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USA/002: Ölpest im Golf von Mexiko (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 157 - August/September 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Ölpest im Golf von Mexiko
Wie konnte es zu solch einem desaströsen Unfall kommen? War es menschliches oder technisches Versagen?

Von Martin Sprenger


Nach einer Explosion am 20. April brennt die unweit der amerikanischen Küste gelegene Ölplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Zwei Tage lang versuchen Löschboote der US-Küstenwache vergeblich den Brand zu löschen. Am 22. April versinkt die Plattform im Golf. Elf der einhundertsechsundzwanzig Arbeiter werden vermisst und bleiben es. Die Suche nach den Verunglückten wird am 23. April offiziell eingestellt. Ebenfalls am 23. April meldet die US-Küstenwache, es trete kein Öl aus dem Bohrloch. Am 25. April dementiert ein Sprecher, dass an mindestens zwei Stellen Rohöl austrete und ins Meer gelange. Experten sprechen von 140 Tonnen täglich. Erste Versuche, das Leck am Bohrloch in 1.500 Metern Tiefe mit Hilfe von Unterwasserrobotern zu schließen, erweisen sich als schwierig und langwierig. Fragwürdige Methoden wie das Abbrennen oder das Zersetzen des Ölteppichs durch Chemikalien bleiben eher wirkungslos und werden im weiteren Verlauf der Katastrophe Anlass zu weiterer Kritik geben. Am 29. April stuft die US-Regierung die Ölpest im Golf als Katastrophe von "nationaler Bedeutung" ein und kündigt an, mit allen verfügbaren Mitteln in den Kampf gegen die Ölpest einzutreten. Am 30. April erreicht der Ölteppich die Küste des US-Bundesstaats Louisiana. Die von BP ausgelegten Barrieren können das auslaufende Öl nicht aufhalten. Zeitgleich verhängt Washington ein sechsmonatiges Moratorium für Tiefseebohrungen vor der US-Küste bis zur vollständigen Klärung der Ursachen für den Unfall und einer allgemeinen Überprüfung der Sicherheitsstandards auf den Plattformen. Ein Verband von Firmen der US-Ölindustrie klagt wenig später gegen das Regierungsverbot von Tiefseebohrungen vor einem Gericht in Louisiana und bekommt recht. Nach Louisiana rufen nun auch die Bundesstaaten Alabama, Florida und Mississippi den Notstand aus. Am 2. Mai besucht US-Präsident Obama zum ersten Mal das Katastrophengebiet, spricht von einer "möglicherweise nie dagewesenen Umweltkatastrophe" und bekräftigt seine bisherigen Aussagen, nach denen der Ölkonzern BP alleinverantwortlich für die Katastrophe und Schäden sei. BP stimmt zu und betont, es werden "alle legitimen Forderungen aufgrund von Schäden und Verlusten bezahlt, die objektiv überprüft werden können und mit der Ölpest zusammenhängen."

Am 4. Mai meldet BP, es werde der Versuch unternommen mit einer 98 Tonnen schweren Kuppel das Bohrloch zu verschließen, um mit deren Hilfe das austretende Öl aufzufangen und anschließend auf Tankschiffe zu pumpen. Die Operation stößt auf erhebliche technische Schwierigkeiten und scheitert schließlich. Hier soll die Auflistung der Ereignisse beendet werden, da die meisten dieser Fakten mehr oder weniger bekannt sind und lediglich als Einstieg in diesen Artikel dienen sollten. BP hat noch eine Reihe von Versuchen zur Schließung des Bohrlochs unternommen und mit dem letzten Versuch vom 14. Juli einen neuen provisorischen Auffangtrichter dicht über dem Bohrloch zu platzieren, einen kleinen Teilerfolg erreicht. Anlass zur Freude ist das jedoch nicht. Das Provisorium ist lediglich Mittel zum Zweck. Einen endgültigen Erfolg könnten nur die geplanten Entlastungsbohrungen bringen.

Aber wie konnte es zu solch einem desaströsen Unfall kommen? War es menschliches oder technisches Versagen?


Der Unfall

Gebohrt wurde in 1.500 Meter Wassertiefe und 5.500 Meter tief in den Boden. Durch plötzlichen starken Druckanstieg im Bohrloch kam es zu einem unplanmäßigen, unkontrollierten Austreten von Bohrspülung, Erdöl und Erdgas aus dem Bohrloch, einem so genannten Blowout. Beide Sicherheitsmechanismen Austreten von Bohrspülung, Erdöl und Erdgas aus dem Bohrloch, einem so genannten Blowout. Beide Sicherheitsmechanismen, die Blowout-Preventer (BOP) versagten auf ganzer Linie, was jedoch keinen der Verantwortlichen wirklich überrascht haben dürfte.

Bereits im Jahr 2001 führte die Firma Transocean eine Analyse der BOP auf der "Deepwater Horizon" durch. Ergebnis waren 260 Fehlerfälle, die zu einem möglichen Versagen der BOP führen könnten. Weshalb auf dieses alarmierende Ergebnis nicht reagiert wurde, bleibt Spekulation. Das unter enormen Druck ausströmende Gas entzündete sich schließlich an der Oberfl äche und verursachte so Explosion und Brand auf der Bohrinsel.

Auf die Frage, ob es sich bei dem Unglück um menschliches oder technisches Versagen handelte, muss man wohl antworten: beides! Indessen hat BP enorme Verluste an Kapital und an der Börse einstecken müssen. 17 Milliarden US-Dollar kostete die Ölpest den Konzern bereits. Großflächige Boykottaufrufe der BP-Tankstellen haben also ihre Wirkung nicht verfehlt - jedenfalls im Ausland. In Deutschland hingegen reagiert die Mehrheit der Menschen doch eher verhalten bis teilnahmslos auf die Boykottaufrufe. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass es hier so gut wie keine BP-Tankstellen mehr gibt. 2001 hatte der britische Ölgigant nämlich die ARAL-Tankstellenkette von Eon übernommen und wurde so Marktführer auf dem deutschen Benzinmarkt. Einzig aus Kostengründen hatte man beschlossen allen BP-Tankstellen das blaue ARALKleid überzustülpen. Es gab schlicht mehr ARAL- als BP-Tankstellen.

Wer also bei ARAL tankt, der tankt, na, bei wem? BP indes sieht sich neuerdings gezwungen, firmeneigene Erdöl- und Erdgasfelder an die Konkurrenz zu verramschen, um frisches Kapital in die angeschlagene Firmenkasse zu spülen. Auch hat BP seit Beginn der Katastrophe mit einem gewaltigen Image-Problem zu kämpfen. Nicht genug damit, dass das Desaster um "Deepwater Horizon" gute Aussichten hat, zur schlimmsten Umweltkatastrophe der letzten Jahre zu werden (die schlimmste in der Geschichte der USA ist sie schon). BP und allen voran Vorstandschef Tony Hayward zeigten sich gerade in der Anfangszeit der Katastrophe recht unbekümmert und machten allgemein gute Miene zum bösen Spiel.

Auf die Schuldfrage hin antwortete man unisono, diese ließe sich jetzt noch nicht genau klären, da BP lediglich Leasingnehmer der Plattform war und die Firma Transocean eigentlicher Betreiber von Deepwater Horizon.


BP reagiert planlos

Gefälschte Fotos, geschönte Prognosen oder Zahlen über das bereits aus dem Bohrloch ausgeströmte Öl und ein zeitweilig geradezu inkompetent anmutendes Krisenmanagement zeichnen das Bild eines seiner Verantwortung nicht gerecht werdenden Unternehmens.

Wer einem mittlerweile doch ein wenig leid tun kann, ist der eben schon erwähnte Tony Hayward. Diesem nämlich vergeht gerade in letzter Zeit sein verschmitztes Lausbubenlächeln, wenn er zum tausendsten Mal vor eine x-beliebige Kamera treten, sich den immer gleichen Fragen stellen und für alles Schlechte dieser Welt eine gehörige Tracht Prügel einstecken muss: Ewige Standpauken von US-Präsident Obama und bitterböse Worte vom britischen Premierminister Cameron. Besonders der US-Präsident wird nicht müde zu betonen, dass er BP für alle angerichteten Schäden zur Verantwortung ziehen und nicht eher ruhen werde, bis alle Schuld getilgt sei. Verständlich also, dass BP jüngst den Rücktritt seines gebeutelten Vorstandschefs zum 1. Oktober erklärte.

Nachfolger wird der bereits für die Aufarbeitung der Ölpest zuständige Robert Dudley. Der gebürtige Amerikaner soll nun alles richten. Er soll den Ruf des Konzerns wieder herstellen, das verpatzte Krisenmanagement in ein kompetentes wandeln und vor allem das Unternehmen aus den roten Zahlen herausreißen. Na, wenn's weiter nichts ist.

Auch keine leichten Jobs haben die vielen tausend freiwilligen und bezahlten Helfer. Mit Schippe und Eimer versuchen sie das Öl von der Küste abzuwehren, um zumindest die größten ökologischen Schäden in der Region zu verhindern.

Zeitgleich versuchen Tierschützer so gut es geht die vielen bereits mit Öl verklebten Vögel zu säubern. Viele der Tiere verenden trotzdem qualvoll. Besonders bedroht ist das Naturschutzgebiet des Mississippi- Delta.

Im Delta leben auf 30.000 Quadratkilometern unzählige Tier- und Pflanzenarten. Christian Bussau, Meeresbiologe von Greenpeace, prognostiziert ein ökologisches Desaster, sollte der Ölteppich tatsächlich bis ins Delta eindringen. Im Delta seien "so komplizierte Ökosysteme. Da stehen Wälder im Wasser, mit Schlangen, mit Krokodilen. Diese Tiere werden sich dann in dieser Rohölpampe verkleben und jämmerlich zu Grunde gehen."

Am meisten Sorgen mache er sich um die Mangrovenwälder, Sumpflandschaften und Feuchtwiesen. Im Falle einer Verpestung durch das Öl sei dort mit Räumgeräten und Menschen nichts zu machen. Die Mangroven würden zwangsläufig sterben und die Tiere, deren Lebensraum die Mangroven bilden, mit ihnen.

Die langfristigen ökologischen Schäden der Katastrophe sind kaum absehbar. Tote Fische und mit Öl verklebte Vögel sind hierbei nur bekannte weil sichtbare Opfer.

Wie empfindlich die ökologischen Systeme an Land und im Wasser reagieren werden, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur, dass es Jahre oder Jahrzehnte dauern wird, bis sich die Natur von dieser Katastrophe wieder erholt hat. Aber nicht nur Tier- und Pflanzenwelt sind derzeit akut bedroht. Die Bewohner der Küstenregionen am Golf waren mit die ersten, welche die Folgen des Unglücks zu spüren bekamen.

Schließlich sind die wirtschaftlichen Schwerpunkte in der US- Golfregion Tourismus und Fischerei. Seitdem die Bundesbehörden ein allgemeines unbefristetes Fangverbot verhängt haben, sind tausende Menschen mit einem Schlag arbeits- und somit erwerbslos geworden.

Wenn die Fischer nicht mehr fischen, haben Fischhändler keine Ware und Restaurants werden nicht mehr beliefert. Für alles und jeden ist das Meer direkt oder indirekt die wichtigste Lebensgrundlage. Aber nicht nur der Fisch, auch die Touristen bleiben aus. Wer verbringt schon gern seinen wohlverdienten Urlaub in einer Krisenregion?

Momentan stehen unzählige Existenzen auf dem Spiel, was die Krise im Golf weiter anheizt.


Wo gehobelt wird...

Katastrophen, wie auf der "Deepwater Horizon" haben seit Beginn der Ölförderung und dem Öltransport Tradition. Wo gehobelt wird, läuft Öl aus. Havarien von Tankern und Unfälle auf Plattformen sind dabei die häufi gsten Unglücksfälle. In den letzten 100 Jahren gab es knapp 80 große Ölunglücke, und man kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass diese traurige Chronik solange fortgeführt werden muss, bis die Ölreserven der Erde erschöpft sind. Dass diese nicht unerschöpfl ich sind, zeigt sich auch deutlich in der Tatsache, dass Mineralölriesen wie BP immer mehr in die Tiefsee drängen, wo im Gegensatz zu den stetig knapper werdenden Feldern an Land immer noch immense Vorkommen vermutet werden.

Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass man unter dem wachsamen Auge der öffentlichen Fassungslosigkeit und Entrüstung bemüht ist, BP zum einsamen Prügelknaben einer dreckigen und gefährlichen Industrie zu stigmatisieren.

Nach der Katastrophe im Golf von Mexiko gab es nämlich bereits drei weitere größere Ölunfälle, von denen man in den großen Medien nicht wirklich etwas zu sehen bekam.

Im Mai kam es in der Straße von Singapur zu einer Tankerkollision mit einem Massengutfrachter, bei der 2.500 Tonnen Rohöl ins Meer gelangten.

Im selben Monat trat aus dem Leck einer Erdöl-Pipeline im Nigerdelta (Westafrika) sieben Tage lang Öl aus. Offi ziellen Schätzungen zur Folge waren dies 27.000 bis 95.500 Tonnen Rohöl. Im Juli kam es in der nordchinesischen Hafenstadt Dalian zu einer Pipelineexplosion, bei der 1.500 Tonnen Rohöl austraten. Diese verursachten einen 430 Quadratkilometer großen Ölteppich. Im Vergleich zur Katastrophe im Golf sind diese Vorfälle natürlich eher winzige, zeigen aber doch, wie unkalkulierbar die Risiken der Ölförderung und des Transports im Grunde sind.


Von fossilen Energieträgern, hin zu erneuerbaren

Ist also das Geschäft um Tiefseebohrungen nach Öl und Gas nicht tatsächlich ein zu riskantes, beinahe verbrecherisches und daher zu verbieten? Oder anders gefragt: Ist diese größte Ölpest seit der am Persischen Golf 1991 nicht Anlass genug, um einen gesellschaftsübergreifenden Dialog zum Thema Energiewende anzustoßen?

US-Präsident Barack Obama fordert derzeit einen Kurswechsel in der Energiepolitik der USA als direkte Reaktion auf die Ölpest im Golf von Mexiko. "Unsere Abhängigkeit von ausländischem Öl gefährdet unsere Sicherheit und Ökonomie. Der Klimawandel stellt eine Bedrohung unserer Lebensweise dar. Und die Ölpest im Golf unterstreicht noch einmal, wie notwendig es ist, alternative Energiequellen zu f nden", so der US-Präsident. Ob und inwieweit diese erste Anregung weiter gedacht und verfolgt werden wird, ist noch unklar. Und in Deutschland?

Braucht Deutschland auch erst mal eine richtig zünftige Ölpest in Nord- oder Ostsee, um mal darüber nachzudenken, eventuell, möglicher Weise, vielleicht eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien (Wind, Sonne, Wasser, Biogas) ins Auge zu fassen? Man könnte ja zur Abwechslung mal mit positivem Beispiel vorangehen.

Wir bilanzieren: Seit Beginn der Katastrophe sind nach Schätzungen der US-Regierung bis zu 700.000 Tonnen Rohöl in den Golf von Mexiko geströmt. Mindestens 270 Kilometer Küste und 13 Hektar im Mississippi-Delta sind bereits verschmutzt. Viele Tiere sind schon in Folge der Ölpest qualvoll verendet. Bewohner der Region stehen vor dem wirtschaftlichen Ruin und bangen um ihre Existenz.

www.greenpeace.de
www.tagesschau.de/ausland


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Deepwater Horizon" kurz nach der Explosion
• Vögel - Chronische Opfer von Ölpesten
• Die gesunkene Ölplattform nach dem vergeblichen Löschversuch


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 157, August/September 2010, S. 8-10
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2010