GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel - 29.04.2025 10:20
Deutschlands begrenzte Optionen, schwer vermeidbare Restemissionen mithilfe des Meeres auszugleichen
29. April 2025/Kiel. Die natürliche Kohlendioxid-Aufnahme des Meeres zu erhöhen oder abgeschiedenes Kohlendioxid biogenen Ursprungs tief im Meeresuntergrund zu speichern, werden in Deutschland als Möglichkeiten diskutiert, schwer vermeidbare Restemissionen auszugleichen und das Ziel der Treibhausgasneutralität zu erreichen. Welche CO2-Entnahme- und Speicherverfahren erfolgreich einsetzbar sind, hängt von lokalen Bedingungen ab. In der deutschen Nord- und Ostsee sind die Möglichkeiten auf wenige Methoden begrenzt. Das ist das Ergebnis einer ersten Machbarkeitsabschätzung von Wissenschaftler:innen der Forschungsmission CDRmare. Die Studie ist jetzt im Fachmagazin Earth's Future erschienen.
Oberstes Ziel auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die Vermeidung von Emissionen. Doch angesichts der Notwendigkeit, schwer vermeidbare CO2-Emissionen in Zukunft durch eine Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre auszugleichen, gewinnen Methoden zur CO2-Entnahme und -Speicherung mithilfe des Ozeans zunehmend an Aufmerksamkeit. Welche Möglichkeiten hat Deutschland, seine Meeresgebiete dafür zu nutzen? Dieser Frage geht eine Studie nach, in der Forschende erstmals versuchen, die Machbarkeit von CO2-Entnahme- und Speicherung in deutschen Gewässern abzuschätzen, wenn man die lokalen Meeresbedingungen berücksichtigt und danach fragt, woher das notwendige Material, die erforderlichen Infrastrukturen und die benötigte Energie kommen sollen, die eine meeresbasierte CO2-Entnahme im großen Stil erfordern würde.
"Solche Standortfaktoren entscheiden maßgeblich darüber, welche Verfahren zur marinen CO2-Entnahme und -Speicherung überhaupt in Frage kommen. Unsere Analyse hilft uns, genauer zu verstehen, über welche Größenordnungen wir sprechen, wenn wir einen Einsatz dieser Verfahren in deutschen Meeresgewässern diskutieren, und an welchen Stellen der Prozessketten wir absehbar auf Engpässe oder Machbarkeitsgrenzen stoßen würden", sagt Dr. Wanxuan Yao, Co-Autor und zum Zeitpunkt der Studie Klimamodellierer am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
Für die Analyse haben die Forschenden sowohl aktuelle Fachliteratur ausgewertet als auch Ergebnisse aus ihrer aktuellen Arbeit in der DAM-Forschungsmission zur marinen CO2-Entnahme und -Speicherung (CDRmare) einfließen lassen. Abgefragt wurde für jede Methode unter anderem wie viel Wasser, Material, Energie, Land- oder Meeresfläche benötigt werden, welche Abfall- oder Beiprodukte entstehen könnten, welche Bauten und Transportwege notwendig wären, welche Betriebskosten entstünden und was über mögliche Auswirkungen auf Mensch und Natur bekannt ist.
"Außerdem haben wir untersucht, ob es für jede der Methoden bereits etablierte Verfahren gibt, mit denen die erzielte CO2-Entnahme sowie mögliche Umweltauswirkungen gemessen und überwacht werden können. Ohne solche Mess- und Kontrollverfahren hat keine der diskutierten Methoden eine realistische Chance, eines Tages großflächig eingesetzt zu werden", erläutert Co-Erstautorin Dr. Teresa Morganti, zum Zeitpunkt der Studie Meeresbiologin am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde.
Am Ende des mehrjährigen Auswahlprozesses blieben fünf Verfahren zur CO2-Entnahme übrig, die in den deutschen Nord- und Ostseegewässern umgesetzt werden könnten. Fünf weitere untersuchte Methoden müsste die Bundesrepublik in internationalen Gewässern umsetzen oder dafür mit anderen Küstenstaaten kooperieren.
"Die von uns entwickelten Optionsskizzen sollen dazu dienen, konkrete Fragen und Herausforderungen aufzuwerfen, die sich im Falle eines großskaligen Einsatzes stellen würden, und eine Diskussionsgrundlage zu liefern. Es ist aber wichtig zu betonen, dass diese Skizzen weder die rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen, noch hinterfragen sie, ob die möglichen Auswirkungen einer gezielten CO2-Entnahme mithilfe des Meeres unseren ethischen Werten und Zielvorstellungen entsprechen. Das sind wichtige Fragen, die wir nun in Folgestudien aufgreifen müssen", sagt Dr. Nadine Mengis vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Co-Autorin der neuen Studie und CDRmare-Co-Sprecherin.
Die Forschenden arbeiten deshalb gezielt daran, Methoden und Prozesse zu entwickeln, die ein realistisches Bild davon zeichnen, inwiefern marine CO2-Entnahmeverfahren machbar und ihre Auswirkungen für Mensch und Natur wünschenswert sind. "Sobald man marine CO2-Entnahmeverfahren für eine konkrete Region hochskaliert und somit die Dimension dieser Eingriffe begreifbar macht, wird deutlich, dass die bisherigen Erwartungen ohne diese Überlegungen oft zu hoch sind. Wir brauchen mehr solcher Studien, die die kontextspezifischen Bedingungen für eine mögliche Umsetzung von CDR-Maßnahmen mit einbeziehen, nur so kommen wir letztlich auch auf belastbare Potenziale", sagt Nadine Mengis.
Die Erwartungen bergen zudem die Gefahr, dass auch Länder wie Deutschland auf zukünftige technische Lösungen hoffen und in der Zwischenzeit ihre Ambitionen zur Treibhausgasvermeidung mit bekannten und erprobten Maßnahmen zurückschrauben. "Das darf nicht das Resultat unserer Forschung sein", betont Nadine Mengis.
1. die Herstellung einer Lauge aus Silikatgestein und Wasser sowie die
Verteilung dieser Lauge im Flachwasser entlang der deutschen
Nordseeküste,
2. die Herstellung einer Lauge aus Löschkalk und Wasser sowie die
Verteilung dieser Lauge entlang der Schifffahrtswege in der deutschen
Nordsee,
3. das Einstreuen von pulverisiertem Basaltgestein vulkanischen
Ursprungs entlang der deutschen Küste,
4. die Einleitung von Natriumhydroxid, welches in Entsalzungsanlagen
durch Elektrolyse gewonnen werden kann (derzeit keine
Entsalzungsanlagen in Nord- oder Ostsee).
5. die gezielte Ausweitung oder Einführung von Kelpwäldern rund um die
deutsche Nordseeinsel Helgoland,
6. die Wiederherstellung und Ausweitung von Mangrovenwäldern in
Indonesien,
7. der künstliche Auftrieb nährstoffreichen Tiefenwassers, um das
Planktonwachstum im Nordatlantik anzukurbeln (Verstärkung der
biologischen Kohlenstoffpumpe des Ozeans)
8. die gezielte Zucht von Sargassum-Algen im subtropischen Wirbel des
Südatlantiks sowie das anschließende Versenken der erzeugten Biomasse
im Meer
9. die Zucht von Großalgen mit anschließender Verwendung der Biomasse
für die Herstellung von Biomethan. Bei der Verbrennung des Methans im
Gaskraftwerk würde das entstehende CO2 biogenen Ursprungs
abgeschieden, komprimiert und in Sandsteinformationen unter der
deutschen Nordsee gespeichert.
10. die direkte Entnahme von CO2 aus der Umgebungsluft mit
anschließender Speicherung in der ozeanischen Basaltkruste vor der
Küste Norwegens
CDRmare ist eine Forschungsmission der Deutschen Allianz
Meeresforschung (DAM). Ihr Langtitel lautet: "Marine
Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung". Die Mission
startete im Sommer 2021 mit sechs Forschungsverbünden, die
vielversprechende Methoden der marinen CO2-Entnahme und -Speicherung
(Alkalinisierung, Ausweitung vegetationsreicher Küstenökosysteme,
künstlicher Auftrieb, CCS) hinsichtlich ihrer Potenziale, Risiken und
Wechselwirkungen untersuchen und in einem transdisziplinären
Bewertungsrahmen zusammenführen. Im August 2024 ist CDRmare mit fünf
Forschungsverbünden in die zweite dreijährige Förderphase gestartet.
Gefördert wird CDRmare vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
und den Wissenschaftsressorts der norddeutschen Bundesländer Bremen,
Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und
Schleswig-Holstein.
Originalpublikation:
Yao, W., Morganti, T. M., Wu, J., Borchers, M., Anschütz, A., Bednarz,
L.-K., et al. (2025). Exploring site-specific carbon dioxide removal
options with storage or sequestration in the marine environment - the
10 Mt CO2 yr-1 removal challenge for Germany. Earth's Future, 13,
e2024EF004902.
https://doi.org/10.1029/2024EF004902
Weitere Informationen:
Science Story zur 10-Millionen-Tonnen-Challenge
https://storymaps.arcgis.com/stories/d5d72d29f18944ae87e2297928d7fad0
Factsheets über marine Methoden der CO2-Abscheidung und
-Speicherung
https://cdrmare.de/factsheets/
CDRmare-Webseite
https://cdrmare.de/
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
https://idw-online.de/de/institution818
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel - 29.04.2025 10:20
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 2. Mai 2025
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