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WASSER/044: Mexiko - Einzigartiges Feuchtgebiet dem Untergang geweiht, Agroindustrie gräbt Wasser ab (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. November 2011

Mexiko: Einzigartiges Feuchtgebiet dem Untergang geweiht - Wasser für die Viehfutterproduktion

von Emilio Godoy


Mexiko-Stadt, 22. November (IPS) - Einem Feuchtgebiet inmitten der nordmexikanischen Wüste Chihuahua droht der Untergang, sollte die lokale Agroindustrie dem einzigartigen Gebiet auch weiterhin das Wasser abgraben. Im 200 Kilometer langen 'Tal der vier Sümpfe' (Valle de Cuatrociénegas), von dem sich Wissenschaftler Aufschluss über den Ursprung allen Lebens erhoffen, hat die rücksichtslose Wasserentnahme bereits zum Tod einiger Arten geführt.

Bei dem Cuatrociénegas-Feuchtgebiet handelt es sich um ein System aus mineralienreichen Quellen, Seen, Marschen und natürlich entstandenen Teichen, die mit türkisfarbenem Wasser aus unterirdischen Adern gefüllt sind. Umrahmt wird das Ökosystem von einer Gebirgskette, die sich an einigen Stellen bis 3.000 Meter in die Höhe reckt.

"Das Tal ist unser einziges Fenster, das uns erlaubt, die Vergangenheit unseres Planeten zu verstehen", meint Valeria Souza, Wissenschaftlerin am ökologischen Institut der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM), im Gespräch mit IPS. "Anstatt dass wir versuchen, uns die Funktionsweise dieses Ökosystems zu erschließen, wird Cuatrociénegas alles genommen und nichts zurückgegeben."


Mehr als 70 endemische Arten

Souza, die mit einer Vielzahl von Umweltpreisen ausgezeichnet wurde, untersucht die Region zusammen mit anderen mexikanischen und internationalen Wissenschaftlern seit 2000. Der außergewöhnliche Artenreichtum und das Vorkommen von mehr als 70 endemischen Arten wie der Coahuila-Dosenschildkröte machen das Tal der Sümpfe zu einem ebenso einzigartigen Habitat wie Ecuadors Galápagos-Inseln. Das gesamte Bassin war 1994 zum Naturschutzgebiet erklärt worden.

"Für den Anbau wasserintensiver Luzerne für die Viehfutterproduktion wird aus dem Bassin viel Wasser abgezapft und in andere Täler verbracht", kritisierte Francisco Valdés, Umweltschützer und Professor am Technologischen Institut von La Laguna nahe der Stadt Torreón. Vor allem die Entnahme von Oberflächen- und Grundwasser für Land- und Viehwirtschaft setzt dem Cuatrociénagas-Tal zu. Negativ wirken sich auch die Veränderung der Ökosysteme, die Ausbreitung exotischer Arten, Holzeinschlag, Reptilienwilderei, Gipsbergbau und Tourismus aus.

Etwa 500.000 Rinder weiden in der Region. Sie produzieren pro Tag sieben Millionen Liter Milch. Wie aus dem Bericht 'Water Footprint of Nations' hervorgeht, den die Weltkulturorganisation UNESCO und das 'Institute for Water Education' erstellt haben, sind in Mexiko 2.500 Liter Wasser erforderlich, um einen Liter Milch zu produzieren.

Nach Informationen der Nationalen Wasserbehörde Conagua befinden sich in der Region neun Aquifere, die sämtlich übernutzt sind. Sie liefern pro Jahr 1,23 Milliarden Kubikmeter Wasser, werden aber nur mit 868 Millionen Kubikmeter Wasser wieder aufgefüllt. Laut Evan Carson, Biologe an der Universität von New Mexiko in den USA, verheißt das Austrocknen des Churince-Teichs nichts Gutes für den Fortbestand des gesamten Feuchtgebiets. Wie der Experte nach zwei Besuchen im März und Mai betont, ist das Churince-System quasi tot. Mindestens drei Fisch- und zwei Schneckenarten seien bereits ausgestorben. Robustere Arten hätten einen Rückgang ihrer Bestände hinnehmen müssen. Carson befürchtet, dass es selbst bei einem Stopp der Wasserentnahme für den Teich zu spät sein könnte.


Halbherzige Rettungsaktionen

Obwohl der konservative Staatspräsident Felipe Calderón seit 2007 Investitionen in Höhe von 75 Millionen Dollar zur Rettung dieses besonderen Biosphärenreservats versprochen hat, wurden tatsächlich erst acht Millionen US-Dollar überwiesen.

Im September hatte sich Conagua in einem Abkommen mit der Nationalen Kommission für natürliche Schutzgebiete darauf verständigt, 100 Liter Wasser die Sekunde in den Churince einzuleiten und die Menge bis Dezember auf 300 Liter zu erhöhen. Doch das Abkommen wurde aller Wahrscheinlichkeit nach auf Betreiben der großen Agrarproduzenten aufgelöst.

Wissenschaftler, die seit Jahren vergeblich vor den Folgen der Übernutzung der Wasserressourcen im Tal der Sümpfe warnen, fordern ein sofortiges Wasserentnahmeverbot und die Umsetzung alternativer und wassereffizienter Agrarprojekte. "Das Problem ist, dass die Behörden Wasser nicht als Lebenselixier, sondern als Ware betrachten. Das hat zu dem Ökozid geführt. Die tiefliegenden Vorräte sind erschöpft, und ohne sie ist Cuatrociénegas verloren", so Valeria Souza.

Die Wissenschaftlerin gibt dem gesamten System noch höchstens zwei Sommer, sollten umfangreiche Rettungsaktionen ausbleiben. Sie hat eine Online-Unterschriften-Kampagne gestartet, um die Regierung zu Rettungsmaßnahmen zu zwingen. Bisher konnte sie jedoch erst 3.000 Unterschriften zusammentragen.

Im September 2010 hatte Souza mit der finanziellen Unterstützung vom Mexiko-Büro des World Wildlife Fund' (WWF) und von der Carlos-Slim-Stiftung mit der Erstellung einer Inventarliste für alle lokalen Arten - "vom kleinsten Virus bis zum ausgewachsenen Kojoten" begonnen.

Wie Professor Valdés erklärte, gibt es in der Region einflussreiche Unternehmen, die den Schutz von Cuatrociénegas konterkarieren. "Luzerne sollten hier nicht länger angepflanzt werden, zumal die lokale Gemeinschaft keinen wirtschaftlichen Nutzen davon hat", meinte er.

Die US-Raumfahrtbehörde NASA untersucht in Cuatrociénegas Mikroorganismen, die Ähnlichkeiten mit Mikroben aufweisen, die vor Millionen Jahren die Erde bevölkerten und Aufschluss über die Ursprünge allen Lebens auf der Erde geben könnten. Am 25. November will die NASA ihre Marssonde 'Curiosity' mit einem Laboratorium an Bord auf Reisen schicken. Sie soll die Krater des Planeten auskundschaften, die Souza zufolge durchaus Ähnlichkeiten mit dem Churince-Teich aufweisen. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.souzacuatrocienegas.blogspot.com/
http://cuatrocienegasbasin.blogspot.com/2011/11/churince-is-basically- dead.html
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105894

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. November 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2011