Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


KLIMA/502: Heiße Luft im Orient (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3/2016

Heiße Luft im Orient

von Peter Hergersberg


Der Nahe Osten und Nordafrika werden derzeit von bewaffneten Konflikten und politischen Krisen erschüttert. Doch selbst wenn diese gelöst würden, dürften viele Menschen dort bald gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, und seine Mitarbeiter prognostizieren der Region einen drastischen Klimawandel und eine zunehmende Verschmutzung der Luft etwa durch Feinstaub.


Hitze und Trockenheit: Faten sieht darin auch einen Grund, warum es in Syrien zu Demonstrationen kam, die rasch zum Bürgerkrieg eskalierten. Die syrische Bäuerin schilderte der New York Times 2013, was in den Jahren vor den Protesten geschehen war: Auf ihrem Ackerland hätten sie und ihr Mann Getreide und Gemüse angebaut und dank der Regenfälle immer gute Ernten eingeholt. "Doch dann kam es plötzlich zu der Dürre", sagte Faten, die nicht mit ihrem vollen Namen zitiert werden wollte. "Das Land wurde zu einer Wüste."

Dann erzählte sie wütend davon, wie die Regierung ihre Bitten um Hilfe ignoriert habe. Ihrer Familie blieb wie unzähligen anderen Landwirten nichts anderes übrig, als in eine Stadt zu ziehen und dort Arbeit zu suchen. Rund eine Million Menschen verließen während der Dürre ihre Heimat. Vor allem junge Männer, die studieren oder heiraten wollten, seien davon hart getroffen worden. Auch die Dürre und die Arbeitslosigkeit hätten die Menschen folglich zur Revolution getrieben: "Als dann die ersten 'Allahu akbar'-Rufe ertönten, haben wir uns alle der Revolution angeschlossen - sofort."

"Klimatische Faktoren sind im Syrien-Konflikt vermutlich nicht die wichtigsten Aspekte", sagt Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. "Aber die jahrelange Dürre und die Ernteausfälle haben auch zum Unmut der Menschen beigetragen, der zu dem schrecklichen Bürgerkrieg führte." US-amerikanische Klimaforscher kamen im Fachmagazin PNAS zum gleichen Schluss - bei aller Vorsicht, mit der die Ursachen von Bürgerkriegen analysiert werden müssten. So wurde der Krieg in Syrien, obwohl er vor allem politische, ethnische und religiöse Ursachen hat, zum Menetekel für das Unheil, welches der Klimawandel gerade in Ländern des Nahen Ostens und des nördlichen Afrika nach sich ziehen kann. Wenn die Erderwärmung dem Leben der Menschen die Grundlage entzieht, sind bewaffnete Konflikte, Flucht und Vertreibung beinahe unausweichlich.

Die Anzeichen, dass es so kommen wird, mehren sich. Denn in den letzten Jahren wurden im Nahen Osten regelmäßig Hitzerekorde gebrochen. "Im Irak hat man in diesem Sommer alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nach Hause geschickt, weil es einfach zu heiß zum Arbeiten war", sagt Lelieveld. Und das ist erst der Anfang. Erschreckend deutlich machte das bereits eine Studie, die der Mainzer Max-Planck-Forscher im Jahr 2013 gemeinsam mit Forschern des Zypern-Instituts in Nikosia, wo er auch eine Professur innehat, veröffentlichte.


26 Klimamodelle lieferten dieselben Ergebnisse

Darin berechneten die Forscher mit einem regionalen Klimamodell für 18 Städte des östlichen Mittelmeerraums und des Nahen Ostens - von Athen bis Riad -, wie die Extremtemperaturen dort steigen werden. Diese Vorhersagen untermauerten und erweiterten sie kürzlich für die gesamte Region, die sich gut mit dem etwas angestaubten Begriff des Orients umreißen lässt. Sie simulierten, welche Temperaturen dort für die Zeiträume von 2046 bis 2065 und von 2081 bis 2100 zu erwarten sind, und zwar einmal für die Sommermonate Juni, Juli und August und einmal für die Monate Dezember, Januar und Februar.

Alle 26 Klimamodelle, mit denen die Forscher rechneten und auf deren Vorhersagen auch der Bericht des Weltklimarates beruht, lieferten dabei dieselbe Erkenntnis: Weiten Teilen des Nahen Ostens und Nordafrikas steht eine extrem heiße Zukunft bevor. Demnach wirkt sich der Klimawandel von Marokko bis Iran und von der Türkei bis nach Saudi-Arabien ebenso wie im Süden Europas am stärksten in den ohnehin sehr heißen Sommermonaten Juni, Juli und August aus. Darin unterscheidet sich diese Region von vielen anderen Teilen der Welt, in denen sich die Erderwärmung im Winter am deutlichsten bemerkbar macht.

In einigen Gegenden werden die durchschnittlichen Sommertemperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts den Rechnungen zufolge um etwa vier Grad Celsius steigen - selbst wenn sich die globale Durchschnittstemperatur, wie es sich die Staatengemeinschaft auf den jüngsten Weltklimagipfeln zum Ziel gesetzt hat, lediglich um zwei Grad erhöht. Setzt die Menschheit Treibhausgase weiter wie bisher frei, dann wird die Durchschnittstemperatur zwischen 2081 und 2100 sogar um mehr als sechs Grad höher liegen als um die zurückliegende Jahrtausendwende.

Was das bedeutet, kommt im nüchternen Wert der durchschnittlichen Erwärmung kaum zum Ausdruck. Um das Jahr 2000 erreichte die Temperatur tagsüber an manchen Tagen immerhin schon 43 Grad, fiel nachts aber immer unter 30 Grad. Diese Temperaturen muten geradezu mild an im Vergleich zu dem, was kommen wird. Denn die Temperaturen werden an besonders heißen Tagen schon in der Mitte des Jahrhunderts tagsüber auf etwa 47 Grad steigen und nachts nicht unter 30 Grad sinken.


200 ungewöhnlich heisse Tage pro Jahr

Schafft es die Menschheit, die Kohlendioxidemissionen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu senken, werden die Extremtemperaturen ab 2050 etwa auf diesem Niveau verharren. Wenn die Menschen jedoch weiter ungebremst Treibhausgase in die Atmosphäre blasen, wird es gegen Ende des Jahrhunderts an den schlimmsten Tagen mittags sogar bis zu 50 Grad heiß sein und auch nachts noch über 34 Grad.

Außerdem werden sich Hitzewellen häufen. Wenn die Menschheit ihre Kohlendioxidemissionen nicht drosselt, dann werden Perioden extremer Hitze zehnmal so häufig auftreten wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Diese Phasen werden außerdem auch deutlich länger andauern. "Die Menschen im Nahen Osten und im nördlichen Afrika müssen dann gegen Ende des 21. Jahrhunderts mit etwa 200 ungewöhnlich heißen Tagen pro Jahr rechnen", erklärt Panos Hadjinicolaou, ein Klimaforscher des Zypern-Instituts. Und selbst wenn von 2040 an weltweit weniger Treibhausgase freigesetzt werden, werden Hitzewellen um die Mitte dieses Jahrhunderts den ganzen Sommer über anhalten.

In den Jahren zwischen 1986 und 2005 haben extrem heiße Temperaturen die Menschen noch nicht länger als ungefähr zwei Wochen am Stück gequält. Allerdings belegen meteorologische Daten, dass sich die Anzahl der extrem heißen Tage in den vergangenen Jahrzehnten bereits mehr als verdoppelt hat.

Nun sind Prognosen immer mit Ungewissheiten verbunden. Bei den Vorhersagen, die das Forscherteam für den Nahen Osten und Nordafrika getroffen hat, sind die Unsicherheiten jedoch sehr klein. Denn die Forscher testeten die Zuverlässigkeit der Modellrechnungen, indem sie für den Nahen Osten und für Nordafrika den Temperaturverlauf auch für die Zeit von 1986 bis 2005 simulierten. Diesen reproduzierten die Modelle ziemlich genau.

Auch die Entwicklung, dass Menschen bei extremen Temperaturen ihre Heimat verlassen müssen, ist natürlich nicht mit absoluter Sicherheit vorherzusagen. Doch ab wann Temperaturen nicht mehr auszuhalten sind, ist nicht nur eine Sache des persönlichen Empfindens, sondern auch der Physik. Wenn die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit nämlich zu stark ansteigen, kann der Mensch seinen Körper allein mit der Verdunstungskühlung seines Schweißes nicht mehr auf 37 Grad temperieren.

Wie zwei Forscher der Loyola Marymount University in Los Angeles und des MIT in Cambridge kürzlich ausgerechnet haben, wird dies gegen Ende des Jahrhunderts am Persischen Golf immer häufiger der Fall sein. Denn in der Nähe des Wassers ist die Luftfeuchtigkeit hoch, und zudem werden dort auch nach den Berechnungen der beiden US-Forscher in einigen Gebieten Tageshöchsttemperaturen von über 50 Grad Celsius erreicht. Und das ist nicht nur eine Prognose für die ferne Zukunft. So wurde etwa in Kuwait bereits im Sommer 2016 eine Rekordtemperatur von 54 Grad gemessen.

Jos Lelieveld ist sich deshalb sicher: "Der Klimawandel wird die Lebensumstände im Nahen Osten und in Nordafrika weiter deutlich verschlechtern. Lang andauernde Hitzewellen und Sandstürme können einige Gebiete unbewohnbar machen, was sicher zum Migrationsdruck beitragen wird."

Durch die zunehmende Hitze und Trockenheit werden heftige Winde künftig mehr Staub aufwirbeln. Und das setzt Menschen nicht nur dann einer steigenden Lebensgefahr aus, wenn sie in einen Sand- und Staubsturm hineingeraten. Die Stürme sind auch der wichtigste Grund, warum die Konzentrationen an Feinstaub in Saudi-Arabien, Irak und Syrien bereits in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind: zwischen 2000 und 2015 um 70 Prozent. Dies hat ein Forscherteam, an dem neben Wissenschaftlern des Mainzer Max-Planck-Instituts wieder Forscher des Zypern-Instituts, aber auch der saudi-arabischen König-Abdullah-Universität beteiligt waren, anhand von Satellitendaten nachgewiesen. Feinstaub ist einer der garstigsten Luftschadstoffe, weil er Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Lungenkrebs verursacht.

Die Zone vom südlichen und östlichen Mittelmeer bis hin zur Golfregion wird durch Hitze, Trockenheit und eine Luft, die das Atmen zur Gesundheitsgefahr macht, zu einem Brennpunkt des Klimawandels. Das treibt Jos Lelieveld um. "Ich möchte mit meiner Forschung die wissenschaftliche Basis für wichtige Entscheidungen legen", sagt der Max-Planck-Direktor. Nur wenn die Wissenschaftler die Veränderungen gründlich belegt und verstanden haben, können sie die Informationen liefern, damit Politiker den Klimawandel noch eindämmen oder seine Folgen zumindest abmildern können.

Mit seiner nebenamtlichen Position am Zypern-Institut hat Jos Lelieveld ein Standbein in einer Gegend, in der die Erderwärmung eine ganz heiße Angelegenheit ist. "Zypern gehört zwar zur Europäischen Union, ist dem Nahen Osten aber viel näher als Europa", sagt der Wissenschaftler. Den Standort nutzte Lelieveld in den vergangenen Jahren, um mit seinen Kollegen in Nikosia immer wieder Untersuchungen zum Klimawandel und zur Luftbelastung in der Region anzuschieben. Dabei kooperieren die Forscher regelmäßig mit Kollegen aus anderen betroffenen Ländern: etwa aus Jordanien, Ägypten, Israel, dem Libanon und Saudi-Arabien. "Auf diese Weise wachsen in diesen Ländern auch das Wissen und das Bewusstsein dafür, wie gravierend die Veränderungen und ihre Folgen sind", sagt Lelieveld.


Weniger Stickoxide, wo Menschen fliehen mussten

So werteten die Mitarbeiter des Mainzer Max-Planck-Instituts gemeinsam mit einem Forscher der König-Abdullah-Universität Satellitendaten aus, um herauszufinden, wie sich die Stickoxidkonzentrationen im Nahen Osten zwischen 2005 und 2014 entwickelten. Bis zum Jahr 2010 nahmen die Stickoxidemissionen demnach fast überall in der Region zu.

Dass die Konzentrationen danach in vielen Gebieten sanken, war aber nur selten ein gutes Zeichen. Das geschah nämlich vor allem dort, wo bewaffnete Konflikte und politische Krisen das Wirtschaftsleben abwürgten und Menschen fliehen mussten. Im Gegenzug stieg die Stickoxidbelastung an den Orten stark, an denen die Vertriebenen Zuflucht suchten. "Es ist sehr tragisch, dass die beobachteten Negativtrends der Stickoxidemissionen zum Teil mit humanitären Katastrophen einhergehen", sagt Jos Lelieveld. Nur in wenigen Ausnahmen wie etwa in Israel und am Persischen Golf führten strengere Umweltgesetze zu einer Reduktion der Stickoxide in der Luft.

Jos Lelieveld möchte mit seiner Arbeit dazu beitragen, dass auch andere Regierungen mit Umweltpolitik auf die langfristigen Bedrohungen durch Luftverschmutzung und Klimawandel reagieren können. Er denkt dabei an eine Zukunft, in der die akuten Krisen und Konflikte ein Ende gefunden haben: "Natürlich stehen in einigen Ländern der Region andere Probleme im Moment höher auf der Tagesordnung." Hoffentlich bleibt das nicht mehr lange so - auch damit es dann noch Möglichkeiten gibt, der sengenden Hitze und einer krank machenden Luft etwas entgegenzusetzen.


Auf den Punkt gebracht
  • Der Klimawandel bewirkt im Nahen Osten und in Nordafrika bereits heute längere Hitzeperioden und höhere Extremtemperaturen. Diese Effekte werden sich bis zur Mitte des Jahrhunderts verstärken.
  • Durch den Klimawandel steigen auch die Ozonwerte und die Feinstaubkonzentrationen.
  • Extreme Hitzewellen und zunehmende Luftbelastung könnten dazu führen, dass Menschen in vielen Gegenden des Nahen Ostens und Nordafrikas nicht mehr leben können.


Der Artikel kann als PDF-Datei mit Abbildungen heruntergeladen werden unter:
https://www.mpg.de/10808304/W004_Umwelt_Klima_062-069.pdf

*

Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 3/2016, Seite 62-66
Herausgeber: Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Redaktionsanschrift: Hofgartenstraße 8, 80539 München
Telefon: 089/2108-1719 /-1276, Fax: 089/2108-1405
E-Mail: mpf@gv.mpg.de
Das Heft als PDF: www.mpg.de/mpforschung
 
Das Heft erscheint in deutscher und englischer Sprache
(MaxPlanckResearch) jeweils mit vier Ausgaben pro Jahr.
Der Bezug des Wissenschaftsmagazins ist kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Januar 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang