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GLOBAL/100: Beratungen über die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2013 Ziele(n) für nachhaltige Entwicklung - Wer hat noch Pfeile im Köcher?

»Get serious, and get on with the business of the OWG«(1)
Die Open Working Group trifft sich zur Konkretisierung der SDGs

von Marie-Luise Abshagen



Die Rio+20-Konferenz in Rio de Janeiro im Juni 2012 hat wenig Substanzielles hervorgebracht und für viele angesichts ihres gewaltigen Umfangs als die größte bis dato abgehaltene UN-Konferenz ein großes Fragezeichen bezüglich der Nachhaltigkeit von UN-Veranstaltungen geschaffen. Eine der wenigen konkreten Entscheidungen, mit denen die Mitgliedsstaaten auseinandergegangen sind, betrifft die Formulierung von sogenannten Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (sustainable development goals - SDGs), über welche in der intergouvernementalen Open Working Group (OWG) beraten wird.


Auf dem MDG-Gipfel 2010 wurde der Prozess der post-2015-Agenda eingeleitet, mit dem Ziel eine Entwicklungsstrategie nach dem Auslaufen des festgelegten Zeitraums der Millennium Entwicklungsziele (MDGs nach engl. Millennium Development Goals) zu finden. Er wird betreut von High Level Panel of Eminent Persons (HLP), welches 2011 von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ins Leben gerufen wurde und aus Mitgliedern der Zivilgesellschaft, dem privaten Sektor und Regierungen besteht. Das HLP, in dem beispielsweise Horst Köhler vertreten ist, hat Ende Mai 2013 seinen Bericht vorlgelegt. Dieser fließt in den Bericht des Generalsekretärs zur Post-2015-Entwicklungsagenda ein, welchen Ban auf der Generalversammlung im September vorlegen wird.

Auf der Rio+20-Konferenz letzten Jahres wurde nun beschlossen, Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zu formulieren, welche die Schwächen der MDGs aufgreift und außerdem um Aspekte der Nachhaltigkeit erweitert. Die Erstellung der SDGs wird übernommen von der OWG, in welcher Vertreter der fünf UN-Regionalgruppen gemeinsam arbeiten. Deren Beteiligung teilt sich auf in 30 Sitze, welche zumeist mehrere Länder belegen, Deutschland zum Beispiel mit Frankreich und der Schweiz. Geleitet wird die OWG von Csaba Kõrösi aus Ungarn und Macharia Kamau aus Kenia. Auf der Agenda: SDGs und Armutsbekämpfung.

Die OWG ist somit eines der wichtigsten Entscheidungsforen zur Post-2015-Entwicklungsagenda. Nach einigem hin und her traf sie sich im Januar 2013 das erste Mal um seine Struktur und zu bearbeitende Themenfelder zu klären. Mit dem zweiten Treffen vom 17. bis 19. April begannen die inhaltlichen Diskussionen. Der erste Teil dieser Sitzung beschäftigte sich mit der Konzeptualisierung der SDGs. Hierbei befassten sich die Delegierten mit der Frage, wie die Ziele universell anwendbar und gleichzeitig bedeutend für die besonderen Umstände in unterschiedlichen Ländern sein könnten. Man war sich uneinig über die richtige Balance zwischen der Notwendigkeit von einfachen, klaren Zielen ähnlich dem Format der MDGs und einem Rahmen, der nicht nur global sondern eben auch auf alle Länder anzuwenden sei.

Zwei wichtige Meinungen bildeten sich dabei heraus. Zum einen könnte es Ziele geben, deren verschiedene Unterziele oder Zeiträume dem jeweiligen Entwicklungslevel oder Bedürfnissen der Staaten angepasst würden. Die Alternative wären SDGs mit einer Vielzahl von Unterzielen und Indikatoren, denen die Länder selber Prioritäten zuweisen. Obwohl letzteres generell bevorzugt wurde, bestand dennoch die Sorge, die SDGs könnten am Ende einem »Weihnachtsbaum« gleichen. Die Teilnehmer diskutierten außerdem den Zusammenhang zwischen SDGs und MDGs, sowie wichtige Lektionen des MDG-Prozesses. Man war der Überzeugung die SGDs sollten »bigger, deeper and more transformative« sein als die MDGs, wobei die MDGs keinesfalls aufzugeben sondern vielmehr auf ihnen aufzubauen sei.

Die Diskussion über Armutsbekämpfung konzentrierte sich im Großen und Ganzen darauf, ob diese ein überragendes Ziel in den SDGs oder eines unter vielen darstellen sollte. Die Entscheidung darüber wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Auch die Frage wie die Multidimensionalität von Armut in den SDGs angemessen reflektiert werden könnte, wurde angeschnitten.


Unterschiedliche Vorstellungen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern
Schon in der frühen Phase der Formulierung der SDGs zeichneten sich Unterschiede zwischen Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern ab. Die Entwicklungsländer betonten in der Sitzung, dass das Prinzip der gemeinsamen, aber verschiedenen Verantwortung unbedingt auch für die SDGs gelten müsse. Auch waren einige Entwicklungsländer unzufrieden über die weitergehende Agenda der OWG, bei welcher sich Energie und Klimawandel in der gleichen Diskussionssitzung befinden. Ihrer Ansicht nach, sollte sich der SDG-Prozess eher auf Entwicklungsaspekte von Energie konzentrieren und dem Zugang zu Energie für Arme. Die Industriestaaten wiesen wiederum darauf hin, dass bestehende Allianzen zwischen Ländern im Angesicht einer aufkommenden neuen globalen Ordnung redundant seien.


»Zero net land degradation« und nachhaltige Wassernutzung als Schwerpunkte der 3. OWG-Sitzung
Ein drittes Treffen der OWG fand vom 22. bis 24. Mai statt. Themenschwerpunkte lagen dieses Mal auf Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung, nachhaltiger Landwirtschaft, Dürren, Desertifikation, Landdegradation, Wasser und sanitären Einrichtungen. Grundlage der Diskussion war das Verständnis über die Notwendigkeit einer ausreichenden Ernährung für alle Menschen als Teil von Armutsreduktion und nachhaltiger Entwicklung. Es herrschte relative Einigkeit darüber, dass nachhaltige Landwirtschaft ein wichtiger Schritt sei zu dessen Umsetzung, aber noch vor einer Reihe von Hindernissen stehe. Die G77 verwiesen beispielsweise darauf, dass sie durch Agrar- und Handelssubventionen behindert werde, die Afrikanische Gruppe beleuchtete Hindernisse zum Marktzugang und Preisschwankungen, Togo bewarb die intensivere Förderung von lokalen Gemeinschaften und die EU forderte einen auf Rechten basierenden Ansatz. Besonders hervorgehoben wurde die »Zero Hunger Challenge« des UN-Generalsekretärs, welche viele Beteiligte als Grundlage für ein SDG zur Nahrungsmittelsicherheit sahen.

Eine Mehrzahl der Beteiligten appellierte außerdem für ein »zero net land degradation«-Ziel, bei welchem degradationsneutraler Umgang mit Land erreicht werde durch die Vermeidung von Zerstörung oder durch Wiederherstellung von Land. Während die Verbindung zwischen Nahrung, Land, Wasser und anderen Entwicklungszielen anerkannt wurde, gab es Uneinigkeit bei der Frage, ob Nahrungsmittelsicherheit und Landdegradation auf verschiedene Ziele aufgeteilt und andere Faktoren wie etwa nachhaltige Produktionsketten, Abbau schädlicher Subventionen und internationaler Handel integriert werden sollten.

Zum Thema Wasser und sanitäre Anlagen beschäftigte sich die OWG unter anderem mit gerechtem Zugang, den Vorteilen von Investitionen, den Lehren der MDGs und der Notwendigkeit der Beachtung des Nexus aus Wasser - Energie - Nahrung. Einige Länder wie die Pazifischen Inselstaaten und die Westafrikanischen Staaten wiesen darauf hin, dass MDGs bezüglich Wasser und sanitären Einrichtungen noch nicht erreicht seien und die SDGs weitreichender sein müssten als die MDGs. Als möglicher Teil der SDGs wurden sowohl ein einzelnes Wasserziel wie auch die Integration in andere Ziele vorgeschlagen, da Verbindungen unter anderem zu Gesundheit, Bildung, Armut und Ökosystemen gesehen wurden. Besondere Unstimmigkeit ergab sich in Bezug auf die Nutzung des Begriffs »Wassersicherheit«, welcher von UN-Water als ein Menschenrecht auf Wasser und gerechter Zugang definiert wurde. Dies rief bei einigen Ländern die Befürchtung hervor, dadurch sicherheits- und nicht entwicklungspolitische Schwerpunkte zu betonen.


Viele Fragen sind bisher noch ungelöst
Im Abschlussdokument von Rio+20 wurde festgelegt, die SDGs sollten auf einige wenige Ziele beschränkt werden, ehrgeizig und einfach zu kommunizieren sein. Außerdem sollten sie die drei Dimensionen von Nachhaltigkeit berücksichtigen und mit der Post-2015-Entwicklungsagenda der UN kohärent sein. Der konkrete Inhalt der SDGs bleibt bisher aber noch unklar.

Im Kern hat die OWG bisher genau jene Fragen angesprochen, welche die Weltgemeinschaft zu klären versucht. Was wird aus den MDG, insbesondere jenen, die wir noch nicht erfüllt haben? Welche Ziele brauchen wir für eine neue, effektive, nachhaltige Entwicklungsagenda? Wie verhindern wir den Weihnachtsbaum-Effekt, bei dem alles drauf ist, jeder sich nehmen kann, was er will, aber dann nichts erfolgreich und alles unabhängig voneinander umgesetzt wird? Wie lässt sich eine globale Agenda formulieren, die gleichzeitig in den unterschiedlichen Realitäten der Entwicklungs- und der Industrieländer umgesetzt werden kann? Wie lassen sich Umwelt und Entwicklung verbinden? Wie können die Erkenntnisse des HLP, der OWG und anderer Akteure zusammengeführt werden? Wie können die bisher erarbeiteten Ideen und Konzepte tatsächlich so offen und partizipatorisch in den Entstehungsprozess der Post-2015-Agenda integriert werden, wie es die UN anstrebt?

Die OWG trifft sich noch einige Mal bis Februar 2014. Innerhalb der 68. Sitzungsphase (September 2013 bis September 2014) der Generalversammlung muss die OWG einen abschließenden Bericht mit konkreten Zielen fertig stellen. Die Zeit drängt also.


Autorin Marie-Luise Abshagen arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung zu Rio+20 und dem SDG-Prozess.


Anmerkung

(1) Macharia Kamau auf der zweiten Sitzung der OGW. IISD (22. April 2013): »Summary of the Second Session of the UN General Assembly Open Working Group on Sustainable Development Goals: 17-19. April 2013«, IISD Reporting Service 32:2. http://www.iisd.ca/download/pdf/enb3203e.pdf


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2013, S. 6-7
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2013