung von Gebäuden, die Steigerung der Effizienz oder die Erschließung erneuerbarer Energien versprechen langfristig Arbeitsplätze und Einkommen.

Besonders wichtig sind in Entwicklungsländern Investitionen in Bildung und eine lebenswerte Zukunft, aber auch in die Erhaltung oder Wiederherstellung von "Naturkapital" wie etwa von Naturwäldern, für die sich der WWF intensiv einsetzt. Ein Programm für einen beispielhaften grünen Wirtschaftskreislauf in einer Tropenwaldregion hat der WWF zum Beispiel auf Borneo ins Leben gerufen (Seite 18 der Druckausgabe). Ein solches Engagement in Entwicklungsländern - neben dem vor der eigenen Haustür - erwartet der WWF auch von den Regierungen, die im Juni nach Rio kommen. Schließlich sind sie in der Verantwortung, den nachfolgenden Generationen einen gesunden Planeten zu hinterlassen.


RIO+20 United Nations Conference on Sustainable Development

178 STAATEN FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG

RIO 1992:

NACHHALTIGKEIT
"Nachhaltige Entwicklung" wurde erstmals zum internationalen Leitbild erklärt. Der Natur soll nur so viel entnommen werden, wie natürlich wieder nachwachsen kann.

AGENDA 21
Dieses entwicklungs- und umweltpolitische Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert wurde beschlossen, um Nachhaltigkeit zur Leitlinie öffentlichen Handelns werden zu lassen - global und lokal.

KLIMA
Die UN-Klimaschutzkonvention sollte die Belastung der Atmosphäre durch Treibhausgase bremsen.

BIODIVERSITÄT
Die UN-Konvention über die biologische Vielfalt betonte erstmals die Rechte der Staaten an ihren genetischen Ressourcen.

WÜSTE
Mit einer Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung sollte vor allem dürregeschädigten Staaten in Afrika geholfen werden.


Mehr zum Thema lesen Sie unter wwf.de/rio+20.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

9 MILLIARDEN MENSCHEN IN 2050
Globale Zusammenhänge - Ob Reis als Nahrung, Holz als Rohstoff oder die Großblumige Pfeifenblume als Medizin - nur wer nachhaltig erntet, wird Natur dauerhaft nutzen können. Diese Erkenntnis ist vielen Menschen in den wachsenden Megacitys längst verloren gegangen.

Im Einklang - Nachhaltiger Ackerbau sorgt für ein Auskommen der Menschen ohne Raubbau an den Naturschätzen.

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Quelle:
WWF Magazin, Ausgabe 2/2012, S. 12 - 17
Herausgeber:
WWF Deutschland
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Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der

Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2012