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WASSER/034: Sauberes Wasser für Brasilia (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Oktober 2011

Sauberes Wasser für Brasília

Die Wasservorräte von Brasiliens Hauptstadt können in absehbarer Zeit dem Wachstum der Millionenstadt nicht mehr standhalten. Ein deutsch-brasilianisches Forscherteam hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2013 die wissenschaftlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Wasserressourcen Brasílias und seiner Umgebung in Zukunft nachhaltig bewirtschaftet werden können.


Landnutzungswandel in Brasília

von Benjamin Haerdle und Susanne Hufe

Fernab moderner Zivilisation begannen Bauarbeiter im Landesinnern Brasiliens im Jahr 1956 mit dem Bau einer neuen Hauptstadt. Innerhalb von vier Jahren stampften sie Brasília aus dem Boden. 600.000 Menschen sollten in dem fast 5.800 Quadratkilometer großen Bundesdistrikt Brasília in Zukunft leben. Mehr als 50 Jahre später stößt der Distrikt an seine Grenzen: 2,5 Millionen Menschen bevölkern die Hauptstadtregion, für 2025 sind mehr als 3,2 Millionen prognostiziert. Das ungebrochene Bevölkerungswachstum wird in naher Zukunft für Probleme sorgen, besonders in der Wasserversorgung: "Die Stadt und der Bundesdistrikt Brasília werden ab 2013 Schwierigkeiten mit der Trinkwasserversorgung bekommen", sagt Prof. Holger Weiß. Der Leiter des UFZ-Departments Grundwassersanierung koordiniert zusammen mit Prof. Franz Makeschin von der Technischen Universität Dresden eines der fünf Projekte der Internationalen Wasserforschungs-Allianz Sachsen (IWAS) in der Modellregion Lateinamerika, das Projekt IWAS Água DF. Übergreifendes Ziel des vom Bundesforschungsministerium seit 2008 finanzierten Vorhabens ist es, für die Stadt und ihre Einwohner die wissenschaftlichen Grundlagen einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Wasserressourcen im Rahmen eines Integrierten Wasserressourcenmanagements (IWRM) zu schaffen. Ein Ansatz, der für Brasília sowie für ganz Südamerika noch weitgehend Neuland ist und der gute Chancen bietet, deutsches Know-how an den Mann zu bringen.

Die schwierige Wasserversorgung ist typisch für viele boomende Städte in Lateinamerika und Asien: Die Anlage der Infrastruktur für die Versorgung und Entsorgung von Wasser, etwa der Bau von Abwasserleitungen, Kläranlagen und die Trinkwasseraufbereitung, hält mit der Bevölkerungsentwicklung kaum Schritt. "Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in ungeplanten Siedungen an den Stadträndern, die keine zentrale Abwasserentsorgung, sondern nur Sickergruben haben", so Prof. Weiß. In elf deutsch-brasilianischen Arbeitsgruppen versuchen Forscher und Praktiker, wie etwa vom brasilianischen Wasserversorger CAESB oder dem landwirtschaftlichen Forschungszentrum EMBRAPA, Lösungen für die Verbesserung der Wasserversorgung Brasílias zu finden.


Landwirtschaft und Bevölkerungswachstum

Zu schaffen macht Brasília neben dem schnellen Wachstum der Bevölkerung vor allem der Wandel der Landnutzung im Bundesdistrikt. Seit Ende der 50er Jahre fielen 58 Prozent der natürlichen Savannen und Wälder dem Bau von Siedlungen und der Ausbreitung der Landwirtschaft zum Opfer: Alleine zwischen 2002 und 2007 nahm die Agrarfläche um fast 50 Prozent zu, zum überwiegenden Teil zugunsten von Energiepflanzen. Die Folgen dieses Wachstums äußern sich neben sozialen Problemen vor allem in erheblichen ökologischen Schwierigkeiten, wie etwa der Übernutzung und Verschmutzung der verfügbaren Wasserressourcen. Ihnen gilt das Hauptaugenmerk der UFZ-Forscher in dem binationalen Vorhaben. Beispielsweise stießen die Wissenschaftler auf das Phänomen, dass flächendeckend über alle untersuchten Flusseinzugsgebiete des Distrikts die Abflussmenge der Oberflächengewässer, vor allem in den Trockenzeiten der letzten Jahrzehnte, sehr stark abgenommen hat - mit gravierenden Folgen für die Wasserversorgung von Mensch und Landwirtschaft, aber auch für die Ökosysteme. Die Auswirkung von Klimaänderungen konnte als Ursache weitgehend ausgeschlossen werden, schließlich zeigte die in diesem Zusammenhang durchgeführte Regionalisierung der Klimadaten, dass es keinen deutlichen Abwärtstrend in der Niederschlagsmenge gab. Vielmehr konnte belegt werden, dass die starke Veränderung des Wasserregimes vor allem auf die menschlichen Einflüsse zurückzuführen ist. So verdunstet auf den sich ausdehnenden Flächen mit Energiepflanzen wie Sojabohnen oder Zuckerrohr viel mehr Wasser als über die natürliche Wald- und Savannenvegetation. Obendrein verbrauchen diese Ackerkulturen auch sehr viel mehr Wasser, und das wiederum kann vielfach nur durch künstliche Bewässerung herbeigeschafft werden. Doch was tun, wenn das Wasser dafür in den Bächen und Flüssen knapp wird? Mit den von den Forschern entwickelten und auf die regionalen Verhältnisse angepassten Modellen lässt sich abschätzen, wie die Wassermengen der Oberflächengewässer in der Trockenzeit auf die Veränderung bestimmter Parameter wie Pflanzenart, Versiegelung oder Niederschlag reagieren.

Ähnliche regionale Modelle haben die Wissenschaftler auch für das Grundwasser erarbeitet und sind nun im nächsten Schritt dabei, beides zu verknüpfen. Behilflich sind ihnen dabei neben spezieller Software vor allem die Möglichkeiten der realitätsnahen 3D-Darstellung, die ihnen das Visualisierungszentrum VISLab am UFZ-Standort in Leipzig bietet und ganz neue Einsichten in die komplexen Zusammenhänge liefert. In wenigen Monaten können die UFZ-Forscher den Landwirten und regionalen Verantwortlichen ein Planungswerkzeug an die Hand geben, das ihnen etwa bei folgenden Entscheidungen behilflich sein kann: Welche Folgen haben der Anbau einer bestimmten Ackerkultur oder die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche? Was passiert, wenn neue Siedlungen in einem bestimmten Territorium gebaut werden?

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der UFZ-Forscher in Brasília konzentriert sich auf die Verfügbarkeit von ausreichend sauberem Trinkwasser. Im Fokus steht der zentral in der Stadt gelegene Paranoá-See, der nach dem Willen der lokalen Regierung künftig Trinkwasser liefern soll. Bislang deckte die Hauptstadt ihren Bedarf zu mehr als drei Vierteln über die im Stadtumland gelegenen Talsperren Santa Maria und Descoberto; den Rest schöpfte sie aus kleineren Staubecken und zu einem sehr geringen Teil aus dem Grundwasser. Doch die Kapazität der großen Talsperren hält mit dem Bedarf der wachsenden Bevölkerung nicht mit. Derzeit werden dort etwa 10 Kubikmeter Wasser pro Sekunde entnommen, ab 2013 werden bis zu 13 Kubikmeter benötigt - ein Plus von mehr als 25 Prozent, das bislang nicht gedeckt werden kann. In das zukünftige Trinkwasserreservoir, den mitten in der Stadt gelegenen Paranoá-See, fließen allerdings neben den geklärten Abwässern auch ungereinigte Abwässer aus den auf den Hügeln errichteten Siedlungen, in denen es noch keine Abwasserkanäle gibt. Sie tragen neben Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor auch organische Spurenstoffe wie Rückstände von Arzneimitteln ein, die besonders in der Trockenzeit den See belasten und ein erhebliches Gesundheitsrisiko sind. Gleiches gilt für die diffusen Einträge von Düngemitteln und Pestiziden durch die Landwirtschaft im Umfeld. Zusätzlich bringen die Zuflüsse während der Regenzeit große Mengen an Sedimenten in den See, die zur Verlandung führen. Dadurch verringert sich zum einen das Wasservolumen des Sees, zum anderen macht die durch suspendierte Sedimente hervorgerufene Trübung des Wassers die Wasseraufbereitung schwierig und teuer. Mit einem Monitoring-Netzwerk erfassen die UFZ-Forscher deshalb sowohl im Siedlungsbereich als auch im Wasser und Sediment des Sees Daten, um ihre speziellen Modelle füttern zu können. Im Ergebnis können diese beispielsweise zeigen, wie groß die Niederschlagsmenge ist, die in Abhängigkeit der versiegelten Fläche im Boden versickert, oder wie viel davon als mit Schadstoffen verunreinigtes Oberflächenwasser oder Sediment im See landet. "Momentan beginnen Kollegen vom Magdeburger Department Seenforschung damit, die physikalischen und chemischen Verhältnisse des Sees zu untersuchen, um seine Dynamik zu erfassen", so Weiß. Wie verteilt sich der Sauerstoff? Wie ist der See geschichtet? Wie zirkuliert das Wasser? Antworten auf derlei Fragen sollen auch einen Hinweis darauf geben, welche Stelle des Sees für die geplante Trinkwasserentnahme am sichersten ist.

Gefahr droht der Wasserqualität des Paranoá-Sees möglicherweise auch von der städtischen Mülldeponie Lixão do Jóquei. Denn mit Schadstoffen belastetes Deponiesickerwasser könnte, so die Befürchtung, über das Grundwasser in Fließgewässer und somit in den See vordringen. Geowissenschaftler des UFZ nehmen deshalb derzeit das Umfeld der Deponie mit modernster Sondierungstechnik (Direct Push) genauer unter die Lupe. Schnell und kosteneffizient suchen sie in 20 Metern Tiefe nach belastetem Deponiesickerwasser. In welcher Entfernung von der Deponie bzw. Nähe zum Paranoá-See oder dem angrenzenden Nationalpark sie fündig werden, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Liegen die Ergebnisse vor, werden die brasilianischen Behörden zu entscheiden haben, welche der vom UFZ empfohlenen Maßnahmen sie ergreifen wollen, um Nationalpark und See zu schützen.


Systemzusammenhänge und Bewusstsein sind entscheidend

Noch bis 2013 läuft das deutsch-brasilianische Forschungsprojekt. Die Aussichten, bis dahin zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen, sind gut. Denn neben den Basisdaten und regionalen Modellen zu Klima, Landnutzung, Sedimenten und Wasserressourcen, die von den Wissenschaftlern des UFZ bislang vorgelegt wurden, befinden sich auch die vielen anderen Kooperationspartner im Projekt auf der Zielgeraden. Das veranlasst Projektkoordinator Weiß zu einem positiven Zwischenfazit: "Wir kennen die meisten Probleme, wir können sie quantifizieren und wir wissen, wie sie zusammenhängen. Derzeit vervollkommnen wir unser Wissen über die Systemzusammenhänge. Denn nur mit diesem Wissen können die örtlichen Behörden Entscheidungen treffen". Ob die Ergebnisse dann auch tatsächlich umgesetzt werden, werde die Zukunft zeigen. Allerdings gilt das UFZ-Projekt in Brasiliens Hauptstadt als Prestigeprojekt. Weiß ist deshalb optimistisch: "Keine Regierung dürfte es gerne sehen, wenn Staatsgäste in den Hotels statt Leitungswasser Mineralwasser für das Zähneputzen nutzen müssen". Aber noch eine andere Frage ist für ihn, der selbst mindestens zweimal jährlich nach Brasília reist und ausgesprochener Brasilien-Kenner ist, zentral: "Wie gelingt es, in allen Bevölkerungsgruppen - vom Bürger bis zum politischen Entscheider - ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Dynamik einer Stadtentwicklung und die Änderung der Landnutzung einen direkten Einfluss auf die Wasserqualität haben?" Dieses Verständnis zu entwickeln und mit dem Fachwissen der Menschen vor Ort so zu verknüpfen, dass es schließlich in einen Managementplan für die gesamten Wasserressourcen mündet, sei die "hohe Kunst" in diesem Projekt.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung Brasílias lebt in ungeplanten Siedlungen am Rande der Stadt. Foto: Prof. Dr. Georg Teutsch
- Geowissenschaftler suchen im Abstrom der Deponie Lixão do Jóquei nach belastetem Sickerwasser. Foto: Reiner Stollberg


UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Holger Weiß
Dept. Grundwassersanierung

e-mail: holger.weiss@ufz.de
mehr Informationen: www.iwas-initiative.de


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Quelle:
UFZ-Newsletter Oktober 2011, Seite 1-3
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2011