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SOZIALES/044: Chagos-Archipel - Vertriebene wollen zurück, neuer Rechtsstreit gegen Großbritannien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Februar 2014

Chagos-Archipel: Vertriebene wollen zurück - Neuer Rechtsstreit gegen Großbritannien

von Nasseem Ackbarally


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Chagos-Flüchtlingsgruppe (CRG)

Chagossianer bei einem Besuch der alten Heimat 2006 - Viele wollen 40 Jahre nach ihrer Vertreibung zurück
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Chagos-Flüchtlingsgruppe (CRG)

Port Louis, 21. Februar (IPS) - Das Meeresschutzgebiet rund um den Chagos-Archipel mitten im Indischen Ozeans ist für Olivier Bancoult, dem Leiter der Chagos-Flüchtlingsgruppe (CRG), vor allem eins: ein weiteres Hindernis für die Mitglieder seiner Vereinigung, in die Heimat zurückzukehren.

Seit 40 Jahren kämpfen die Chagossianer für die Rückkehr ins Paradies, wo sie über einen Zeitraum von mehr als fünf Generationen lebten. Die Vertreibung erfolgte Anfang der 1970er Jahre, als die 55 Inseln, die bis dato unter der Verwaltung der 1.200 Kilometer nördlich gelegenen Insel Mauritius standen, zum 'Britischen Territorium im Indischen Ozean' erklärt wurden.

Großbritannien, die damalige Kolonialmacht in der Region, hatte Mauritius 1968 in die Unabhängigkeit entlassen, behielt jedoch die Kontrolle über die Chagos-Atolle und vertrieb die lokale Bevölkerung. Die Hauptinsel Diego Garcia war zu diesem Zeitpunkt bereits als Militärstützpunkt an die USA verpachtet worden. Das 50-jährige Abkommen läuft 2016 aus, Verhandlungen sind für dieses Jahr geplant.

2010 wurde das Meeresschutzgebiet eingerichtet, in dem menschliche Siedlungen nicht vorgesehen sind. Für einen Besuch ist eine Genehmigung der britischen Regierung erforderlich. "Trotz alledem werden wir nicht aufgeben", versichert Bancoult, der zurzeit einen neuen Rechtstreit gegen die britische Regierung vorbereitet, der am 30. März vor dem High Court in London verhandelt wird.

Bancoult war vier Jahre alt, als er zusammen mit seiner Mutter nach Mauritius kam. 1983 gründete er die CRG, um für die Rechte seiner Gemeinschaft einzutreten. Über die Jahre hat er zahlreiche Proteste und Hungerstreiks organisiert.

Bild: © Nasseem Ackbarally/IPS

Eine Karte des Chagos-Archipels, auf dem das Meeresschutzgebiet eingezeichnet ist
Bild: © Nasseem Ackbarally/IPS

Das Meeresschutzgebiet erstreckt sich über eine Fläche von fast 545.000 Quadratkilometern. Es soll den Schutz der Artenvielfalt des Chagos-Archipels garantieren. Dort gelten strikte Umweltauflagen, und der kommerzielle Fischfang ist in den Gewässern verboten. Dem britischen Außen- und Commonwealth-Büro (FCO) zufolge geht es um die Bewahrung einer der letzten großen Schatzkammern der Natur.


Machbarkeitsstudie umstritten

Auf der Grundlage einer 2002 durchgeführten Machbarkeitsstudie hatte das FCO erklärt, dass eine Wiederbesiedlung des Chagos-Archipels aufgrund der geringen Höhe der Inseln nicht in Frage komme. Schon jetzt würden die Inseln regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht, und einige Strände seien bereits erodiert. Da von einer zunehmenden Erderwärmung auszugehen sei, würden sich die Klimaanomalien häufen und intensivieren.

Doch die Wissenschaftler Richard Dunne und Barbara Brown, die seit Jahrzehnten über die Korallenriffe im Indischen Ozean forschen, sind anderer Meinung. Wie Dunne gegenüber IPS erklärt, beruft sich die britische Regierung seit Jahren auf dieselben Untersuchungsergebnisse, um gegenüber dem Parlament, den Gerichten und der Öffentlichkeit ihre Ablehnung zu begründen, die Chagossianer wieder auf den Chagos-Inseln anzusiedeln.

"Wir wissen jedoch, dass die Machbarkeitsstudie und die Schlussfolgerung wissenschaftlich unhaltbar sind", betont er. Das sei möglicherweise auch ein Grund, warum das FCO in diesem Jahr eine neue Studie durchführen lassen werde.

Dunne bestätigt zwar, dass es sich bei den Atollen des Chagos-Archipels um tiefliegende Koralleninseln handelt, die bestenfalls zwei Meter über den Meeresspiegel herausragen. Damit seien sie ähnlich anfällig für Stürme, Erosion und Überschwemmungen wie die nördlich gelegenen Malediven. Doch einen Grund, warum die Chagossianer nicht zurückkehren sollten, vermag er nicht zu erkennen.

Der Wissenschaftler erinnert daran, dass die Gemeinschaft bereits zwei Jahrhunderte lang auf den Inseln gelebt habe. Aus wissenschaftlicher Sicht gebe keinen Grund, dies nicht auch weiterhin zu tun. Das lasse sich ganz sicher für die nahe Zukunft - die nächsten 40 bis 50 Jahre - sagen.


Zweierlei Maß

Bancoult ist fest davon überzeugt, dass seine Leute keine Probleme hätten, sich auf den Inseln zurechtzufinden. Die Gegenargumente lässt er nicht gelten. "Wie lässt sich erklären, dass Europäer, US-Amerikaner und reiche Bürger aus anderen Staaten Monate auf Diego Garcia, Peros Banhos oder den Salomonen zubringen, die ja auch Teil des Archipels sind, wir Chagossianer hingegen fernbleiben sollen?"

Bild: © Nasseem Ackbarally/IPS

Olivier Bancoult, der Leiter der Chagos-Flüchtlingsgruppe, sieht in dem 2010 geschaffenen Meeresschutzgebiet das größte Hindernis für eine Wiederansiedlung der Chagossianer
Bild: © Nasseem Ackbarally/IPS

Simon Hughes vom 'Chagos Conservation Trust' (CCT), einer Organisation, die sich seit 20 Jahren für den Schutz der Artenvielfalt und des Ökosystems auf dem Inselarchipel einsetzt, hält den Vorwurf, das Meeresschutzgebiet sei eingerichtet worden, um die Heimkehr der Chagossianer zu verhindern, für unsinnig. Der entsprechende Rechtsrahmen könne jederzeit zugunsten einer lokalen Bevölkerung revidiert werden, sollte es eine solche geben, meint er.

Auch der CCT zieht die Klimakarte und argumentiert, dass die Inseln vom Anstieg des Meeresspiegels und der Küstenerosion bedroht werden. Die Abwesenheit menschlicher Siedlungen, die strikten Umweltauflagen und der minimale Fußabdruck der Militärbasis hätten sich ökologisch gesehen vorteilhaft ausgewirkt. "Die Inseln, Riffsysteme und Gewässer im Umfeld der Chagos-Inseln sind die artenreichsten und geschütztesten unseres Planeten", unterstreicht er. "Hier finden wir die Hälfte aller Riffe des Indischen Ozeans, die zudem gut in Schuss sind."

Dem britischen Rechtsanwalt und Berater der Chagossianer, Richard Gifford, zufolge ist Chagos ein wundervoller Platz zum Leben. Auch wenn sich der Wiederaufbau der Infrastruktur, der Wirtschaft, der Häuser und des Transportsystems schwierig gestalten sollte, lohnen würde er sich allemal, sagt er.

Von den ursprünglich 1.500 Chagossianern ist mehr als die Hälfte inzwischen verstorben. Die verblieben 682 sind fest entschlossen, zurückzukehren. "Wir arbeiten an einem Wiederansiedlungsplan", versichert Bancoult. "Und den werden wir den drei involvierten Parteien - Mauritius, Großbritannien und den USA - im Verlauf dieses Jahres vorlegen." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/02/chagos-islanders-will-give-fight-return-home/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Februar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2014