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FORSCHUNG/616: Tropische Flüsse atmen Kohlenstoff (idw)


MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen - 15.08.2016

Tropische Flüsse atmen Kohlenstoff

Neue Studie zeigt bislang unterschätzte Kohlenstoffquelle auf


Meere und Ozeane nehmen etwa die Hälfte des Kohlenstoffdioxids auf, das Menschen produzieren und das bei der Erderwärmung eine wichtige Rolle spielt. Allerdings speichern nicht nur Ozeane, sondern auch große tropische Flusssysteme viel Kohlenstoff und setzen diesen wieder frei, wenn sich das Klima verändert. Das weist jetzt eine wissenschaftliche Veröffentlichung nach, für die Dr. Enno Schefuß vom MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschafen der Universität Bremen einen älteren Bohrkern mit neuesten Methoden untersucht hat. Die Ergebnisse des Teams um Schefuß wurden jetzt im Magazin Nature Geoscience veröffentlicht.


Foto: © Jordan Hemingway, Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI)

Ein Seitenarm des Kongos im Kongobecken. Das Gebiet ist nicht - wie einst angenommen - komplett mit Regenwald bedeckt, sondern besteht zum Teil aus Sumpfwäldern.
Foto: © Jordan Hemingway, Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI)

In den feuchtwarmen Bedingungen der Tropen, wie zum Beispiel im Regenwald, nehmen Pflanzen eine große Menge an Kohlenstoffdioxid (CO2) auf. Gleichzeitig ist unter diesen Bedingungen die mikrobielle Aktivität im Boden sehr hoch. Das heißt, dass organisches Material schnell wieder zersetzt und in CO2 umgewandelt wird. In den Sedimenten vor Flussmündungen sollte sich demnach eigentlich kein altes Pflanzenmaterial ablagern. Davon sei man jedenfalls bislang ausgegangen, erklärt Dr. Enno Schefuß.

Der Bohrkern aus den Sedimentablagerungen vor der Mündung des Kongos habe aber dennoch teilweise sehr altes organisches Material enthalten. Mit der Radiokarbonmethode haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Alter von sogenannten molekularen Fossilien, also spezifischen chemischen Pflanzenbestandteilen, sowie mikroskopisch kleinen Holzstückchen bestimmt. "Die organischen Bestandteile waren viel älter als das Ablagerungsalter der Sedimente, was uns zuerst sehr erstaunt hat", sagt Schefuß. Der Bohrkern stammt von einer Expedition aus dem Jahr 2002 und wurde mit modernsten Analysemethoden untersucht. Lediglich die oberste, also jüngste Probe aus dem Bohrkern zeigte ein junges Alter. Als Grund hierfür nennt Schefuß die atmosphärischen Atomtests bis 1963. Dadurch hat sich der atmosphärische Gehalt an radioaktivem Kohlenstoff (14C), mit dessen Hilfe das Alter bestimmt wird, massiv erhöht. "Diese hohen 14C-Gehalte überprägen alle modernen Proben", erklärt der Wissenschaftler, "die eigentlichen Alter werden dadurch maskiert." Das bedeutet, dass die Flüsse eigentlich älteres organisches Material transportieren, das schlichtweg nicht bemerkt wurde. "Diese Tatsache ändert unsere Sichtweise des Kohlenstoffkreislaufs."

Woher aber stammt das alte organische Material - zum Beispiel die Holzstückchen, die 3000 Jahre alt waren, als sie abgelagert wurden? "Wir fanden einen systematischen Zusammenhang zwischen Alter und Feuchtigkeit", sagt Schefuß. Auch unter den heutigen, relativ trockenen Bedingungen im Kongo laufen die Umsatzprozesse schnell ab. Darum sei es ausgeschlossen, dass sie direkt durch die Feuchtigkeit gesteuert werden. Zu erklären sei das eigentlich nur durch eine andere Quelle, die bei zunehmender Trockenheit Kohlenstoff freisetzt.

Hier kamen spezielle Analysemethoden der englischen Kolleginnen zu Hilfe. In den Proben konnten Reste spezieller, methanfressender Bakterien nachgewiesen werden, die den entscheidenden Hinweis gaben: Das Kongo-Becken ist nicht komplett mit Regenwald bedeckt. In der Mitte, wo mehrere Zuflüsse in den Kongo strömen, gibt es eine Stelle, die wie ein Sumpf dauernd von Wasser bedeckt ist. "Das Gebiet ist in etwa so groß wie die Schweiz und war bis vor kurzem relativ unbekannt, da es unter dichtem Wald verborgen ist. Alles, was an organischem Material in den Sumpf hineingeht, bleibt unter den sauerstofffreien Bedingungen weitgehend erhalten. Hier leben die Methanoxidierer", erklärt Schefuß. Die Untersuchungen wiesen darauf hin, dass der Sumpf früher deutlich größer gewesen sein muss. Beim Austrocknen wurde das alte, organische Material freigesetzt. "Was wir in den Sedimentarchiven sehen, also die stabilen Komponenten, die Abbau und Transport überlebt haben, sind lediglich die Anzeiger von größeren CO2-Freisetzungen", erklärt Schefuß - der weitaus größte Teil des freigesetzten Kohlenstoffs geht direkt als CO2 in die Atmosphäre. "Das zeigt, dass Feuchtgebiete in tropischen Flusssystemen ein wichtiger Kohlenstoffspeicher sind. Trocknen sie aus, aufgrund von natürlichen Ursachen oder menschlichem Handeln, wird CO2 abgegeben", fasst Schefuß zusammen. Künftig werde man die Rolle der tropischen Feuchtgebiete in CO2-Modellen deutlicher berücksichtigen müssen, ist der Bremer Geochemiker überzeugt. Die neue Interpretation der Daten könnte auch als Modell für vergleichbare Gebiete, wie zum Beispiel den Amazonas, dienen.

Die Studie unterstreicht außerdem die Bedeutung der Sedimentkerne vom Meeresboden als Klimaarchive. "An Land gibt es keine Klimaarchive, die diese Prozesse aufzeichnen können. Dort, wo es trocken wurde, wurde das Material wegtransportiert. In den verbleibenden Sumpfgebieten wird das Material weiter konserviert", betont Schefuß. Lediglich vor den Flussmündungen, wo das freigesetzte stabile organische Material letztendlich abgelagert wird, sind diese Prozesse zu sehen. "Die Klimaänderungen in der Vergangenheit dienen uns dabei als natürliche Experimente, um die Folgen des jetzigen Klimawandels besser abschätzen zu können."

Publikation:
Enno Schefuß, Timothy I. Eglinton, Charlotte L. Spencer-Jones, Jürgen Rullkötter, Ricardo De Pol-Holz, Helen M. Talbot, Pieter M. Grootes, Ralph R. Schneider: Hydrologic control of carbon cycling and aged carbon discharge in the Congo River basin. Veröffentlicht in: Nature Geoscience, DOI: 10.1038/ngeo2778


Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
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Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution314

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität
Bremen, Ulrike Prange, 15.08.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2016

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