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SOZIALES/047: Kuba - Dorfbewohner von Guanímar wollen dem Meer nicht weichen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2014

Kuba: Dorfbewohner von Guanímar wollen dem Meer nicht weichen

von Ivet González


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Die kleine Mauer an der Küste der kubanischen Stadt Guanímar soll vor Erosion und Landverlust schützen
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Havanna, 26. März (IPS) - In Guanímar, einem Fischerdorf an der kubanischen Südküste, leben 252 Menschen. Sie sträuben sich, das von Stürmen und Überschwemmungen besonders bedrohte Gebiet zu verlassen. Denn das Meer ist ihre Haupterwerbsquelle.

"Wenn sie nicht mehr fischen gehen können, wissen sie nicht, wovon sie leben sollen", begründet die 63-jährige Maricela Pérez die Weigerung ihrer Nachbarn, Guanímar zu verlassen. Sie selbst lebt nur wenige Meter vom Meer entfernt.

Klar, die Menschen haben Angst vor den drohenden Naturkatastrophen. "Doch wir wollen nicht woanders leben. Hier wurden wir geboren, hier sind wir aufgewachsen", sagt Mayelín Hernández. Sie ist eine von vielen, die von der Regierung umgesiedelt wurden, aber immer wieder an den Golf von Batabanó zurückkehren, um dort zu fischen.

"Die Menschen verschließen ihr Haus in Alquízar (einer nahegelegenen Stadt) und verbringen den Großteil der Zeit hier in ihren 'Quimbos'", berichtet Hernández, die aus einer Fischerfamilie stammt. Insgesamt gibt es in Guanímar 152 solcher Quimbos, wie die prekären Behausungen genannt werden, die aus den Trümmern vergangener Wirbelstürme aufgebaut wurden. Auch die 41-Jährige hat ihr kleines Landhaus in neun Kilometer Entfernung abgeschlossen, um eine Weile am Meer zu leben.

Der alte Konflikt, entweder alles hinter sich zu lassen oder das eigene Leben zu retten, ist durch die neuen Raumnutzungsbestimmungen für Wohn-, Industrie-, Schutz- und Küstengebiete aufgebrochen. Die Neuregelung, die einer illegalen und wilden Bebauung und Landnutzung vorbeugen soll, tritt in diesem Jahr in eine praktische Phase.


Meer auf dem Vormarsch

Guanímar liegt längs eines breiten Küstenstreifens südlich von Havanna. Dieser Strand und das nördliche Küstengebiet der Hauptstadt sind besonders von Überschwemmungen und Stürmen innerhalb des karibischen Hurrikan-Korridors bedroht. Wissenschaftler schätzen, dass sich das Meer bis 2050 weitere 2,3 Prozent des nationalen Territoriums geholt haben wird.

Die neuen Verordnungen wurden im Jahr 2000 erlassen und beziehen sich in erster Linie auf die 5.746 Kilometer lange Küstenlinie des kubanischen Archipels, der aus der Hauptinsel sowie der Isla de la Juventud und 2.500 Koralleninseln und Inselchen besteht. Relevant für die Verwaltung der Küstenzonen ist der Gesetzeserlass 212, der sämtliche erosionsförderlichen Aktivitäten wie Bauarbeiten in Küstennähe, Autofahren in den Dünen, Mangroveneinschlag und das Aussetzen exotischer Arten verbietet.

Strikt eingehalten wird der Erlass bereits in Holguín, einer Touristenhochburg 690 Kilometer nordöstlich von Havanna. Seit Juli letzten Jahres wurden dort 212 öffentliche Gebäude abgerissen, weil sie in den Dünen gebaut worden waren. "Ziel ist es, die Umwelt zu schützen und Klimaanpassungsprogramme durchzuführen", erläutert Yailer Sánchez, ein Mitarbeiter der staatlichen Umweltbehörde.

Bei den meisten Verstößen gegen den Gesetzeserlass handelte es sich nach Aussagen von Sánchez um den Bau von Strandhäusern. Das Ziel der Behörden ist es nun, alle illegal gebauten Gebäude zu entfernen und die Hausbewohner innerhalb der nächsten zwei Jahre umzusiedeln. Da der Regierung bewusst ist, dass es sich dabei um ein delikates Unterfangen handelt, hat sie den 245 Küstendörfern der Region eine Sonderbehandlung zugesagt.

Die Umsetzung der Verordnungen stört die Ruhe, die bisher die meiste Zeit über in Guanímar herrscht, abgesehen von den vier Sommermonaten, in denen Tausende von Touristen den Strand okkupieren, die Häuser und Hütten beziehen und sich von der Lokalbevölkerung mit gegrilltem Fisch und anderen Snacks versorgen lassen.

"Das ist der beste Strand hier", meint Hernández. "Und warum sollten wir verschweigen, dass wir hier nicht weg wollen." Wie sie berichtet, hatten die Strandbewohner nach der Ankündigung der Behörden, alle Infrastrukturen in einem Radius von 50 Metern bis zur Küste abzureißen, den Abstand ihrer Häuser vom Meer gemessen. Ihres liegt 53 Meter entfernt.

Der 59-jährige Fischer Narciso Manuel Rodríguez will ebenfalls nicht weg vom Meer. "Man hat uns gesagt, dass man uns in weiter entfernten Häusern unterbringen wird. Doch ich ziehe es vor, zu bleiben und mich, so wie gehabt, in Sturmsituationen evakuieren zu lassen."

Die Tochter von Rodríguez lebt bereits in Alquízar, seit Hurrikan 'Charley' am 13. August 2004 ihr Haus zerstörte. Mehrere Familien folgten 2008, als die Wirbelstürme Gustav und Ike die Region heimsuchten. "Gustav hat mit aller Kraft zugeschlagen", erinnert sich der Fischer. Im Oktober 1944 hatte Guanímar seinen bisher schlimmsten Sturm in der kubanischen Geschichte erlebt. Die sechs Meter hohen Wellen drangen ganze zwölf Kilometer ins Landesinnere vor.


Menschen an Evakuierung gewöhnt

Immer wenn ein Hurrikan im Anmarsch ist, packen die 57 Familien, die in Strandnähe leben, ihre Habseligkeiten zusammen und lassen sich mit ihren Tieren von LKWs der Regierung in Sicherheit bringen. "Die Menschen sind sich der Gefahren bewusst", meint dazu der Stadtrat von Guanímar, Ricardo Álvarez. Doch von den Umweltproblemen haben sie keine Ahnung. Wie sollten sie auch? Wir bekommen hier keine Zeitung." Álvarez zufolge sind die Menschen auf Informationen angewiesen und sollten in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Auch der Regierungsladen, der Grundnahrungsmittel und andere Waren zu subventionierten Preisen im Rahmen des Lebensmittelkartensystems verkauft, wird aus den Dünen abgezogen. "Die Versorgungsmöglichkeiten schrumpfen", bedauert Álvarez. Die Grundschule ist bereits seit sechs Jahren dicht, während ein im gleichen Jahr zerstörtes Physiotherapiezentrum, in dem Patienten Fangopackungen erhielten, nicht mehr aufgebaut wurde.

"Die Menschen haben sich daran gewöhnt, mit der Gefahr zu leben, und gute Gründe, warum sie hier bleiben wollen", meint die Biologin María Elena Perdomo. "Deshalb ist es wichtig, zunächst einmal Überzeugungsarbeit zu leisten."

Aus einer Untersuchung der Architektin Celene Milanés von 2012 geht hervor, dass 90 bis 95 Prozent der in den Küstenstädten Chivirico und Uvero sowie in Santiago de Cuba im Osten lebenden Menschen noch nie etwas vom Gesetzeserlass 212 gehört hatten.

60 Prozent der Weltbevölkerung leben in Küstengebieten und sind damit den Gefahren, die sich aus dem Anstieg der Meere ergeben, ausgesetzt. In mehr als 180 Ländern finden sich größere Bevölkerungsgruppen, die in Tiefebenen angesiedelt sind. In 130 Staaten wurden größere Städte nur wenige Kilometer von der Küste entfernt aufgebaut. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/03/el-pueblo-cubano-de-guanimar-quiere-huir-del-mar/
http://www.ipsnews.net/2014/03/despite-risks-cuban-fisher-families-dont-want-leave-sea/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2014