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KATASTROPHEN/169: Ecuador - Mitten in der Covid-19-Krise erneuter Ölunfall im Amazonasgebiet (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Ecuador

Mitten in der Covid-19-Krise: erneuter Ölunfall im Amazonasgebiet


Inmitten der Covid-19-Krise werden die Interessen der Erdölindustrie in den Mittelpunkt gestellt. Zeit für eine ökonomische Kehrtwende.

(Quito, 13.04.2020, Acción Ecológica) - Am 7. April 2020 kam es im ecuadorianischen Amazonastiefland zwischen den Provinzgrenzen Napo und Sucumbíos zu einem Erdölunfall noch unbekannten Ausmaßes. Ursache war der Bruch der trans-ecuadorianischen Ölpipelines SOTE, OCP und des Pipeline-Systems Shushufindi-Quito. Die Erosion des Coca-Flusses hatte zu der Havarie geführt; die Folge war ein plötzliches Absacken des Flussbetts, wodurch sich wiederum eine Unterhöhlung von 70 Metern Tiefe bildete.


Keine staatlichen Maßnahmen

Wie die staatseigene Erdölgesellschaft Petroecuador und das Unternehmen OCP mitteilten, wurden sämtliche Pump-Aktivitäten eingestellt. Über das Austreten des Erdöls informierten sie jedoch nicht, sodass die Nutzer*innen des Wassers der Flüsse Coca und Napo keinerlei vorbeugende Maßnahmen in die Wege leiten konnten, um sich zu schützen. Erst drei Tage später ließ das Ministerium für Energie und nicht-nachwachsende Rohstoffe verlauten, dass mit der Freisetzung von 4.000 Barrel Rohöl gerechnet werde. Dagegen erklärten Anwohner der Gemeinden am Río Coca, dies sei der größte Ölunfall, den sie je gesehen hätten. Die Auswirkungen des Unfalls entlang des Río Coca, der in den Río Napo und letztlich in den Amazonas mündet, sind enorm. Nach Angaben des Dachverbands der Indigenen Nationen des Amazonasgebietes in Ecuador CONFENIAE sind mindestens 120 Gemeinden mit insgesamt 97.000 Personen betroffen. Da keinerlei staatliche Maßnahmen zur Eindämmung ergriffen wurden, ist das Öl mittlerweile (Stand 13.4.) bis nach Cabo Pantoja in Peru gelangt. Zudem fließt das Öl durch bedeutende Schutzgebiete wie den Nationalpark Sumaco Napo Galeras und den Yasuní-Nationalpark. Bislang gibt es keine offiziellen Verlautbarungen über die Ursache des Abrutschens der Erde, die zum Bruch der Rohre geführt hat. Daher lohnt ein Blick in die Vergangenheit:


Zahlreiche Unfälle entlang der Pipeline OCP

Bereits als im Jahr 2001 der Bau der Pipeline OCP (Oleoducto de Crudos Pesados) angekündigt wurde, warnte man vor den Risiken des topographischen Verlaufs der Rohre, die parallel zu der anderen Pipeline SOTE platziert sind. In einem seismisch sensiblen Gebiet mit aktiven Vulkanen ist eine sichere Route generell ein Ding der Unmöglichkeit. Hinzu kommen 49 bereits bekannt gewordene Ölunfälle der SOTE-Pipeline. Allein der Bau der OCP provozierte fünf Ölunfälle durch Maschinen, die die benachbarte SOTE beschädigten, einschließlich einem Vorfall am Papallacta-See, einem der wichtigsten Trinkwasser-Versorger von Quito. So blieb die Hauptstadt eine Zeitlang ohne Wasser. Insgesamt wurden in Ecuador 72 Ölunfälle entlang der Pipelines dokumentiert. Insbesondere der jetzt betroffene Teil der Ölleitung, der eine Gesamtlänge von 30 km hat, gilt als Hochrisiko-Bereich aufgrund seiner Nähe zum Vulkan Reventador, zu umliegenden Gemeinden und weil er die Reservate Cayambe Coca und Gran Sumaco sowie den Wasserfall von San Rafael streift.


Möglicher Mitverursacher: das Wasserkraftwerk Coca Codo Sinclair

Wir erinnern an den Einbruch des Wasserfalls San Rafael. Nach Angaben des ecuadorianischen Umweltministeriums vom 02. Februar 2020 erlitt der Wasserfall eine "Implosion" seines natürlichen Verlaufs, sodass der Wasserfluss komplett zum Erliegen kam. Demgegenüber schätzt der Koordinator des Wasserprogramms der Umweltorganisation IUCN Südamerika, Emilio Cobo, dass das Wasserkraftwerk Coca Codo Sinclair, das das Wasser 15-20 km flussaufwärts staut, indirekt für den Kollaps des Wasserfalls verantwortlich ist. Daraufhin erkundigte sich das Informationsportal Mongabay beim ecuadorianischen Umweltministerium und beim staatlichen Notfall-Management-Büro (COE) der Provinz Sucumbíos, ob es ein Monitoring der Ereignisse vor dem Vorfall gegeben habe, bekam jedoch keine Antwort. Auch Jorge Celi, promovierter Ökologe und Direktor des Nationalen Wasserlabors der Amazonas-Universität IKIAM, glaubt an eine Verbindung zwischen dem Kollaps des Wasserfalls und dem Wasserkraftwerk. Er bezieht sich auf die Einlagerung von Bodensedimenten im Kraftwerk-Stausee. Dadurch "bildete sich eine Höhlung, und der Fluss musste sich einen neuen Verlauf suchen, mit Sedimenten auf dem Grund". Nach Meinung der Wissenschaftler besteht das Risiko, dass das Flussbett weiter erodieren und neue Abbrüche provozieren wird. Cobo rechnet am Río Coca sogar mit zukünftigen Großschadensereignissen in der Infrastruktur zwischen dem Wasserfall und dem Stausee, also genau dort, wo jetzt der Bruch der Öl-Pipelines stattgefunden hat.


Keine Technologie kann absolute Sicherheit garantieren

Womit die Techniker der Ölunternehmen anscheinend am wenigsten gerechnet hatten, ist, dass die Ölleitungen selber brechen könnten. Aber genau das ist passiert. Um das Ausmaß des aktuellen Geschehens einzuschätzen, muss man die beiden vergangenen Unfälle vom 25.1.2009 (OCP) 31.5.2013 (SOTE) betrachten: Fünf Jahre nach dem Bau der Pipeline verschmutzte die OCP den Bezirk Santa Rosa mit 14.000 Barrel Rohöl. Damals gab das Firmenkonsortium an, "Spitzentechnologie" zu verwenden, um Leckagen zu identifizieren; es gebe "kein Risiko, da die Pipeline unterirdisch verläuft". "Alle Siedlungen entlang der Pipeline werden davon profitieren", hieß es damals. Trotzdem war die Ölleitung geborsten, und der Unfall hatte gravierende Folgen für die Natur, verschmutzte die Flüsse Santa Rosa, Quijos und Coca, tötete Tausende Fische, zerstörte die Viehweiden sowie den Anbau von Baumtomaten und Naranjillas und beeinträchtigte die Gesundheit der umliegenden Bevölkerung. Wieder einmal zeigte sich, dass es keine sicheren Technologien gibt. Der Austritt des Öls wurde nicht rechtzeitig bemerkt, und die Ölgesellschaft verfügte über keinerlei Pläne für Gegenmaßnahmen. Und die Behörden, so berichteten Betroffene, kamen ihrer Aufgabe, den Betrieb zu kontrollieren, nicht nach. Die Verschmutzung bewirkte einen Totalausfall der Trinkwasserversorgung der Stadt Coca, was wiederum die Stadtverwaltung zu einer Anzeige gegen das Unternehmen OCP veranlasste. Acht Jahre später wurde die OCP zur Zahlung einer Entschädigung von 12.500.000 US-Dollar an die Stadtverwaltung von Coca verurteilt. Die Instandsetzungsarbeiten waren jedoch unzureichend, Flussbett und Uferzonen sind weiterhin verschmutzt.


Unfälle geschehen nicht immer ohne Ankündigung

Am 31. Mai 2013 verursachte ein großer Erdrutsch einen Riss in der Ölpipeline SOTE, was zum Auslaufen von 11.480 Barrel Rohöl im Bereich El Reventador in der Provinz Sucumbíos führte. Der Unfall verseuchte mehrere Wassereinzugsgebiete und reichte bis zum Rio Coca. Anwohner glauben, dies hätte verhindert werden können: "Der Hang rutschte langsam herunter, nicht plötzlich, das hatte sich angekündigt. Wären die Rohre unterirdisch verlaufen, wären sie vielleicht nicht gebrochen. Petroecuador hat doch die Mittel, seine Rohre zu schützen." Die Anwohner hatten weder Trinkwasser noch Nahrungsmittel, lokale Tourismusbetreiber meldeten Verluste. Erneut schädigte also ein Ölunfall die Siedlungen am Rio Coca und Rio Napo, inklusive der Stadt Coca und deren Wasserversorgung. Ungefähr 60.000 Personen waren tagelang von der Wasserversorgung abgeschnitten. Genau wie beim aktuellen Unfall erreichte das ausgelaufene Öl die peruanische Stadt Cabo Pantoja.


Langzeitfolgen unabsehbar

Der Rio Coca ist ein wichtiges Wassereinzugsgebiet für die gleichnamige Stadt sowie indigene und nicht-indigene Gemeinden entlang des Flusses. Jeder Zwischenfall an diesem Fluss betrifft sämtliche Siedlungen und die Bewohner*innen der Hauptstadt der Provinz Orellana. Und wie jeder Ölunfall verursacht auch jener vom 7. April 2020 irreversible Schäden an den Ökosystemen und verseucht die Dörfer, da Erdöl hochgiftige kohlenwasserstoffhaltige Substanzen und Schwermetalle enthält. Die Mehrheit dieser Inhaltsstoffe besitzt die Eigenschaft, sich im lebenden Gewebe einzulagern und gelangt auf diese Weise auch in den menschlichen Körper. Ein Fluss, der Opfer eines Ölunfalls geworden ist, verliert die im Wasser lebenden Pflanzen und Tiere. Die toxischen Substanzen lagern sich im Sediment des Flusses an und bauen sich nur schwer wieder ab. Da hilft es auch nichts, dass sich nach dem Unfall ein Komitee aus Umweltministerium, Energieministerium, dem Technischen Büro für das Amazonasgebiet und der OCP gebildet hat. Solange kein umfassendes Monitoring stattgefunden hat, das belegt, dass das Wasser frei von Verschmutzungen, Schwermetallen und Substanzen wie polyzyklischen Kohlenwasserstoffen ist, sollten Anrainer das Wasser keinesfalls nutzen; solche Untersuchungen dauern jedoch lange. Man kann auf eine große Anzahl von Studien zurückgreifen, die die Schädlichkeit dieser Substanzen für die menschliche Gesundheit belegen, wobei Folgewirkungen nicht unmittelbar auftreten, sondern immer erst langfristig nachweisbar sind. Gemäß Artikel 397 der ecuadorianischen Verfassung steht die Regierung in der Pflicht, nach einem Umweltunfall unverzüglich und subsidiär zu handeln, um die Gesundheit und die Ökosysteme wiederherzustellen. Zusätzlich zur strafrechtlichen Verurteilung muss der Staat die Betreiberfirma zu einer allumfassenden Behebung der Schäden verpflichten, die den gesetzlichen Maßgaben entspricht.

Inmitten der Covid-19-Krise mit ihren Tausenden Infizierten und Hunderten Verstorbenen werden hier einmal mehr die Interessen der Erdöl-Industrie in den Mittelpunkt gestellt. Der aktuelle Unfall sollte Ecuador dazu veranlassen, einen anderen Weg zu wählen und sich von einem wirtschaftlichen Modell zu verabschieden, das auf der intensiven Ausbeutung von Rohstoffen wie Erdöl oder Bergbau beruht.


Übersetzung: Christian Cray


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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2020

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