Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

KLIMA/212: Zeitreise ins Jahr 2080 - Europas Bäche und Flüsse (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 03.01.2013

Zeitreise ins Jahr 2080

Gewinner und Verlierer des Klimawandels in Europas Bächen und Flüssen



Frankfurt am Main, 3. Januar 2013. Fließgewässer sind empfindliche Ökosysteme. Wie werden sie sich unter dem Einfluss des Klimawandels verändern? Und was bedeutet das für die darin lebenden Tierarten? Die heute im Fachmagazin Global Change Biology erschienene Studie eines internationalen Teams um den am Biodiversität und Klima Forschungszentrum arbeitenden Wissenschaftler Dr. Sami Domisch zeigt, dass neben den an Kälte angepassten Arten vor allem Endemiten Verlierer des Klimawandels sein werden. Diese kleinräumig verbreiteten und auf besondere Lebensräume spezialisierten Arten reagieren sehr empfindlich auf klimatische Veränderungen.

Die europäischen Fließgewässer werden sich unter dem Einfluss des Klimawandels verändern. "Die biologische Vielfalt in Fließgewässern geht stärker zurück als in den Meeren oder an Land", sagt Dr. Sami Domisch, Wissenschaftler am Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und Leitautor der Studie. Flüsse und Bäche sind besonders empfindlich gegenüber klimabedingten Veränderungen wie steigenden Temperaturen oder Abflussveränderungen. "Wir haben untersucht, inwieweit die potentiellen Verbreitungsgebiete der Tiere durch den Klimawandel beeinflusst werden könnten", so Domisch.

Basierend auf verschiedenen Klimaszenarien modellierten die Wissenschaftler die potentiellen klimatischen Areale von 191 europäischen Makrozoobenthos-Arten (mit bloßem Auge erkennbare Lebewesen des Gewässergrunds, z.B. Insektenlarven, Würmer-, Muschel- und Krebstierarten) bis ins Jahr 2080. Dabei gingen sie von der Hypothese aus, dass sich die Verbreitungsareale europäischer Tierarten im Zuge des Klimawandels in Richtung Norden bewegen.

"Unsere Studie beurteilt erstmals mit Hilfe einer Kombination verschiedener statistischer Modelle die klimatische Anfälligkeit eines breiten Spektrums wirbelloser Tiere im Süßwasser", erläutert BiK-F-Wissenschaftlerin Dr. Sonja Jähnig, Koautorin der Studie. Für jede Art wurden sieben Algorithmen verwendet, die jeweils ein Einzelmodell lieferten. Die Einzelmodelle wurden dann pro Art zu einem Konsensus-Modell vereint. Am Ende standen 191 dieser Modelle für vergleichende Analysen zu Endemismus, Seltenheit, Lebenszyklen oder Präferenzen der Arten für bestimmte Gewässerzonen zur Verfügung.

Die Modellierungen ergaben, dass trotz des Klimawandels auch im Jahr 2080 noch für 99 Prozent der untersuchten Arten geeignete klimatische Bedingungen in Europas Fließgewässern existieren. Für das Überleben der einzelnen Arten wird jedoch entscheidend sein, wie groß die verbleibenden Lebensräume wirklich sind und ob die Arten diese erreichen können. Je nach Szenario verringert sich für bis zu 59% der untersuchten Arten der potentielle Lebensraum, vor allem für die an Kälte angepassten Arten und viele südeuropäische Endemiten, deren Lebensraum räumlich begrenzt ist: "Sie können nicht einfach in ein geeignetes Gebiet 'umziehen', da oft keines für sie erreichbar ist", erklärt Domisch ihre besondere Gefährdung. Nach den Berechnungen der Forscher wird sich der mögliche Lebensraum für bis zu 83 Prozent der Endemiten verringern. Je nach Klimaszenario können für diese Arten die Verluste an Lebensraum im Schnitt 28 bis 46 Prozent betragen. Als Gewinner des Klimawandels können die an höhere Temperaturen gut angepassten Arten ihr potentielles Verbreitungsgebiet hingegen vergrößern.

Trotz mancher Unsicherheiten der Modellberechnungen verdeutlichen die Projektionen für das Jahr 2080, dass Süßwasser-Organismen sehr sensibel auf die Auswirkungen des Klimawandels reagieren. "Unsere Studie zeigt, dass wir noch viel mehr wissen müssen, um die Konsequenzen des Klimawandels für ökologische Funktionen und für die Artenvielfalt besser abschätzen zu können", folgert Domisch. Die Modellierung der Verbreitungsgebiete von Arten unter künftigen Klimaszenarien stellt deshalb ein wichtiges Werkzeug dar, um die möglichen Auswirkungen auf die Verbreitungsgebiete der Arten zu verstehen und daraus Maßnahmen für den Schutz der Biodiversität von Fließgewässern abzuleiten.

Studie:
Domisch, S., Araújo, M. B., Bonada, N., Pauls, S.U., Jähnig, S.C., Haase, P.: Modelling distribution in European stream macroinvertebrates under future climates. Global Change Biology, doi: 10.1111/gcb.12107


LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Frankfurt am Main Mit dem Ziel, anhand eines breit angelegten Methodenspektrums die komplexen Wechselwirkungen von Biodiversität und Klima zu entschlüsseln, wird das Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) seit 2008 im Rahmen der hessischen Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe Universität Frankfurt sowie weitere direkt eingebundene Partner kooperieren eng mit regionalen, nationalen und internationalen Akteuren aus Wissenschaft, Ressourcen- und Umweltmanagement, um Projektionen für die Zukunft zu entwickeln und wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für ein nachhaltiges Handeln zu geben. Mehr unter www.bik-f.de

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news513640
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution639

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Sabine Wendler, 03.01.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2013