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WISSENSCHAFT/042: Forschung als Einfallstor für destruktive Politik? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2017
Die Wissenschaft hat festgestellt ...
Forschung zwischen Geld, Macht und Gemeinwohlinteressen

Forschung als Einfallstor für destruktive Politik?
Das Beispiel Tiefseebergbau

von Kai Kaschinski


Die Erforschung der Tiefsee und die Meereswissenschaft im Allgemeinen faszinieren. Als Grundlagenforschung können sie aber auch zwiespältige Folgen zeitigen. Zum einen ist da die Entdeckung einer noch weitgehend unbekannten Welt, der Blick unter die Oberfläche eines uns nur scheinbar vertrauten Mediums. Der Vorstoß in die Tiefe der Meere öffnet die Tür in einen neuen Kosmos mit eigenartigen Kreaturen und Lebenswelten. Andererseits ist die Tiefseeforschung heute eng verzahnt mit der maritimen Wirtschaft und der Industrialisierung der Meeresnutzung. Der Entdeckung folgt unmittelbar die Nutzbarmachung. Oft geht beides Hand in Hand. Wissenschaft ist ein notwendiger Bestandteil dieser Form der Kolonisierung, denn sie kartographiert das Neuland und erkundet seine Schätze.


Im 18. und 19. Jahrhundert, der Frühzeit moderner Naturforschung, begannen WissenschaftlerInnen Expeditionen auf See zu begleiten, doch richtete sich ihr Interesse weniger auf die Meereswelt als auf die unbekannte Flora und Fauna in Übersee. Wenn auf See geforscht wurde, standen mit wenigen Ausnahmen die Vermessung der Küstenverläufe, Strömungen und Winde im Vordergrund. Den Beginn der modernen Meereskunde markierte die Forschungsfahrt der 'HMS Challenger' von 1872 bis 1876. Neue Methoden wurden entwickelt, 4.717 bis dahin unbekannte Meeresorganismen entdeckt und mit 8.164 Metern im Marianengraben der bis dahin tiefste Punkt des Meeresgrundes gemessen.

Die Entdeckung einer unbekannten Welt

Je weiter die Forschung vordrang, desto wichtiger wurde allerdings das Zusammenspiel von Meerestechnik und Wissenschaft. In der Tiefsee bestimmt der Stand der Technik wesentlich die Möglichkeiten der Meeresforschung. Erst in den 1950er Jahren wurden dann die mittelozeanischen Rücken, die größten unterseeischen Gebirgsformationen auf unserem Planeten, erforscht. 1976 wurde mit den Schwarzen Rauchern ein völlig neuer Typus von Ökosystemen am Meeresgrund entdeckt. 1986 stieß die Forschung auf die Kalten Quellen und es wurde klar, dass in der Tiefe riesige Riffe von Kaltwasserkorallen existieren, die in ihren Ausmaßen größer sein könnten, als das australische Great Barrier Reef.

Bis heute wird das Bild von der Natur der Tiefsee beständig ergänzt und die Forschungsmethoden erweitert. Im Jahre 2000 war eine Art Volkszählung unter Wasser ("Census of Marine Life"), gestartet worden. Mehr als 2.000 ForscherInnen aus über 80 Ländern beteiligten sich weltweit an der Erfassung mariner Arten. Ihr Bericht vermittelte 2010 eine Idee davon, wie lückenhaft das Wissen über die Artenvielfalt in den Ozeanen ist, mehr als 130 Jahre nach der Expedition der Challenger. Das ist auch heute noch so. Auf Basis neuer Erkenntnisse werden deshalb bis dato anerkannte Grundsätze zur Ökologie der Tiefsee in der Fachliteratur immer wieder in Frage gestellt.

Grenzüberschreitung

Um in der Tiefsee aktiv zu sein, wird maritime Hochtechnologie benötigt. Nur wenigen Industrie- und Schwellenländern stehen Tauchboote zur Verfügung, die in der Lage sind, zumindest die mittlere Tiefe der Weltmeere von 3.700 Meter zu erreichen. Die Anforderungen an die Ausrüstung sind aufgrund der enormen Druckverhältnisse immens. Bei der Entwicklung der Robotik arbeiten in Deutschland Institute aus der Raumfahrt und Meeresforschung zusammen - beides Bereiche, die darauf zielen, Grenzen zu überschreiten, zu versetzen und das Erreichbare neu zu definieren. Im Schlepptau dieser Entwicklungen versuchen unterschiedliche Interessensgruppen ihre Chance zu nutzen, neue Märkte zu schaffen und ihren Zugriff auf die entdeckten Ressourcenquellen zu sichern.

Lobbyinteressen

Die Entwicklung von Hochtechnologie und der Vorstoß ins Ungewisse erfordern umfangreiche Investitionen - Investitionen, die, wie im Tiefseebergbau, mit hohen Risiken verbunden sein können. Hier engagierte Unternehmen ebenso wie Forschungseinrichtungen betreiben deshalb nicht von ungefähr intensive Lobbypolitik und werben um staatliche Mittel. Alle 2 Jahre zeigt sich dies auf den 'Nationalen Maritimen Konferenzen' des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), genauso wie es sich in der Verabschiedung des Nationalen Masterplans Maritime Technologien (NMMT) oder der Maritimen Strategie der Bundesregierung widerspiegelt. Für mehrere 100 Millionen Euro wurde allein die deutsche Forschungsflotte erneuert. Die staatliche Forschungs- und Wirtschaftspolitik trägt wesentlich zur Verzahnung der verschiedenen AkteurInnen bei. Arbeitsergebnisse und Innovationen aus den Universitäten und staatlichen Einrichtungen wie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) kommen so der Privatwirtschaft zugute und tragen wesentlich zu den Fortschritten bei der Vorbereitung des kommerziellen Tiefseebergbaus bei.

Die Abhängigkeit von der technologischen Entwicklung und die hohen Kosten der Erkundung der Tiefsee binden Wissenschaft und Industrie allein schon aus pragmatischen Gründen aneinander. Andererseits ist die maritime Wirtschaft in verschiedener Weise abhängig vom Fortschritt der Wissenschaft. Ohne die Erkenntnisse der Meereswissenschaft und ihre Beiträge zur Erkundung des Meeresbodens und zur technischen Entwicklung wäre die Einführung des Tiefseebergbaus weit weniger fortgeschritten. Schlussendlich verhelfen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik gemeinsam dem Tiefseebergbau zum Durchbruch und bauen einen vollständig neuen Industriesektor auf.

Die Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft im Tiefseebergbau gründen sich jedoch nicht nur auf Pragmatismus und die Unterstützung durch staatliche Programme. Einige Aspekte der Zusammenarbeit bei der Etablierung des Tiefseebergbaus gehen deutlich darüber hinaus. Es wurden Organisationen gegründet, in denen sich Unternehmen der maritimen Industrie mit aus öffentlichen Mitteln finanzierten Forschungsinstituten wie dem Alfred-Wegener-Institut oder dem Geomar - Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zusammengetan haben, um Lobbypolitik zu betreiben. Dass der Charakter dieser Kooperationen nicht rein technischer Natur ist, kann an der Deep Sea Mining Alliance (DSMA) und der Gesellschaft für Maritime Technik e. V. (GMT) nachvollzogen werden. Beide Organisationen verstehen sich als politische Lobbygruppen und werben für den Tiefseebergbau.

Dies ist besonders kritisch zu betrachten, da wissenschaftlich begründete Umweltregularien eine Voraussetzung für den Abschluss des Gesamtprozesses sind. Sie sind ein Muss und erst ihre wissenschaftliche Anerkennung legitimiert die Durchführung von Vorhaben im Tiefseebergbau. In einer Rede auf einer internationalen Konferenz zum Tiefseebergbau im Dezember 2016 hat Staatssekretär Uwe Beckmeyer, zugleich "Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft", betont, dass Umweltfragen in Hinblick auf den Tiefseebergbau für die Bundesregierung Priorität haben. Die technologischen, finanziellen und politischen Abhängigkeiten und Vernetzungen von Wissenschaft, maritimer Wirtschaft und Politik in diesem Bereich lassen allerdings an dem Wert kommender Umweltauflagen zweifeln. Es mangelt an Unabhängigkeit.

Auftretende Widersprüche

Im Kontext der Erarbeitung der Abbauregeln für mineralische Ressourcen im von UN-Seerechtsübereinkommen definierten Gebiet zeigen sich jetzt allerdings endlich öffentlich Widersprüche. Bestimmungen für Umweltverträglichkeitsprüfungen, bestmögliche Fördertechniken und akzeptable Schädigungen der Meeresumwelt werden hier unter anderem aktuell erörtert. Ein vor Kurzem von 15 MeereswissenschaftlerInnen in der Zeitschrift Nature Geoscience veröffentlichtes Papier zu den Gefahren des Tiefseebergbaus macht deutlich, dass die wissenschaftliche Gemeinde keineswegs ein einheitlicher Block von BefürworterInnen ist. Die AutorInnen verweisen unter anderem auf den zu erwartenden Verlust an mariner Artenvielfalt und die wahrscheinlich dauerhaften Schädigungen der Ökosysteme. Eine derartige öffentliche Stellungnahme war zweifelsohne überfällig.

Schon lange ist bekannt: Wenn die Bagger erst einmal beginnen, den Meeresboden abzutragen, wird dies zwangsläufig mit der Zerstörung der betroffenen Habitate und der mit ihnen verbundenen Teile der jeweiligen Ökosysteme einhergehen. Angesichts der teilweise hohen Anzahl an endemischen Arten, die nur in den anvisierten Fördergebieten vorkommen, ist ein Artensterben damit unausweichlich. Des Weiteren stellt der Tiefseebergbau durch die Zerstörung der Habitate, Lärmemissionen und mobilisierte Abraumwolken und Schadstoffe in jedem Fall eine zusätzliche Belastung der bereits hinlänglich gestressten marinen Ökosysteme dar und wird die Umweltsituation in den Ozeanen und Meeren verschlechtern.

Im Pazifik vergleichen Teile der Zivilgesellschaft die Vorhaben im Tiefseebergbau mit den Atombombenversuchen, die in ihrem flüssigen Kontinent stattgefunden haben. Auch wenn übertriebene Katastrophenszenarien viel zu oft benutzt werden, um Empörung zu erzeugen, hat der Tiefseebergbau tatsächlich eine solche Eingriffstiefe, dass dieser Vergleich geradezu angemessen erscheint. Er hat das Potential, die gravierendste Änderung im Umgang des Menschen mit der Natur seit der Industrialisierung der Landwirtschaft und der Anwendung der Gentechnik zu sein.


Der Autor ist Projektleiter von 'Fair Oceans', des Vereins für Internationalismus und Kommunikation e. V. und Koordinator der AG Meere des Forum Umwelt und Entwicklung.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Schwarze Raucher am Grund der Tiefsee befördern begehrte Rohstoffe aus dem Erdinneren herauf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e. V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2017, Seite 14 - 15
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
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Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2017

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