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GLOBAL/107: Scheitern Vorverhandlungen für das Nagoya-Protokoll an der EU? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Vorverhandlungen für das Nagoya-Protokoll
Scheitert eine gerechte Regelung an der EU?

von François Meienberg



Ende Februar 2014 traf sich im südkoreanischen Pyeongchang das zwischenstaatliche Komitee zum Nagoya-Protokoll zum dritten Mal, um erneut Details des Protokolls zu diskutieren und die erste Konferenz der Vertragsparteien vorzubereiten. Nicht diskutiert wurde in Pyoengchang die Implementierung des Protokolls in der EU, obwohl diese für den Erfolg oder Misserfolg des Protokolls entscheidend sein wird.


Das Nagoya-Protokoll über den Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechten Vorteilsausgleich füllt wichtige Lücken im Schutz von Biodiversität und der gerechten Nutzung von natürlichen Ressourcen. Auf der Grundlage von gegenseitiger Zustimmung soll ein Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen der Geber- und Ursprungsländer genetischer Ressourcen und derjenigen Länder erfolgen, in denen die genetischen Ressourcen genutzt werden. Damit soll insbesondere auch die von Entwicklungsländern angeprangerte Biopiraterie angegangen werden, bei welcher biologische Materialen kommerziell weiterentwickelt werden, ohne dass die Länder, in welchen die Materialien ursprünglich entdeckt wurden, entschädigt werden.

Vorverhandlung in Pyoengchang
Die meisten Beobachter rechnen damit, dass das Nagoya-Protokoll bis zum Sommer 2014 von 50 Staaten ratifiziert werden wird und somit im Herbst - ebenfalls in Pyeongchang - die erste Konferenz der Vertragsparteien stattfinden kann. An den Vorverhandlungen wurden nun Einzelheiten des Protokolls wie Umsetzung, Kontrolle und Berichterstattung, einen globalen multilateralen Vorteilsausgleichs-Mechanismus und die Ausgestaltung einer internationalen Informationsplattform diskutiert. Doch viele Fragen konnten bei der Vorverhandlung nicht geklärt werden, insbesondere in Bezug auf Verpflichtungen und Konsequenzen bei Nichteinhaltung. Diese werden nun bei der ersten Konferenz der Vertragsparteien im Mittelpunkt der Diskussion stehen.

Der Elefant im Raum: die EU
Die Implementierung des Nagoya Protokolls durch die EU ist für den Gesamterfolg des Protokolls entscheidend. Am Treffen in Pyeongchang hat die EU über den Prozess in Europa berichtet, eine formelle Diskussion über den Vorschlag fand jedoch nicht statt. Dafür war in den Gängen des Kongresszentrums der kontroverse EU-Verordnungsentwurf das Gesprächsthema Nummer 1. Losgetreten wurde das durch einen Brief(1) der »Like Minded Mega-Diverse Countries«(2) vom 20. Februar 2014, an EU-Parlament und -Ministerrat, der eine Reihe von Bedenken äußert. Im Zentrum der Kritik steht, dass genetische Ressourcen und damit verknüpftes traditionelles Wissen, auf welche bereits vor dem Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls für die EU zugegriffen wurde, aus dem Geltungsbereich generell ausgeschlossen werden.

Auf diese Weise werden die riesigen Mengen von genetischen Ressourcen, die schon in Genbanken, botanischen Gärten, Bioarchiven und sonstigen Sammlungen eingelagert sind, bei deren späteren Nutzung der Pflicht des Vorteilsausgleichs entzogen - unabhängig davon, ob sie legal erworben wurden oder ob beim Zugang einschlägige Gesetze des Herkunftslandes verletzt wurden. Die Geberländer dieser Ressourcen sollen danach in der EU keine diesbezüglichen Ansprüche mehr durchsetzen können. In ihrem Brief betonen die LMMC, dass dies eine sehr ungenügende Umsetzung des Protokolls sei. Ihrer Meinung nach löst jede neue Nutzungsart, auch wenn diese auf der Basis von genetischen Ressourcen geschieht, die bereits vor 2014 in der EU waren, die Pflicht des gerechten Vorteilsausgleichs aus.

Das sind riesige Unterschiede bezüglich des Anwendungsbereichs des Protokolls. Die meisten Nutzer von genetischen Ressourcen beziehen ihr Material aus den großen, schon existierenden Sammlungen. Sie reisen nicht selbst in den Urwald und verhandeln nicht mehr mit den dortigen Ursprungseignern. Der Rahmen der EU-Verordnung verengt den Vorteilsausgleich auf einen kleinen Ausschnitt. Der gerechte und ausgewogene Vorteilsausgleich wird damit verfehlt. Die LMMC bitten in ihrem Brief die EU, bei der Finalisierung der Verordnung diesen Bedenken Rechnung zu tragen. Dazu bräuchte es wohl ein kleines Wunder. Es fehlt der politische Wille, insbesondere im Ministerrat, und zudem gibt es, so kurz vor der fast nur noch formalen Schlussabstimmung in Parlament und Rat, kaum Raum für substantielle Änderungen.

Große Unterschiede in der Umsetzung
Die Konsequenz? Die Implementierung des Nagoya-Protokolls in der EU und in den biodiversitätsreichen Ländern des Südens klafft auseinander. Auch in Zukunft wird in der EU vieles legal sein, was in den Ländern des Südens illegal ist. Rechtssicherheit sieht anders aus. Selbst wenn Biopiraten im Süden verurteilt sind, können sie in Europa auf Biopiraterie basierende Produkte weiterhin frei verkaufen. Gut möglich, dass sich die LMMC mit einer solchen Lösung nicht zufrieden geben und den Zugang zu genetischen Ressourcen so lange OPEC-artig einschränken, bis die Gesetzgebung in Europa korrigiert wurde. In Pyeongchang wurde ein Kommentar(3) zur EU-Verordnung durch die Erklärung von Bern, Natural Justice und die United Nations University veröffentlicht. Auch darin wird, zusätzlich zu weiteren Mängeln und Unklarheiten, der eingeschränkte Geltungsbereich der EU-Verordnung kritisiert.

Die Verordnung lässt auch offen, ob es bei der Kommerzialisierung oder der Marktzulassung Kontrollen der Sorgfaltspflicht für alle geben wird. Eine Kontroll-Lücke kann zur Folge haben, dass eine krasse Ungleichbehandlung der Forschung entsteht. Biopiraten, die Forschung und Entwicklung außerhalb der EU betreiben, hätten den Vorteil, ihre Produkte in Europa ohne Einschränkung vertreiben zu können, während Forscher in der EU ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen müssen und bei Verstoß bei der Vermarktung gebremst werden. Dies wäre eine grosse Ungleichbehandlung für die Europäische Forschung und eine immense Unterstützung auswärtiger Biopiraten.


Autor François Meienberg ist bei dem Schweizer Verein »Die Erklärung von Bern« zuständig für den Bereich Landwirtschaft, Biodiversität, Patente.



Anmerkungen

(1) Der Brief ist auf http://www.evb.ch/p16991.html gepostet.

(2) Folgende Länder gehören zu den Like Minded Mega-Diverse Countries (LMMC): Bolivia, Brazil, China, Colombia, Costa Rica, Democratic Republic of Congo, Ecuador, India, Indonesia, Kenya, Madagascar, Malaysia, Mexico, Peru, Philippines, South Africa und Venezuela

(3) http://www.evb.ch/p25021878.html


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014, Seite 24-25
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2014