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KATASTROPHEN/098: Bangladesch - Nach Überschwemmung werden Hütten von Flussinselbewohnern höher gelegt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. November 2014

Bangladesch:
Überschwemmungen im Norden - Hütten von Flussinselbewohnern werden höher gelegt

von Naimul Haq



Kurigram, Bangladesch, 5. November (IPS) - Im Norden von Bangladesch haben die seit August anhaltenden, heftigen Monsunregen die mächtigen Ströme Brahmaputra, Dharla und Teesta über ihre Ufer treten lassen. Besonders hart von den Überschwemmungen betroffen sind die 50.000 bis 70.000 Bewohner von Flussinseln, die aus Sedimentablagerungen entstanden sind.

Dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) zufolge bringen die Ablagerungen dem südasiatischen Land jährlich einen Landzugewinn von etwa 52 Quadratkilometer. 32 Quadratkilometer fallen jedoch der Bodenerosion zum Opfer. Es bleibt somit ein Netto-Landzuwachs von ungefähr 20 Quadratkilometern pro Jahr.

Bei einer angenommenen Bevölkerungsdichte von etwa 800 Menschen pro Quadratkilometer geht IFAD davon aus, dass jedes Jahr etwa 26.000 Bangladescher ihr Land verlieren. Viele Betroffene weichen deshalb auf die Flussinseln aus, in der Hoffnung, dort ein neues Leben zu beginnen.


Minimale Versorgungsangebote auf den Inseln

Auf den Inseln fehlt es an grundlegenden Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Sanitäranlagen, Krankenhäusern, Schulen, Strom, Verkehrsmittel, Polizeiwachen und Märkte. "Wir überleben mit Gottes Segen und mit Hilfe traditioneller Anbaumethoden", meint dazu ein alter Mann namens Nurul Islam.

Vor manchen Gefahren schützen weder Gott noch überliefertes Wissen. Jahanara Begum erinnert sich an die schlimmsten Tage der Flut, als das rasch herannahende Wasser die Behausungen einriss und alle Haushaltsgegenstände ihrer Nachbarn mit sich führte. Die 34-jährige Hausfrau hatte Glück, weil ihr Heim auf einer kleinen Anhöhe auf der Astamer-Insel im Bezirk Kurigram, etwa 290 Kilometer nördlich der Hauptstadt Dhaka steht.

In dem Bezirk Bhangapara, rund 210 Kilometer von Dhaka entfernt, hätten die Menschen knietief im Wasser gestanden, erinnert sich Mossammet Laily, eine Mutter von vier Kindern, deren Haus im August vollends überschwemmt wurde. "Alles wurde im Handumdrehen zerstört", berichtet sie.

Ihre Nachbarin Rabeya fügt hinzu: "In meinem kleinen Garten wuchsen Kürbisse, Kartoffeln und Gurken. Sie wurden innerhalb weniger Stunden vernichtet."

Wie der Geschäftsmann Naser Ali berichtet, war es in seiner Kindheit niemals zu Überschwemmungen von diesem Ausmaß gekommen. "In den letzten Jahren dauerte es ein paar Tage, bis die Fluten sich zurückzogen. Doch diesmal lief das Wasser fast einen ganzen Monat nicht ab", sagt er.

Der Klimawandel in Bangladesch trifft vor allem die gesellschaftlichen Randgruppen mit voller Wucht. Von den etwa 156 Millionen Bangladeschern leben 70 Prozent in ländlichen Regionen, wo Familien im Monat selten mehr als umgerechnet 50 bis 80 US-Dollar verdienen. Zwischen 50 Millionen und 80 Millionen Menschen sind in Gebieten anzutreffen, die anfällig für Dürren oder Überschwemmungen sind.

Naturkatastrophen haben in Bangladesch bereits Milliardenschäden verursacht. Allein die Kosten der Zerstörungen durch die Wirbelstürme Sidr 2007 und Aila 2009 werden auf 1,7 Milliarden beziehungsweise 550 Millionen Dollar geschätzt. Die Aussicht, dass extreme Wetterlagen künftig noch häufiger auftreten werden als früher, ist für die Flussinselbewohner äußerst belastend.

Untersuchungen im Rahmen eines in Bangladesch vor dem Weltklimagipfel in Kopenhagen 2009 in Gang gesetzten Aktionsplans kommen zu dem Schluss, dass die Monsunregen und die tropischen Stürme zwei der drei großen Klimarisiken für das Land darstellen.

Um den am wenigsten geschützten Bevölkerungsgruppen zu helfen, hat die Regierung ein 'Projekt gegen den Klimawandel auf Gemeindeebene' (CCCP) in Höhe von 12,5 Millionen Dollar gestartet. Koordiniert wird es vom Bangladeschischen Fonds für Klimaresilienz (BCCRF), einem Klimaanpassungsfonds von Gebern, der unter anderem von der Weltbank bezuschusst wird.


Arme können sich keinen Umzug leisten

"Es wird immer deutlicher, dass der Klimawandel enorme Auswirkungen auf ein tief liegendes Deltaland wie Bangladesch haben wird", sagt Johannes Zutt, der zuständige Landesdirektor der Weltbank. "CCCP hilft den besonders gefährdeten Gemeinden, sich besser gegen klimabedingte Widrigkeiten zu schützen." Zutt weist darauf hin, dass die Armen oftmals nicht die Möglichkeit haben, an einen anderen Ort zu ziehen. Dennoch könnten sie durch kollektive Handlungsweisen ihre Resilienz gegen den Klimawandel stärken.

Die ambitionierten Projekte sollen in erster Linie die Lebensbedingungen zehntausender Flussinselbewohner verbessern. Die wichtigste Aufgabe bestehe darin, die Umweltrisiken zu reduzieren, sagt K. M. Marufuzzaman, Programmbeauftragter der Palli-Karma-Sahayak-Stiftung (PKSF). Die staatliche Kreditagentur arbeitet daran, CCCP in Kurigram auf der Graswurzelebene umzusetzen.

Im Verlauf eines Projektes wurden die Wohnstrukturen bis zu 1,5 Meter über Geländehöhe versetzt, um die Familien und das Vieh vor den Wassermassen zu schützen. "Wir haben Sockel geschaffen, auf denen wir Kürbisse für Notzeiten anpflanzen."


Reissetzlinge für Notzeiten gezüchtet

Der 65-jährige Badiuzzaman lebt in einer Wellblechhütte in Char Bazra am Ufer des Brahmaputra, 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Dhaka. Auf seinem Sockel pflanzt er Reis für den Notfall. Wenn nach einer Flut das Wasser wieder fällt, bleibt wenigstens fruchtbare Erde für den Anbau zurück, erzählt er.

In der Nähe bringt die 34-jährige Rehana Begum ebenfalls Reis neben ihrer aus Bambus und Jute gebauten Unterkunft aus. "Mein Mann hatte Reis und Kartoffeln auf einem tiefer liegenden Areal angebaut, doch die Wassermassen haben alle unsere Träume zerstört. Wir wollen deshalb Vorsorge treffen."

In etwa 20 Minuten Entfernung sind die Hütten in Char Korai Barisal noch von der jüngsten Naturkatastrophe gezeichnet. Anisa Begum erinnert sich noch allzu gut an die Ängste der Familie, als die Hütte im Wasser versank. "Zeitweise hatten wir nichts mehr zu essen und hielten uns an den Händen fest, um in der Dunkelheit nicht zu ertrinken." Andere Familien harrten in ihren Booten aus. Nur diejenigen, die ihre Häuser auf den Erhebungen gebaut hatten, blieben verschont.

Das staatliche Hilfsprogramm sieht vor, dass bis zum nächsten Jahr die Hütten von etwa 50.000 Menschen in der Brahmaputra-Region höher gelegt werden. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/10/bangladeshi-char-dwellers-in-search-of-higher-ground/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2014