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FORSCHUNG/251: Wie Gesellschaften auf den Klimawandel reagieren (Junge Akademie Magazin)


Junge Akademie Magazin - Nr. 8/Juli 2008

Einblick
Statt der einen Antwort reichlich Diskussionsstoff
Neue Arbeitsgruppe "Klima & Kultur" untersucht bislang kaum beachtete Fragen

Von Christian Hohlfeld


"Inwieweit menschliche Einflüsse das Klima verändern, werden wir vielleicht nie eindeutig klären können. Dennoch müssen wir uns dem Klimawandel stellen", sagt Hildegard Westphal, Sprecherin der neuen Arbeitsgruppe "Klima & Kultur" der Jungen Akademie. Die Arbeitsgruppe interessiert sich für Aspekte, die bislang kaum beachtet wurden: Wie reagieren Gesellschaften und Kulturen auf den Klimawandel, insbesondere auf abrupte Ereignisse innerhalb einer Generation? So hatte sich etwa vor 8.200 Jahren das Klima in Mesopotamien in Folge der globalen Abkühlung drastisch verschlechtert - und das innerhalb von nur fünf Jahren. Im Norden Mesopotamiens wurde es so trocken, dass der seit 1.000 Jahren erfolgreiche Regenfeldbau zusammenbrach. Etliche Nordmesopotamier wanderten in den Südteil aus, wo Bewässerungsfeldbau betrieben wurde. Dieser war zwar produktiver, bedurfte aber einer höheren sozialen Organisation - ein Beispiel, wie Druck aus der Umwelt zur Weiterentwicklung einer Gesellschaft führen kann.

Kann der Mensch sich überhaupt auf solche Umbrüche vorbereiten? Um diese Fragen weiter zu klären, werden die AG-Mitglieder Umwelt- und Lebenssituationen in der Vergangenheit und Gegenwart betrachten. Sie wollen untersuchen, wie der Mensch im Laufe von Jahrhunderten mit plötzlichem Klimawandel umgegangen ist und wie Gesellschaften funktionierten, die solche Veränderungen konstruktiv überstanden beziehungsweise die dadurch untergingen.

"Klimaveränderungen sind eine fundamentale Eigenschaft unserer Erde. Wir wollen aus der Betrachtung menschlicher Reaktionen auf diese Ereignisse Rückschlüsse für morgen ziehen", erläutert Hildegard Westphal. Das Klima war zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Erde konstant, so die Bremer Geowissenschaftlerin. Vier kurze Warmzeiten herrschten in den letzten 420.000 Jahren; sie dauerten meist nicht viel länger als 10.000 Jahre. Dazwischen lagen Kaltzeiten, die zehnmal so lange das Klima bestimmten. Zurzeit leben wir im Holozän, einer seit rund 10.000 Jahren andauernden warmzeitlichen Epoche mit kälteren und wärmeren Perioden.

Herausragende warme Perioden gab es vor etwa 4.000 bis 5.000 und vor 6.000 bis 7.000 Jahren: Die Menschen wurden sesshaft, begannen Ackerbau und Viehzucht zu betreiben und errichteten die ersten Kultbauten. Auch die Römerzeit und das Mittelalter wurden jeweils von einem Klimaoptimum, einer warmen Periode, geprägt. Dagegen herrschten zum Beispiel während der Völkerwanderung (400 bis 800 n. Chr.) kalte Temperaturen. Um 1200 setzte mit einer Klimawende die 'Kleine Eiszeit' ein. Im 14. Jahrhundert zerstörten schwere Sturmfluten die deutsche und die holländische Küste; ganz Europa litt unter kalten Sommern und Missernten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts steigen die Temperaturen erneut, seit dem Ende des 20. Jahrhunderts rasant.

Hinweise auf Klimaveränderungen finden sich nicht nur in Überlieferungen der Natur, sondern auch in menschlichen Überlieferungen wie etwa der Kunst: Beispielsweise zeigen die Gemälde holländischer Maler des 17. Jahrhunderts zugefrorene Kanäle - heute kaum noch vorstellbar. Dafür ist erstmals seit dem Mittelalter wieder Gemüseanbau auf Grönland möglich, und Mecklenburg-Vorpommern konnte die mittelalterlichen Weinbaugebiete erneut zertifizieren. Andere Regionen hingegen spüren die negativen Folgen des Klimawandels wie zunehmende Trockenheit und steigenden Meeresspiegel.


Untergang oder Weiterentwicklung

Der Mensch passte sich den jeweiligen Klimaveränderungen an, um zu überleben. Wie diese Anpassung künftig gelingen kann, untersuchen die Mitglieder der neuen AG. Jeder Klimawandel hat Gesellschaften stark beeinflusst: Die Folgen reichten von Völkerwanderungen bis hin zum Untergang von Kulturen. So könnten die Pueblo-Indianer, die Mayas oder auch die Römer Opfer von Klimaveränderungen gewesen sein. Die Arbeitsgruppe will erkunden, welche Verhaltensmuster existierten und welche Faktoren dafür ausschlaggebend waren, dass sich eine Gesellschaft weiterentwickelte, stagnierte oder zusammenbrach. Eine Rolle könnten etwa die Abgeschiedenheit einer Kultur, Arbeitsteilung oder der Austausch mit anderen Völkern spielen; zentrale Bedeutung könnte aber auch die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme, die die Gesellschaft tragen, gegenüber einmaligen oder wiederholten Störungen sein.

Nicht zuletzt kommt es auf die Klärung des Gesamtzusammenhangs an: Wie wirken sich relativ schnelle Veränderungen von Ökosystemen auf das Wirtschaftssystem und damit auf die gesellschaftlichen Strukturen aus? Viele drängende Fragen haben andere Forschergruppen bereits untersucht; was jedoch bisher fehlt, ist eine Zusammenführung der unterschiedlichen Aspekte. Diese will die AG auch im Dialog mit externen Expertinnen und Experten voranbringen. "Allein die Zusammenstellung der offenen Fragen wird uns eine Zeit lang beschäftigen", schätzt Sprecherin Hildegard Westphal. Die eine, alles klärende Antwort ist aus ihrer Sicht nicht zu erwarten. Darum geht es der AG auch nicht, sondern um neue Impulse in der aktuellen Klimadiskussion.

Dazu will die Geowissenschaftlerin mit ihrer eigenen Forschung zu Sedimentablagerungen im Meer vor Nordwestafrika beitragen. Sie hofft auf neue Erkenntnisse über das Klima im Holozän, der gegenwärtigen, seit rund 10.000 Jahren andauernden warmzeitlichen Epoche. "Staub oder Überreste von Muscheln helfen uns, Rückschlüsse auf Bedingungen wie etwa die Trockenheit und Wassertemperatur zu ziehen", erklärt Hildegard Westphal. Inzwischen arbeitet sie auch mit Archäologen zusammen. Diese haben Muscheln und Schnecken in Flusssedimenten gefunden, die wiederum Auskunft über die Ernährung der Menschen in einer Epoche geben. Aus den Erkenntnissen der verschiedenen Disziplinen lassen sich schließlich die Umweltbedingungen einer Zeit nachzeichnen.

Die Geowissenschaftler und Archäologen überprüfen derzeit, ob eine Trockenphase das Ende der Herrschaft des Römischen Reiches einläutete. "Die Kornkammer Afrikas trocknete anscheinend aus, was zu Problemen in der Getreideversorgung Roms geführt haben dürfte", mutmaßt Hildegard Westphal. Im Rahmen der neuen AG sollen nun auch Experten weiterer Fachgebiete in die Diskussion über die Reaktionen des Menschen auf abrupten Klimawandel einbezogen werden, so etwa Paläontologen, Ethnologen, Historiker, Ökonomen und Ökologen.


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Quelle:
Die Junge Akademie Nr. 8/Juli 2008, Seite 12-13
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2008