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LATEINAMERIKA/081: Kolumbien - Mega-Straßenbauprojekt durch Vulkangebiet, Experten warnen vor den Risiken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Oktober 2013

Kolumbien: Mega-Straßenbauprojekt durch Vulkangebiet - Experten warnen vor den Risiken

von Constanza Vieira


Bild: © Geologischer Dienst Kolumbiens/Observatorium von Manizales

Luftaufnahme vom Machín-Vulkan
Bild: © Geologischer Dienst Kolumbiens/Observatorium von Manizales

Finca Galicia, Zentralkordillere, Kolumbien, 24. Oktober (IPS) - In Kolumbiens Anden-Zentralkordillere wird derzeit an einem Mega-Straßenprojekt gebaut, das den Ost-West-Warentransportweg beträchtlich verkürzen soll. Wissenschaftler sind jedoch beunruhigt, weil die Strecke auch am gefürchteten Machín-Vulkan vorbeiführt.

Das Großprojekt La Línea beinhaltet neben der Straßentrasse einen 8,8 Kilometer und einen 8,6 Kilometer langen Tunnel sowie 21 kürzere Tunnel und 29 Brücken mit einer Länge von insgesamt 6,8 Kilometern. Die Arbeiten am ersten Tunnel sollen in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres abgeschlossen sein.

Der Tunnel im Departement Tolima entsteht in der Nähe des Machín, einem der gefährlichsten Vulkane des Landes, der im Verlauf von 10.000 Jahren sechs bis sieben Mal ausgebrochen ist, zuletzt vor 800 Jahren.

"Die explosivsten Vulkane Kolumbiens verhalten sich seit vielen Jahren ruhig", sagt Marta Calvache, die den Geologischen Dienst Kolumbiens (SGC) leitet. Der SGC hatte 1998, 1999, 2000 und 2003 das Gefahrenpotenzial eines erneuten Vulkanausbruchs untersucht und den Behörden empfohlen, die Risikobewertung in ihren mittel- und langfristigen strategischen Planungen zu berücksichtigen.

Das sechs Kilometer lange Teilstück von La Línea in Tunnelnähe liegt 15 Kilometer Luftlinie vom Machín entfernt. Sollte es zu kleineren Aktivitäten des Vulkans kommen, würde die Trasse vollständig zerstört, warnt Calvache. "In einem solchen Fall bliebe der Tunnel ohne Autostraße."


Kleiner Ausbruch mit dramatischen Folgen

Jede kleine Eruption könnte den SGC-Prognosen zufolge eine Million Menschen treffen, die Verbindung zwischen dem Westen und Zentrum des Landes unterbrechen und die drei wichtigen Kornkammern Cajamarca, Quindío und Tolima zerstören. Die im Umfeld des Kraters liegenden Städte und Dörfer würden von einer mindestens 50 Zentimeter hohen Ascheschicht bedeckt. Ein Teil der Lokalbevölkerung müsste dauerhaft umgesiedelt werden.

Derzeit wird der Vulkan 24 Stunden pro Tag von mehr als 100 Kontrollstationen überwacht. 2008 wurde Alarmstufe gelb ausgerufen. Jede noch so kleine Eruption würde größer ausfallen als der Ausbruch des 45 Kilometer westlich gelegenen Ruiz-Vulkans, der im November 1985 Magma und Gesteinsmassen im Umfang von 0,3 Kubikkilometern ausspuckte, die die Kleinstadt Armero mit sich rissen. Damals starben 22.000 der 28.000 Einwohner, mehr als 5.000 wurden verletzt.

"Bei einem normalen Ausbruch des Machín würde Material von mehreren Kubikkilometern Größe in die Luft geschleudert. Im Fall eines Großausbruchs wären es sogar 20 Kubikkilometer", rechnet Calvache vor. Sollte es zu einer solchen gigantischen Katastrophe kommen, wäre ganz Zentralkolumbien einschließlich der Departements Tolima, Quindío, Valle del Cauca und Cundinamarca betroffen, in denen knapp eine Million Menschen leben.

Bei einer Eruption des Machín entstünden zudem große und sich schnell hangabwärts bewegende pyroklastische Ströme (Feststoff-Gas-Gemisch). Für die Anrainer käme dies einem Todesurteil gleich, warnt Calvache.

"Wir wissen, dass sich das Verhalten des Vulkans verändert", so die Geologin. "Wir wissen aber nicht, ob diese Veränderungen zu einer Eruption führen oder sich auf einen kleinen Rülpser beschränken werden." Offenbar verlassen sich die Behörden auf die zweite Variante.

"In der Umweltverträglichkeitsstudie zum Tunnelprojekt wird der Machín als Risikofaktor gar nicht erwähnt", meint Néstor Jaime Ocampo von der Ökologischen Stiftung Kosmos mit Sitz in Armenia, der Hauptstadt von Quindío.

Die Regierung von Álvaro Uribe (2002-2010) hatte das La Línea-Projekt 2005 als strategisch wichtig für den Außenhandel des Landes beworben. Es sorgt für die Anbindung der Stadt Cúcuta im Nordosten an der Grenze zu Venezuela und dem einzigen kolumbianischen Pazifikseehafen Buenaventura im Westen.

Buenaventura ist quasi das Tor für alle Waren, die vom Pazifik her Bogotá erreichen. "Es handelt sich um Tausende von Tonnen Gütern, die hier ankommen und von hier aus aber auch ausgeführt werden", berichtet der Leiter der Kolumbianischen Gesellschaft der Ingenieure (SCI), Luis Orlando Muñoz. "La Línea ist, was die Straßenverkehrsverbindungen angeht, die Wirbelsäule des Landes."


Integration der regionalen Infrastruktur

Das Bauprojekt ist sogar mehr als das. "Was hier entsteht, ist eine moderne Verbindungsstrecke zwischen (der venezolanischen Hauptstadt) Caracas und Buenaventura. Es geht also auch um die Öffnung Venezuelas zum Pazifik", erläutert der Umweltschützer Ocampo. Der Korridor verbindet den Golf von Venezuela am Karibischen Meer und Ecuador am Pazifik und trägt somit zur Umsetzung der Initiative für die Integration der regionalen Infrastruktur Südamerikas (IIRSA) bei.

Wie fast alle kolumbianischen Straßen verläuft die 1.020 Kilometer lange Verbindung zwischen Cúcuta und Buenaventura in beide Richtungen einspurig. In den höheren Gebirgslagen zieht sie sich zickzackförmig vorbei an Nebelhochgebirgswäldern, Wachspalmen (Ceroxylon quindiuense), Tibouchina-Sträuchern (Tibouchina lepidota), Tafelbergen und Schluchten.

Lastwagenfahrer haben vor La Línea großen Respekt. Nebel, Steigungen von bis zu 18 Prozent und enge Kurven erlegen ihnen Fahrgeschwindigkeiten von höchstens 18 Stundenkilometern auf. Der Bedarf von Verkehrskontrollen und die Armut in der Region haben dazu geführt, dass Frauen und Männer mit Fahnen, Laternen und Trillerpfeifen anzeigen, wenn hinter einer Kurve ein Lastwagen auf der Gegenspur liegen geblieben ist. Für diese lebensrettenden Hinweise sind die Lastwagenfahrer nur allzu gern bereit, einige Münzen zu zahlen.

Der Tunnel wird die Gesamtstrecke um zehn Kilometer verkürzen. Den Lkw-Fahrern verschafft er eine Zeitersparnis von 87 Prozent beziehungsweise 80 Minuten. Die Kolumbianische Infrastrukturkammer schätzt die Durchschnittsgeschwindigkeit nach Fertigstellung von La Línea auf 60 Stundenkilometer. Zudem wird mit einem Rückgang der Unfallrate um 75 Prozent gerechnet.

Bild: © Constanza Vieira/IPS

Im oberen Bildabschnitt ist eine der im Rahmen des La-Línea-Projekts geplanten 29 Brücken zu sehen
Bild: © Constanza Vieira/IPS

Fast 80 Prozent des kolumbianischen Warenaufkommens wird nach Angaben des Transportministeriums auf den Straßen des Landes bewegt. Doch sind diese Infrastrukturen um mindestens 30 Jahre veraltet, wie die SCI-Vorsitzende Diana Espinosa kritisiert. Sie macht dafür staatliche Versäumnisse und die Investitionen der Regierung in den kolumbianischen Bürgerkrieg verantwortlich.

Im letzten Jahrzehnt hat der Lastwagenverkehr, bedingt durch den gewachsenen Außenhandel und insbesondere durch den Anstieg der Importe, erheblich zugenommen. Das Importvolumen übersteigt das Exportvolumen um ein Dreifaches. Aus diesem Grund wird der erste Tunnel in erster Linie dem Transport von Waren von Buenaventura nach Bogotá zugute kommen.

"Die Menschen geben lieber bekannten Risiken als unbekannten Lösungen den Vorzug", meint der Katastrophenexperte Gustavo Wilches-Chaux auf die Frage, warum die 10.000 Einwohner des dem Machín am nächsten gelegenen Dorfes Cajamarca nicht das Weite suchen.


Auch Goldbergbau profitiert

Ein weiterer Faktor, der die Menschen am Ort halte, sei die Goldmine 'La Colosa', die von dem südafrikanischen Unternehmen 'AngloGold Ashanti' ausgebeutet wird. Die Arbeiten dort würden durch La Línea an Dynamik gewinnen. "Indem darauf bestanden wird, dass die Verbindungsstraße dort entlang verläuft, wird ein Zuzug von mehreren Tausend Menschen in die eruptionsgefährdete Region erfolgen."

Wilches-Chaux zufolge geht es bei dem Projekt nicht um die Sicherheit der dort lebenden Menschen, sondern um die Interessen und die Bequemlichkeit multinationaler Unternehmen. "Wenn wir als Bürger den Tunnel frequentieren, dürfen wir uns auf hohe Maut-Gebühren gefasst machen." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.sci.org.co/
http://www.iirsa.org/admin_iirsa_web/Uploads/Documents/lb11_completo_baja.pdf
http://www.ipsnoticias.net/2013/10/tunel-de-la-linea-megaobra-en-riesgo-de-erupcion/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2013