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KATASTROPHEN/057: Folgen von Fukushima - Mehrere zehntausend zusätzliche Krebsfälle in Japan (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 630-631 / 27. Jahrgang, 4. April 2013

Folgen von Fukushima

IPPNW und WHO erwarten mehrere zehntausend zusätzliche Krebsfälle in Japan



Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW legte jetzt eine Analyse zu den Folgen von Fukushima vor, um die politischen Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Reports von Weltgesundheitsorganisation (WHO) und IPPNW zu informieren, die in den Medien als völlig widersprüchlich dargestellt wurden. Beide Organisationen nahmen den 2. Jahrestag der Katastrophe von Fukushima zum Anlaß ihrer Veröffentlichungen.

Ein Hintergrundpapier der IPPNW-Autoren Henrik Paulitz, Winfrid Eisenberg und Reinhold Thiel erläutert, wie die gewählten Ausgangsdaten und Grundannahmen zu unterschiedlichen Ergebnissen bei den zu erwartenden Krebserkrankungen in Japan führen. Die Analyse zeige, daß unter Verwendung der Daten und Annahmen der WHO mit rund 22.000 Krebserkrankungen zu rechnen sei, wird erklärt. Würden die Annahmen nach dem Stand der Wissenschaft realitätsnäher gewählt, so ergeben sich auf der Grundlage der WHO-Daten 66.000 zu befürchtende Krebserkrankungen, heißt es. Sowohl aus dem WHO- als auch aus dem IPPNW-Report ergebe sich übereinstimmend, daß in Japan mit mehreren zehntausend Krebserkrankungsfällen aufgrund der Atomkatastrophe von Fukushima gerechnet werden müsse. Das Spektrum liege zwischen 20.000 und 120.000 zusätzlichen Krebsfällen.


Kommentar

Wer heute, 2 Jahre nach der Reaktorenkatastrophe, die japanische Präfektur Fukushima besucht, findet am Bahnhof von Fukushima-Stadt ein öffentliches, amtliches Strahlenmeßgerät vor. Ähnlich wie hier in Berlin die Parkuhren, ist es mit Solarzellen ausgestattet und zeigt tagsüber auf einem Display gut sichtbar die aktuelle Strahlenbelastung an.

Wer sein eigenes Meßgerät mitgebracht hat, wundert sich allerdings, daß das amtliche Gerät sehr viel niedrigere Werte anzeigt als das eigene. Und wer dann fragt, wieso das so ist, erhält die Auskunft, das sei nicht ungewöhnlich, sondern generell so. Japanische Bürgerinitiativen und örtliche Gemeindevertretungen haben das systematisch überprüft. Zuerst habe eine amerikanische Firma probeweise Geräte aufgestellt, die höhere Strahlenwerte anzeigten. Nach Einwendungen des japanischen Umweltministeriums, die Werte seien ja so hoch, ob man das nicht ändern könne, habe die Firma geantwortet, nein, das ginge nicht, die Geräte seien ja zum Messen da. Darauf erhielt stattdessen eine japanische Firma den Auftrag, solche Geräte aufzustellen. Sie zeigte sich den Wünschen des Ministeriums gegenüber zugänglicher.

Mehr als 3.000 solcher Meßgeräte sind über die gesamte Präfektur Fukushima und weitere auch in angrenzenden Gegenden von den Behörden aufgestellt worden. Sie stellen die amtlichen Strahlen-Monitoringpunkte dar und zeigen im Durchschnitt nur ein bis zwei Drittel der wahren Strahlenbelastung an. Das ist in der japanischen Bevölkerung durchaus bekannt. Weshalb also machen die Behörden das?

Diese Meßergebnisse werden an internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation gegeben. Daraufhin hat diese Ende Februar 2013 verkündet, daß "für die allgemeine Bevölkerung innerhalb und außerhalb von Japan die prognostizierten Risiken gering und keine beobachtbaren Anstiege der Krebsraten zu erwarten" seien. Nur in den höher belasteten Gebieten werde es geringfügige Erhöhungen geben.

Aber natürlich sind die Leute von der Weltgesundheitsorganisation nicht dumm. Sie wissen auch, daß die Strahlenmessungen nicht stimmen. Weshalb spielen sie das falsche Spiel mit?

Vielleicht soll das auch in Japan beruhigend wirken. Als Adressaten solcher Nachrichten bleiben aber eigentlich nur wir übrig, die Menschen im Ausland. Uns soll eingeredet werden, so eine Atomkatastrophe sei nicht so schlimm, so eilig bräuchten wir unsere Atomkraftwerke nicht abzuschalten. Wenn hier in Deutschland oder in Frankreich ein solches Atomunglück geschehe, so sei das durchaus verkraftbar.

Die Leute in Japan wissen es besser. Mehr als 160.000 Menschen, überwiegend Strahlenflüchtlinge, leben heute, 2 Jahre nach der Katastrophe, noch immer in Notunterkünften. Von rund 80.000 im vorigen Jahr untersuchten Kindern und Jugendlichen hatten mehr als 40 Prozent Veränderungen der Schilddrüse. Noch nicht einmal die Hälfte der Kinder in Fukushima ist überhaupt untersucht worden.

Bei 151 Kindern wurden bisher weitergehende Untersuchungen durchgeführt. Bei ihnen fanden sich 10 Schilddrüsenkrebs- und Krebsverdachtfälle. Normalerweise haben nur 1 bis 2 von 1 Million Kinder Schilddrüsenkrebs.

Wie am 10. März 2013 bekannt wurde, hat man auch in den weiter entfernt liegenden Präfekturen Aomori, Yamanashi und Nagasaki bei 60 Prozent der untersuchten Kinder in deren Schilddrüsen Knoten und Zysten gefunden.

Die überwiegende Zahl der Kinder soll erst in 2 Jahren wieder untersucht werden. Denn, wie der Studienleiter in Fukushima erklärte, müßten die nötigen Spezialisten für Kinderschilddrüsen erst noch ausgebildet werden und stünden dann in 2 Jahren zur Verfügung.

Offizielle Politik ist, die vor der Strahlung geflüchteten Menschen zur Rückkehr in die alte Heimat zu bewegen. - Sie sind dann Versuchskaninchen.

Viel Kraft und Geld wird für sogenannte Dekontaminierungen der unmittelbaren Lebensumgebung aufgewandt. Das ist jedoch eine Sisyphos-Arbeit. Denn aus den umliegenden Bergen und Wäldern fällt immer wieder neue Radioaktivität auf die Siedlungen herab. Und wohin mit den radioaktiven Abfällen? Das Ergebnis der Dekontaminierungsarbeiten ist lediglich eine Umverteilung der Radioaktivität, nicht ihre Beseitigung.

Der Glaube, ein hochtechnisiertes Land wie Japan könne die Probleme in den Griff bekommen und bewältigen, ist nichts weiter als ein frommer Wunsch. Die erste behördliche Maßnahme war, die Dosisgrenzwerte hochzusetzen, und zu behaupten, diese seien immer noch gesundheitlich zuträglich.

Mehr als 100 Bürgerinitiativen in Japan haben inzwischen eigene Meßgeräte angeschafft. Sie messen die radioaktive Verseuchung von Lebensmitteln, um die Aufnahme von Radionukliden über die Nahrung möglichst gering zu halten. Sie kontrollieren Dekontaminierungsversuche, führen Messungen der Ortsdosisleistungen und Ganzkörpermessungen durch. Und sie organisieren zeitweise Verschickungen der Kinder aus den höher verstrahlten Gebieten in weniger belastete Gegenden im tiefen Süden und hohen Norden Japans.

Allein diese Eigeninitiative der Menschen in Japan macht Hoffnung und stimmt trotz allem zuversichtlich. Sie verdienen jede Unterstützung. Wir können mit Spenden helfen - und in Deutschland zeigen, daß es auch ohne Atomkraft geht.

Th.D.

http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Fukushima/Fukushima_Erwartete_Krebserkrankungen_Japan_mit_WHO-Daten.pdf

IPPNW-Report vom 06.03.2013:
http://www.fukushima-disaster.de/deutsche-information/super-gau.html

WHO-Bericht "Health risk assessment" vom 28.02.2013:
http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/78218/1/9789241505130_eng.pdf


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_13_630-631_S02-03.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, April 2013, Seite 3-4
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
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Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2013