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MEER/161: Kaltwasserkorallen - Riff-Baumeister mit Sinn für Harmonie (idw)


GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel - 30.10.2014

Kaltwasserkorallen: Riff-Baumeister mit Sinn für Harmonie



30.10.2014/Kiel. Kaltwasserkorallen der Spezies Lophelia pertusa sind in der Lage, Skelett-Verbindungen mit genetisch fremden Artgenossen einzugehen. Auf Fahrten mit dem am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel stationierten Tauchboot JAGO entdeckten Wissenschaftler aus Schottland und Deutschland vor der Norwegischen Küste erstmals verschiedenfarbige Korallenzweige, die nahtlos zusammengewachsen waren. In ihrer Veröffentlichung in den "Scientific Reports" erklären die Forscher, wie die Fähigkeit zur Verschmelzung die Stabilität der Korallenriffe unterstützt und somit zum Erfolg der Korallen als Riff-Baumeister der Tiefsee beiträgt.

Foto: © Karen Hissmann, JAGO-Team, GEOMAR

Das Forschungsschiff POSEIDON und Tauchboot JAGO im norwegischen Trondheimfjord.
Foto: © Karen Hissmann, JAGO-Team, GEOMAR

Sie leben in den kalten, dunklen Tiefen der Meere, sind häufig starken Strömungen ausgesetzt und liefern eine stabile Basis für artenreiche und farbenfrohe Ökosysteme: Steinkorallen der Art Lophelia pertusa gelten als hervorragende Riff-Baumeister. Nach den neuesten Erkenntnissen von Forschern der Heriot-Watt Universität Edinburgh, des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, der Universität Glasgow und des United States Geological Survey verbinden sogar genetisch unterschiedliche Individuen ihre Skelette miteinander. Erste Beobachtungen hierzu machten die Wissenschaftler auf einer Expedition mit dem Tauchboot JAGO und dem Forschungsschiff POSEIDON vor der Küste Mittelnorwegens im September 2011. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt in den "Scientific Reports".

Foto: © Maike Nicolai, GEOMAR

JAGO wird nach einem Tauchgang zurück an Bord der POSEIDON gebracht.
Foto: © Maike Nicolai, GEOMAR

"Auf unseren Tauchgängen mit JAGO fanden wir Riffe, in denen der orangefarbene und der weiße Typ der Koralle miteinander verschmolzen zu sein schienen", berichtet Dr. Sebastian Hennige von der Heriot-Watt Universität Edinburgh. "Dieser Anblick fiel mir sofort auf, und wir haben direkt einige Proben für genetische Tests und Skelett-Analysen genommen. Damit konnten wir später beweisen, dass sich tatsächlich Individuen einer Art verbunden hatten, die keine Geschwister sind." Aufgrund seiner Erkenntnisse geht Hennige davon aus, dass Lophelia pertusa Vertreter ihrer Art über Verwandtschaftsgrenzen hinweg erkennt.

Korallen unter Wasser - Foto: © JAGO-Team, GEOMAR

Ein hellgelbes Gorgonenhaupt besucht das Riff aus Gorgonien und Steinkorallen.
Foto: © JAGO-Team, GEOMAR

Bis jetzt wurde angenommen, dass die ausgedehnten Riffe von Geschwistern gebildet wurden. Sie sind jedoch ein Ergebnis der Fusion von genetisch unterschiedlichen Individuen - als ob zwei Menschen, die nah beieinander sitzen, ihre Skelette miteinander verbinden. Diese Fähigkeit unterscheidet Lophelia pertusa stark von tropischen Korallen. Tropische Riffe werden von Kalkalgen zusammengehalten, die die Kruste abgestorbener Zweige bevölkern. Diese Algen sind auf Tageslicht angewiesen. "Kaltwasserkorallen, die ihre Riffe ausschließlich im Dunkeln errichten, können nicht auf eine solche Unterstützung bauen. Sie scheinen aber einen anderen Weg gefunden zu haben, um Stabilität herzustellen," erläutert Dr. Armin Form, Meeresbiologe am GEOMAR und Co-Autor der Veröffentlichung. "Entweder die Korallen verschmelzen tatsächlich zu einem gemeinsamen Stock, oder ein Zweig überwächst den anderen, ohne dass der Partner dabei Schaden nimmt." Tropische Steinkorallen verhalten sich gegenüber ihren Nachbarn meistens deutlich aggressiver: Sie setzen chemische Stoffe frei, um Kontakt zu anderen Korallen zu verhindern. "Dieses Abwehrverhalten kostet allerdings viel Energie, die dann nicht mehr für andere Funktionen zur Verfügung steht", so Dr. Form.

Korallen unter Wasser - Foto: © JAGO-Team, GEOMAR

Die Steinkoralle Lophelia pertusa (hier der weiße Typ) bildet die Basis ausgedehnter Riffe.
Foto: © JAGO-Team, GEOMAR

"Unsere Entdeckung zeigt nicht nur, wie viel wir noch über die Ökosysteme der Tiefsee zu lernen haben. Sie belegt auch, wie wichtig der technologische Fortschritt ist", betont Murray Roberts, Professor an der Heriot-Watt Universität Edinburgh. "Die Chance, die Riffe selbst mit dem Tauchboot JAGO zu erkunden, hat uns ganz neue Einblicke beschert und geholfen, die kostbaren Proben direkt mit aufs Schiff und weiter in unsere Labore zu bringen."

Drei Personen an einem Behälter, mit Korallen in den Händen - Foto: © Karen Hissmann, JAGO-Team, GEOMAR

Dr. Sebastian Hennige, Prof. Murray Roberts und Dr. Armin Form sichten die mit JAGO gewonnenen Proben an Bord des Forschungsschiffs POSEIDON.
Foto: © Karen Hissmann, JAGO-Team, GEOMAR

Lophelia pertusa hat im Laufe der Evolution Eigenschaften herausgebildet, mit deren Hilfe sich Energie sparen und die Stabilität im Riff stärken lässt. "Angesichts dieser Flexibilität hoffen wir, dass sie auch mit zukünftigen klimatischen Veränderungen zurechtkommt. Allerdings läuft der globale Wandel derartig schnell ab, dass es fraglich bleibt, ob die Korallen Schritt halten können", sagt Dr. Armin Form.

Originalveröffentlichung:
Hennige, S.J., Morrison, C. L., Form, A. U., Büscher, J., Kamenos, N. A. and Roberts, J.M., 2014: Self-recognition in corals facilitates deep-sea habitat engineering. Sci. Rep. 4, 6782, doi:10.1038/srep06782.


Weitere Informationen finden Sie unter
GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
http://www.geomar.de
Centre for Marine Biodiversity and Biotechnology, Heriot-Watt
University, Edinburgh
http://www.cmbb.hw.ac.uk
United States Geological Survey, Leetown Science Center
http://www.lsc.usgs.gov
School of Geographical and Earth Sciences, University of Glasgow
http://www.gla.ac.uk/schools/ges
The Scottish Association for Marine Science
http://www.sams.ac.uk
University of North Carolina Wilmington
http://uncw.edu

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder unter:
http://idw-online.de/de/news610853
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution818

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Dr. Andreas
Villwock, 30.10.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2014