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KATASTROPHEN/010: Mayak - viel schlimmer als Tshernobyl! (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 160 - Februar/März 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Mayak - viel schlimmer als Tshernobyl!
"Leuchtturm" im Bereich Radioaktivität und Katastrophen

Von Felix Eick


Wer Mayak in Russland bei googlemaps sucht, findet den Ort wie damals in den Landkarten der Sowjetunion immer noch nicht. Es handelt sich in der Tat um ein aus politischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten getilgtes und ausradiertes Areal 90 Kilometer nordwestlich von Tshelyabinsk beziehungsweise 150 Kilometer südlich von Ekaterinburg. Auf Youtube und durch Kampagnen von greenpeace erlangte das Dorf Muslyumovo traurige Berühmtheit.

Es befindet sich 40 Kilometer südöstlich von Mayak am Fluss Tetsha, in den die radioaktiven Abfälle und -wässer entsorgt werden und der Muslyumovo zum verstrahltesten bewohnten Ort des Planeten macht. Ein überaus entsetzlicher Superlativ.

Die Bevölkerung besteht aus armen Bauern und Handwerkern. Ihnen wurde, bis der damalige Präsident Boris Jelzin 1992 in die Region kam, nichts gesagt außer dem sofortigen Befehl, ihre Ernten zu vernichten. Unzureichende Warnungen schlugen sie in den Wind und badeten jahrelang in der Tetsha. Es ist kein Wunder, dass die Menschen oft schon von Geburt an mit verschiedensten Krebsarten und Behinderungen zu leben haben, welche unleugbar auf die massive Radioaktivität zurückzuführen sind. Es gibt viel Makabres in diesem Gebiet des Südurals. Die Menschen sind bettelarm und dürfen dennoch keine Subsistenzwirtschaft betreiben. Man stellt ihnen aber auch keine Alternative zur Verfügung, sodass sie doch mit verstrahltem Korn Brot backen und mit kontaminiertem Holz heizen. Viele können deshalb ohne Medikamente überhaupt nicht mehr leben.

Vor Ort behauptet der Bürgermeister einem Reporter der Deutschen Welle gegenüber, dass alles normal sei. Die Menschen würden schließlich umgesiedelt. Die Bewohner Muslyumovos werden nach Neumuslyumovo umgesiedelt.e Das befindet sich vier Kilometer weiter südwestlich. Ein Witz ist das. Die russischen Politiker spielen mit dem Unwissen der Anwohner. Neumuslyumovo liegt zwar nicht direkt an der Tetsha, aber die Luft und vor allem der Boden, zum Teil Seltene Erden, sind kaum weniger kontaminiert und schlagen die Werte Tshernobyls und der toten Stadt Prypjat bei weitem. Die Tetsha beispielsweise ist zwanzigmal so stark verstrahlt wie gewöhnliche Fließgewässer auf der Erde.


Kein neuer Atommüll nach Mayak

Die Frage, welche sich einem unweigerlich aufdrängt, ist doch, was bei solch unvorstellbaren Bedingungen so schlimm daran sein soll, noch mehr Atommüll aus der ehemaligen DDR, welcher in Ahaus (NRW) lagert, in die kerntechnische Anlage nach Mayak zu bringen? Hier könnte man nun eine umfangreiche philosophische, moralisch tiefgreifende Abhandlung einschieben. Auf der Hand liegt doch, dass der russische Staat die Verantwortung gegenüber seinen Landsleuten nicht wahrnimmt.

Deutschland darf das nicht ausnutzen, sondern muss sich als demokratischer und weltoffener Rechtsstaat profilieren. Zudem verstößt man mit dem geplanten Atommülltransport gegen geltendes EU-Recht. Jeder Mitgliedsstaat hat seinen Müll in seinem Land endzulagern. Man stelle sich nur vor, man fände ein tatsächlich sicheres Endlager in Frankreich, das auch die Kapazität für ausländischen Müll hätte. So müsste dennoch jeder EU-Atomstaat ein eigenes Lager suchen. Aber das ist hier nicht das Thema.

Viele in Muslyumovo lebende Menschen ärgert dieses Das-macht-den-Kohlauch-nicht-mehr-fett-Denken zu Recht. Sie fühlen sich gequält, verachtet und diskriminiert. Man untersucht sie häufig und ihr körperlicher Zustand verschlimmert sich. Eine Anwohnerin meint, sie fühle sich wie ein Versuchskaninchen. Direkt nach dem "Großen Vaterländischen Krieg" (1941-45) ließ Stalin in nur drei Jahren den ersten sowjetischen Atomreaktor bauen. Es war in Mayak möglich alte Brennstäbe wieder aufzubereiten und spaltbares Material wie Plutonium zu produzieren. Zunächst wurde der Reaktor für das sowjetische Atomwaffenaufrüstungsprogramm genutzt. Beinahe unbeachtet von der Weltöffentlichkeit passierte 1957 der GAU. Ein riesiger Plutoniumtank explodierte und die Verstrahlung der Region nahm ihren Lauf. Zehntausende Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Die Stadt Ozersk entstand und liegt heute in der 256,5 Quadratkilometer großen Schutzzone, die von einer 1300 Quadratkilometer messenden Beobachtungszone umgeben ist. Im Sommer 1967 wurde der Karatshai-See südlich von Mayak als Endlager unter freiem Himmel für semiaktiven Atommüll genutzt. Die schnell einsetzende Hitze ließ auch das radioaktive Material verdunsten und die Verseuchung schritt weiter voran.

Das sind nur zwei bekannte, ökologisch und sozial besonders grausame Ereignisse. Russische Umweltaktivisten und Greenpeace deckten auf, dass auch aus dem laufenden Betrieb hochradioaktive Abwässer und - fälle in den Fluss Tetsha eingeleitet werden. Es ist von mehreren Unfällen jährlich die Rede.

Auf der russischen Internetseite der Betriebsvereinigung Mayak selbst soll man hinters Licht geführt werden. Es heißt dort in der Rubrik "Pressezentrum", man habe neue ökologische Technologien eingeführt. Die Aufarbeitung der verbrauchten Brennelemente, die ökologisch sichere Nutzung des Flusses Tetsha und der anliegenden Gewässer sowie die Erhaltung des Karatshai-Sees seien die aktuellen Aufgaben der Unternehmer. Zudem erdreistet man sich zu hinterfragen, ob man Mayak überhaupt mit ökologischer Gewalt verbinde. Vielmehr wird der Wahrheit auf dieser Internetseite Gewalt angetan. Zum deutschen Atommüll findet man kein Wort. Klangvolle Erfolgsmeldungen von "Atomeco-Konferenzen" und vom Projekt "Goldene Reserve" dominieren.


Keine Brennstäbe aus Mayak

Das Projekt Mayak darf in keiner Weise unterstützt werden! Weder die Schweiz noch Deutschland dürfen aus moralischen und ökologischen Gründen atomare Brennstäbe von dort beziehen, aufbereiten lassen oder Abfälle abladen. Vielmehr gilt es, den Komplex im Stile der verbotenen Zone in Tshernobyl abzuriegeln. Denkbar wäre mittelfristig auch eine Einbindung in das atomare Abrüstungsprogramm (siehe RABE RALF Okt./Nov. 2010, S. 15). Dazu ist allerdings noch einiges an Überzeugungsarbeit bei der russischen Holdinggesellschaft Rosatom zu leisten, die die Anlage in Mayak betreibt.

Wer wie Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) auch nur daran denkt, Mayak weiter aufzustrahlen, zeigt Unwissen, Bürgerferne (wie schon im Fall Gorleben) und eklatante Schwächen im Politikstil. Vorerst nahm Röttgen am 6. Dezember 2010 die durch ein pseudowissenschaftliches Gutachten legitimierte Genehmigung für den Transport von rund 950 Brennelementen zurück. Die Bewohner Muslyumovos und anderer Dörfer in Tshelyabinsk wird das freuen. Anständig oder eigentlich sogar das Mindeste wäre es, wenn der russische Staat die Anlage Mayak schließt, die 500.000 direkt betroffenen Russen evakuiert und ihnen nach alter Tradition neues Land zuweist.

Filme bei Youtube:
youtube.com/watch?v=1l6_sdsrEfU
youtube.com/watch?v=pxus4XLLl0A&feature=fvw
youtube.com/watch?v=SPMtoMGPxZU&feature=related


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Die Birkenwälder im Hintergrund zeigen den ehemaligen Naturschatz


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 160 - Februar/März 2011
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2011