Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

RESSOURCEN/051: Voll auf Sand gebaut - Ein kostbarer Rohstoff wird rücksichtslos geplündert (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 182 - Oktober / November 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Voll auf Sand gebaut
Ein kostbarer Rohstoff wird weltweit rücksichtslos geplündert

Von Volker Voss



Anfang des 20. Jahrhunderts transportierten voll beladene Güterwaggons Sand vom Ostseestrand in Travemünde zum Strandbad Wannsee im heutigen Berliner Stadtteil Zehlendorf, um das Wannseestrandbad auf einen Kilometer Länge und 50 Meter Breite mit echtem Meeressand aufzufüllen. Für die Berliner_innen war damit seinerzeit ein attraktives Ausflugsziel mit einem Hauch von südlichem Flair geschaffen, das jährlich hunderttausende Menschen anlockte und auch heute noch beliebtes Ausflugsziel ist. Niemand hätte damals an einem derartig umfangreichen Sandtransport Anstoß genommen oder gar ein Umweltproblem vermutet. Sand war in rauen Mengen vorhanden.

Heute würde ein solcher Transport unweigerlich Umweltschützer_innen auf den Plan rufen. Sand, feinkörnig am Meer gelegen, ist den Meisten weltweit eher als Anziehungspunkt für Urlaubsfreuden bekannt, nicht aber als wertvoller Rohstoff, der in vielen Wirtschaftszweigen verarbeitet wird und dessen hemmungsloser Abbau in einigen Regionen der Erde mittlerweile erhebliche Umweltprobleme verursacht. "Es wird heutzutage sogar mehr Sand als Erdöl verbraucht", fand Professor Harald G. Dill von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover heraus.

Sand ist ein Rohstoff, der in der Baubranche unverzichtbar ist und im Tief-, Verkehrswege und Erdbau verwendet wird, aber auch als Rohstoff zur Zementherstellung und als Zusatzstoff zur Herstellung von Mörtel und Beton zum Einsatz kommt. Für den Bau von Straßen, Gebäuden und Brücken ist Sand unverzichtbar. Selbst für die Glas- und Keramikherstellung wird dieser wichtige Rohstoff gebraucht. Auch in Putzmitteln und elektronischen Produkten wie Computern, Handys und Kreditkarten befindet sich Sand. Er ist Bestandteil unzähliger Produkte.

Hohe Nachfrage

Grundsätzlich gibt es zwar genug Sand auf der Erde, jedoch nicht genug Abbauflächen, um den Bedarf an Sand zu stillen. Es entfallen unter anderem Forstflächen und Wohngebiete. "Von den natürlichen Vorkommen bleibt somit zum Abbau nicht mehr viel übrig", glaubt Professor Dill. "Wasser hat immer Vorrang gegenüber Sand, deshalb gibt es Wasserschutzgebiete, die den Sandabbau dort unmöglich machen. Gäbe es keinen Umweltschutz, könnten wir viel mehr abbauen. Man spricht hier von konkurrierenden Nutzungsansprüchen", erläutert Professor Dill die umweltrechtlichen Aspekte.

Doch so ernst nehmen Industrie und Politik den Umweltschutzaspekt beim Sandabbau nicht immer, wie viele Beispiele weltweit zeigen. Angefangen beim Buschbeller Wald im Rhein-ErftKreis: Dort kämpfen Umweltschützer mit Unterstützung des BUND gegen den Abbau von Quarzsand durch die Quarzindustrie, der dieses alte Waldgebiet mit vielen geschützten Arten, Bäumen und Pflanzen zerstören würde. Viele Tierpopulationen würden dadurch ausgerottet.

Sand wird immer häufiger im Meer abgebaut. "Aber das ist kein Reservoir, aus dem man auf Teufel komm raus Sand abbauen kann. Das Gefährliche ist: Der Sand wird nicht aus 3.000 Meter Tiefe hochgepumpt, sondern aus den Küstenbereichen. Würde man in einem Randmeer wie der Ostsee unkontrolliert Sand abbauen, würde das die Strömung und das Gleichgewicht des Biotops verändern", warnt Professor Dill. Wie rücksichtslos heute trotzdem Sand abgebaut wird, belegen weitere Beispiele. Auch in Deutschland schreitet der Sandabbau voran. Sowohl im Meer als auch an den hiesigen Küsten wird Sand und Kies abgebaut, berichtet Jochen Lamp, Leiter des WWF-Ostseebüros in Stralsund in einem Beitrag bei ARTE. Allein 2006 waren es 2,3 Millionen Tonnen, die von Stränden, aber auch aus dem Meer gewonnen wurde. Jedoch variiert der jährliche Abbau je nach Bedarf. So sei die Ausbeute in den Jahren 2010/11 aufgrund des Baus der Ostseepipeline sprunghaft in die Höhe geschnellt.

Wie begehrt Sand ist, belegt die Tatsache, dass weltweit pro Jahr 15 Milliarden Tonnen davon abgebaut werden, mehr als von jedem anderen Rohstoff, errechnete der BUND. Allein für ein Einfamilienhaus würden 200 Tonnen Sand benötigt. Beispiele des Sandverbrauchs im Bausektor belegen das gesamte, fast unvorstellbare Ausmaß von zum Beispiel 30.000 Tonnen für einen Kilometer Autobahn oder 12 Millionen Tonnen Sand für ein Atomkraftwerk.

Verheerende Verwüstungen

Als krasse Beispiele, welche Auswirkungen der Sandabbau in anderen Regionen der Welt hat, nennt Michael Welland, britischer Geologe und Buchautor von Sand: a journey through science and the imagination, die verheerenden Verwüstungen an der amerikanischen Ostküste. Dort wurden Dünen zerstört und zu dicht an die Strände herangebaut, so dass sie keinen Schutz mehr gegen orkanartige Stürme bieten. "Weil Sand leicht von Wind und Wasser transportiert wird, ist er das dynamischste geologische Material der Erde und für das Gleichgewicht der Erdkruste unersetzlich.

Wenn man an einem Strand, in einem Flussbett oder auf dem Meeresgrund große Mengen davon abbaut, greift man in ein äußerst kompliziertes und dynamisches Ökosystem ein, in dem sich der Sand je nach Gezeiten, Wasser- und Windströmungen ablagert. Die intensive Nutzung verändert sein natürliches Verhalten also vollständig", warnt Welland und spricht offen von Raubbau an der Natur. Ein großer Teil unseres Sandes sei bereits in Beton eingeschlossen.

Die Rede ist vielerorts von einer regelrechten Sand-Mafia. In dem erschreckenden, aber sehenswerten ARTE-Dokumentarfilm Sand: Die neue Umweltzeitbombe werden weltweit Beispiele aufgezeigt, die in ihren negativen Auswirkungen kaum noch zu übertreffen sind. Da wird auf den illegalen Sandabbau in Marokko aufgrund der boomenden Tourismusindustrie verwiesen, wo bereits ganze Strände verschwunden sind.

Oder das Bespiel Singapur: Dort wird trotz Verbot weiterhin Sand aus den Nachbarländern importiert. In Indonesien sind bereits ganze Inseln wegen des illegalen Sandabbaus verschwunden. Dann wären da noch die von Touristen oft bewunderten pharaonenhaften Bauprojekte in Dubai, wo die eigenen Sandressourcen aufgebraucht wurden und nun Sand aus Australien importiert wird. Des Weiteren wird auf die "Machenschaften der indischen Mafia verwiesen, die die Bauwirtschaft des Landes kontrolliert, während die eigene Bevölkerung weiterhin in Slums hausen muss". In Frankreich wehrt sich die Bevölkerung gegen Konzerne, die sich Standorte in Küstennähe sichern, um in Schutzgebieten Sand vom Meeresboden abzubauen. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

Die Vereinten Nationen haben sich dieses Problems bereits angenommen. In ihrem Umweltprogramm UNEP (United Nations Environment Programme) wird das Thema ausführlich behandelt und auf die dramatischen Folgen des weltweiten Sandabbaus sowie die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Baustoffe hingewiesen.

"Alles, was auf Grundlage von Sand hergestellt wird, kann recycelt werden, um Sand daraus zu gewinnen. Doch weil Sand so wenig kostet, sind diese Bemühungen derzeit nur wirtschaftliche Randerscheinungen, die die massive Nachfrage nicht stillen können", bemängelt der Geologe Welland.

*

Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 182 - Oktober/November 2014, S. 20
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2014