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LATEINAMERIKA/126: Brasilien - Einwohner von Santarém befürchten Umweltschäden durch Hafenausbau (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Dezember 2015

Brasilien: Einwohner von Santarém befürchten Umweltschäden durch Hafenausbau

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Hafenterminal des US-Lebensmittelkonzerns 'Cargill' am Ufer des Tapajós-Flusses in Nordbrasilien
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

SANTARÉM, Brasilien (IPS) - Der Binnenhafen in Santarém im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará, von dem aus große Mengen an Soja und Mais nach Übersee verschifft werden, soll weiter ausgebaut werden. Während die lokalen Behörden von einer Chance für die Entwicklung der Region sprechen, warnen Wissenschaftler und Sozialaktivisten davor, dass Stadt und Umwelt den zunehmenden Güterverkehr nicht verkraften werden.

In dem von dem US-amerikanischen Lebensmittel- und Futterproduzenten 'Cargill' gebauten Hafenterminal werden seit dem Jahr 2003 Sojabohnen und Mais umgeschlagen. Die Frachter erreichen über den Amazonas den Atlantik, von wo aus sie Europa und China, die größten Absatzmärkte für brasilianische Agrarerzeugnisse, ansteuern.

Brasilien ist nach den USA der zweitgrößte Produzent und der größte Exporteur von Soja. Bei der Ernte 2014 und 2015 wurden in dem lateinamerikanischen Land 95 Millionen Tonnen Sojabohnen eingebracht, von denen 60,7 Millionen in den Export kamen. Die Behörden von Santarém heben hervor, dass der Hafen Arbeitsplätze schafft und für Steuereinkünfte sorgt. Auch die Bau- und die Dienstleistungsbranche, Hotels und Treibstofflieferanten könnten profitieren.


Neue Arbeitsplätze nur während der Bauphase

Der katholische Priester Edilberto Sena, der Vorsitzender der Bewegung 'Tapajós Vivos' ist, spricht hingegen von einer "Katastrophe für Santarém". "Während des Baus des Hafens sind zwar 800 neue Jobs geschaffen worden", berichtet er. "Sofort nach Beendigung der Arbeiten sind jedoch die meisten Menschen entlassen worden. Inzwischen bietet der Hafen nur noch 150 bis 160 Jobs."

Der Hafen in Santarém, von dem aus zurzeit bis zu fünf Millionen Tonnen Getreide exportiert werden können, sollte zunächst stark genutzte Häfen im Süden des Landes, wie Santos im Staat Sao Paulo und Paranaguá in Paraná, entlasten. Der Hafen und der Containerterminal im 300 Kilometer weiter südlich gelegenen Mirituba verkürzen zudem die Transportwege zu Land und zu Wasser für Sojalieferungen aus dem Nachbarstaat Mato Grosso, wo der größte Teil des brasilianischen Sojas produziert wird.

Die ersten Hafenanlagen in Santarém wurden von dem US-Lebensmittelkonzern 'Bunge' gebaut. Später kamen 'Cargill' und andere multinationale Unternehmen dazu. "Solche Häfen steigern die Wettbewerbsfähigkeit Brasiliens", erklärt José de Lima, der die Planungsabteilung in der Stadtverwaltung von Santarém leitet. Von dort aus betrage die Strecke zu der chinesischen Hafenstadt Schanghai nur noch 19.500 Kilometer, während es von Santos aus 24.000 Kilometer seien. Der Weg durch den Panama-Kanal könne die Transportkosten pro Tonne von 159 auf 147 US-Dollar verringern.

Mit Investitionen von etwa 800 Millionen Dollar wollen die Konzerne erreichen, dass sie ab dem Jahr 2020 jährlich 20 Millionen Tonnen Getreide durch das Amazonasbecken verschiffen können. Nelio Aguijar, der Planungssekretär von Santarém, betont, welch große strategische Bedeutung die Binnenhäfen für den Export von Agrargütern haben. "Brasiliens Bruttoinlandsprodukt wächst dank der Geschäfte im Landwirtschaftssektor."


Lange LKW-Staus in der Innenstadt

Ein Großteil der Ladungen wird in Lastwagen über die Autobahn BR-163 angeliefert, die am Terminal von 'Cargill' endet. Während der Soja- und Maisernte treffen zurzeit täglich etwa 350 Laster in Santarém ein. Planungsdirektor Lima geht davon aus, dass die Zahl auf 2.000 am Tag steigen wird, wenn weitere geplante Hafenterminals in der Stadt ihren Betrieb aufnehmen.

Wissenschaftler und Sozialaktivisten warnen jedoch davor, dass die Stadt dem Güterverkehr bereits jetzt nicht gewachsen sei. Raimunda Monteiro, die an der Föderalen Universität von West-Pará lehrt, weist auf die gestiegene Zahl von Unfällen hin. Obwohl gegen den Bau des Terminals von 'Cargill' seinerzeit mehrere Klagen eingereicht wurden, konnten die Arbeiten mit Unterstützung der lokalen Behörden weitergeführt werden.


Bild: © Gonzalo Gaudenzi/IPS

Ein Fischer trägt seinen Fang zum Markt von Santarém
Bild: © Gonzalo Gaudenzi/IPS

In Santarém sei durch den Bau ein Strand zerstört worden, sagt der Rechtsanwalt Ibis Tapajós, der sich in sozialen Bewegungen engagiert. Zudem hätten sich weitere Sojaproduzenten in der Umgebung niedergelassen. Diese Auswirkungen seien in den Umweltstudien vor Projektbeginn nicht berücksichtigt worden.

Um Verkehrsstaus durch LKW in der Innenstadt zu vermeiden, plant die Stadt, neue Zufahrtsstraßen und Parkplätze in Außenbezirken anzulegen. Dennoch sorgen sich Umweltschützer darum, dass die Luft in Santarém durch Abgase verpestet und der Fluss verseucht wird, wenn etwa chemische Düngemittel auf die Schiffe verladen werden."Der Hafen ist ein deutliches Beispiel für die Missachtung sozio-ökologischer Rechte durch Großunternehmen", sagt Tapajós.


Sechs neue Terminals vorgesehen

Mindestens sechs weitere Terminals sind bereits in der Planungsphase. Zwei sollen neben dem 'Cargill'-Terminal und vier weitere in der Umgebung des Maica-Sees errichtet werden. Am weitesten vorangeschritten ist ein Projekt der privaten Firma 'EMBRAPS', für das bald eine Umweltgenehmigung erteilt werden soll.

"Der Maica-See ist eine ökologisch extrem fragile Zone", gibt Monteiro zu bedenken. "Er liegt am Ende eines etwa 50 Kilometer langen Gebietes mit Seen und Kanälen, nahe der Mündung des Tapajós-Flusses in den Amazonas." In dem Gebiet, in dem das Unternehmen bauen will, gibt es in der Regenzeit Überschwemmungen und in der Trockenperiode Dürren.

'EMBRAPS' hat bereits Schilder aufstellen lassen, die Unbefugten den Zutritt zu dem Baugrundstück verbieten. Die etwa 480 Fischer, die nahe dem See leben, befürchten nun Nachteile durch den Frachtverkehr. "Der See wird praktish privatisiert", kritisiert Ronaldo Souza Costa, Vorsitzender eines Zusammenschlusses von Einwohnern des Gebietes.

Auch die Nahrungsversorgung für die Menschen in Santarém ist bedroht. Bisher kommen 30 Prozent des in der Stadt verkauften Fisches aus dem Maica-See.

Die Stadtverwaltung von Santarém erklärt dagegen, die Unternehmen seien nicht an dem See interessiert, sondern wollten ihre Schiffe auf dem Amazonas fahren lassen. Da See und Fluss miteinander verbunden sind, rechnen die Fischer in jedem Fall damit, durch den hohen Wellengang, den die Schiffe verursachen, in ihren kleinen Booten gefährdet zu werden. (Ende/IPS/ck/18.12.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/12/brazils-amazon-river-ports-give-rise-to-dreams-and-nightmares/

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IPS-Tagesdienst vom 18. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2015

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