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ENERGIE/064: Bioenergie - Transparenz durch Standards und Zertifizierung? (ForschungsReport)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 1/2009
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Bioenergie - Transparenz durch Standards und Zertifizierung?

Von Uwe Meier und Falko Feldmann (Braunschweig)


In der Bioenergie sehen viele Befürworter eine Teillösung gegen den Klimawandel und eine wichtige klimarelevante Ergänzung zu Mineralölprodukten und Gasimporten. Als verhängnisvolle Fehlentwicklung, die zur Zerstörung der Regenwälder, gewaltsamen Vertreibung von Bevölkerungsgruppen, zum Anstieg der Treibhausgase und des weltweiten Hungers führen wird, sehen Kritiker die Bioenergie. Beide Standpunkte in dieser stark polarisierenden Debatte verdienen Beachtung. Entscheidend ist, wo und unter welchen Bedingungen Pflanzen für Bioenergie angebaut werden. Können hier zertifizierte Produktionsverfahren nach Umwelt- und Menschenrechtsstandards weiterhelfen?


Der großflächige Anbau von Energiepflanzen, zum Beispiel Zuckerrohr in Brasilien oder Ölpalmen in Indonesien, kann durchaus problematische Auswirkungen für Umwelt und Menschen haben, etwa wenn Biomasseproduktion den Anbau von Lebens- und Futtermitteln verdrängt, der dann wiederum in sensible Naturräume ausweicht oder wenn Kleinbauern von ihren Feldern vertrieben werden. Dem Endprodukt Palmöl oder Ethanol sieht man es nicht an, wie es produziert wurde. Also soll versucht werden, überprüfbare Standards für Produktionsflächen und -verfahren zu etablieren, deren Einhaltung durch eine freiwillige und glaubwürdige Zertifizierung dokumentiert werden soll.

Für die Produktion von Nahrungsmitteln gibt es bereits seit etwa 10 Jahren Zertifizierungsverfahren, die auf bestimmten Nachhaltigkeitsstandards fußen. So werden auf Wunsch der Produzenten und des Handels die Produktion von Südfrüchten, Kartoffeln, Gemüse, Blumen, Tee, Kaffee, Fleisch und Zuchtfisch zertifiziert. In Kürze werden alle landwirtschaftlichen Produkte zertifiziert werden können. Die Entwicklung schreitet rasch voran, denn auch die Zertifizierung ist ein Markt.

Wissenschaftlich belastbare Ergebnisse über den Nutzen, die Effizienz und vor allem die Glaubwürdigkeit dieser Systeme fehlen bisher. Angesichts der großen Chancen der Zertifizierung durch Normensetzung und Kontrolle, aber auch der Risiken sowie der Komplexität der Problematik, die nur durch internationale Rahmensetzung gelöst werden kann, ergeben sich folgende Fragen: Kann eine Zertifizierung die in sie gesetzten sozio-ökonomischen und ökologischen Erwartungen erfüllen, kann sie für Transparenz sorgen? Oder wird die Zertifizierung als "green washing" missbraucht werden, wie heute schon vielfach behauptet wird? Wie ist es um die Kontrollen bestellt? Betrachten wir am Beispiel des Bioenergie-Marktes zunächst die wesentlichen Risiken, die durch Standardsetzung und Zertifizierung entschärft werden sollen.


Risiken ...

... für die Ernährung

Die rasch ansteigende Nachfrage nach Bioenergie führt zu einem erhöhten Flächenbedarf. Künftig ist mit einer deutlichen Verschärfung der Landnutzungskonkurrenz zu rechnen. Um den Nahrungsbedarf einer wachsenden Weltbevölkerung zu decken, muss die globale Nahrungsmittelproduktion nach Angaben der FAO bis 2030 um rund 50 % gesteigert werden. Der künftige Flächenbedarf für die Nahrungsmittelproduktion wird dabei nicht zuletzt durch den flächenintensiven Futteranbau zur Fleischproduktion bestimmt. Der Konkurrenzdruck um die limitierte Fläche wird auch auf die Nahrungsmittelpreise durchschlagen, was insbesondere die Menschen betreffen wird, die in absoluter Armut leben.


... für die Artenvielfalt

Die verstärkte Nachfrage nach Agrarprodukten zur Ernährungssicherung, zu Futterzwecken und zur Energiegewinnung kann einerseits durch die Intensivierung der Produktion, andererseits durch die Erschließung neuer Agrarflächen auf Kosten natürlicher Ökosysteme befriedigt werden. Letzteres ist derzeit die wichtigste Ursache für die Reduzierung der biologischen Vielfalt. Dies geschieht beispielsweise, indem tropische Wälder gerodet oder Moore trockengelegt werden.


... für den Klimaschutz

Bei der Umwandlung natürlicher Ökosysteme in neue Anbauflächen werden Treibhausgase freigesetzt. Die Klimaschutzwirkung der Bioenergienutzung ist also davon abhängig, ob Ökosysteme mit hoher Kohlenstoffspeicherung (z.B. Wälder, Moore) umgenutzt werden. Insofern kann der Anbau von Energiepflanzen auf diesen Flächen zu einer Verschärfung des Klimawandels beitragen.


... für kleinbäuerliche Strukturen und indigene Bevölkerung

Der rasch wachsende Flächenbedarf für den Anbau nachwachsender Rohstoffe verschärft in vielen Ländern die sozialen Konflikte um Land. Diese äußern sich zumeist in der Vertreibung von Kleinbauern oder der Umwandlung von Flächen, die bisher indigenen

Gemeinschaften oder Landlosen als Existenzgrundlage dienten. Die Zerstörung kleinbäuerlicher Strukturen kann sowohl die Lebensgrundlagen von Menschen vernichten, als auch ökologisch sensible Gebiete zerstören, weil die verdrängte Bevölkerung in diesen ihre neuen Lebensgrundlagen suchen wird, sofern sie nicht in städtische Räume abwandert.


Zertifizierungssysteme

Als Zertifizierung werden Verfahren bezeichnet, mit deren Hilfe die Einhaltung bestimmter Prinzipien, Standards oder Kriterien für Produktionsprozesse oder Dienstleistungen nachgewiesen werden kann. Konkret heißt das, dass sich ein Unternehmen verpflichtet, vorgegebene Standards oder Kriterien, Gesetze und verbindliche internationale Regelungen einzuhalten, dass es Transparenz gewährleistet und an einer Überprüfung durch eine unabhängige Kommission teilnimmt. Nach erfolgreicher Prüfung (Audit) erhält das Unternehmen für seine Produkte als Bestätigung ein entsprechendes - oft zeitlich befristetes - Zertifikat.

Neu sind Zertifizierungen in der Agrar- und Forstwirtschaft nicht. In der Regel gingen die Impulse für diese Verfahren nicht von den Produzenten aus, sondern vom Handel und von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Der Handel hatte Interesse daran, ein mit Garantien (Qualität, Umwelt, Menschenrechte) versehenes Produkt auf dem Weltmarkt zu kaufen; die zivilgesellschaftlichen Organisationen wollen mindestens die Agenda 21 und die Konventionen der ILO (International Labour Organisation) von der Wirtschaft glaubwürdig umgesetzt sehen. Leistungsstarke internationale Systeme wie GLOBALGAP sind vom Lebensmittelhandel nach der BSE-Krise entwickelt worden. Agroindustrielle Organisationen und verarbeitende Industrie erarbeiteten das Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) oder das Pan European Forest Certificates (PEFC). Zivilgesellschaftliche Organisationen sind das Forest Stewardship Council (FSC), die Fairtrade Labelling Organisation (FLO) oder die Rainforest Alliance (RA), die eingegliedert ist in das weltweit agierende Sustainable Agricultural Network (SAN). Ferner produziert der Ökologische Landbau traditionell nach Standards und Kriterien, deren Einhaltung überprüft wird. Allen vorhandenen Zertifizierungssystemen gemeinsam ist die zielorientierte Einflussnahme auf den Produktionsprozess durch Produktionskriterien, die durch transparente Produktionsverfahren überprüfbar sind. Gemeinsam ist allen Systemen ferner, dass an ihnen freiwillig teilgenommen wird. In einigen landwirtschaftlichen Bereichen (Obst, Gemüse, Chip-Kartoffeln) sorgt der Marktdruck jedoch inzwischen dafür, dass Produkte ohne Zertifizierung schwerer absetzbar werden.


Nachhaltigkeitsnachweis für Bioenergie nach ISCC

Den Risiken beim internationalen Energiepflanzenanbau soll durch Regelungen auf nationaler und EU-Ebene begegnet werden. Um dieses Ziel erfolgreich umzusetzen, muss zunächst sichergestellt sein, dass der Ausbau der Bioenergienutzung tatsächlich einen Beitrag zum Klimaschutz leistet und die oben skizzierten Risiken minimiert werden. Dieses wird durch verbindlich einzuhaltende Nachhaltigkeitsstandards geschehen, deren Einhaltung durch das Instrument der Zertifizierung überprüft wird.

Für die angestrebte nachhaltige Biomasseproduktion ist die Standardentwicklung im Rahmen des ISCC-Projekts (International Sustainability and Carbon Certification) fast abgeschlossen. ISCC wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) entwickelt und befindet sich bereits in der Erprobungsphase.

Das System sieht eine Zertifizierung zur Sicherung ökologischer und sozialer Standards bei der Biomasseproduktion vor und soll nicht nur die Verwendung von Biomasse im Biokraftstoffsektor berücksichtigen. Das umfangreiche Regelwerk, das sich auch an GLOBALGAP orientiert, beinhaltet unter anderem die Verpflichtungen zur Transparenz und zur Einhaltung nationaler und ratifizierter internationaler Gesetze und Abkommen. Die Einhaltung von Umweltstandards im Bereich Boden, Wasser, Abfall und Pflanzenschutzmittel wird gefordert, Brandrodungen sind verboten und die Bewahrung natürlicher Ressourcen und Biodiversität ist Pflicht. Die Sozialstandards betreffen hauptsächlich die ILO-Kriterien.

Die Europäische Richtlinie zu Erneuerbaren Energien soll ab Januar 2010 gelten. Danach sollen Unternehmen über ihre Aktivitäten Bericht erstatten müssen:
- zum Schutz von Boden, Wasser und Luft,
- zur Restaurierung degradierter Flächen,
- zur Vermeidung von Wassernutzung in trockenen Gebieten und
- zur Vermeidung von negativen sozialen Auswirkungen.


Glaubwürdigkeit

Glaubwürdigkeit muss sich ein Zertifizierungssystem erarbeiten. Grundbedingung ist, dass die Versprechungen eingehalten werden. Wird mit dem Produkt ein Vorteil für die Umwelt versprochen und nicht eingehalten, stellt das die Glaubwürdigkeit der Zertifizierung in Frage. Das Risiko des Glaubwürdigkeitsverlustes ist bei der BioTreibstoffproduktion besonders hoch, weil kaum Erfahrungen vorliegen und der Marktdruck hoch ist.

Transparenz und offene Kommunikation des Unternehmens sind der Schlüssel für Glaubwürdigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz des Produktes und seiner Herstellung. Zur Glaubwürdigkeit tragen auch freiwillige Leistungen des Unternehmens bei. Hierzu zählen die Veröffentlichung der historischen Entwicklung des Unternehmens und das öffentliche Bekennen von ökologischen und sozialen Fehlhandlungen der vergangenen Jahre. Aus den dokumentierten ökologischen und sozialen Leistungen in den Jahren vor der Zertifizierungsdiskussion lässt sich die Glaubwürdigkeit des Produzenten ebenso ableiten. Die Durchführung der Zertifizierung, also die Überprüfung vor Ort, ob die Standards eingehalten werden, und die anschließende Bewertung der Ergebnisse, ist eine Schwachstelle des gesamten Zertifizierungssystems. Die Inspektoren sollten aus verschiedenen Fachbereichen kommen (Soziales, Medizin, Agrar), sollten sich in der Kultur des Landes und der Sprache auskennen und möglichst gute Kontakte zu örtlichen und unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen haben. Allein die Tatsache, dass der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens von wenigen Inspektoren abhängt, weist auf Korruptionsanfälligkeit des Systems hin. Mögliche Abhängigkeiten zwischen Zertifizierungsunternehmen und ihren Kunden sollten ausgeschlossen werden. Sinnvoll wäre es, wenn die Agrarunternehmen nicht immer von derselben Organisation zertifiziert würden.


Forschung

Die Erfahrungen und Erkenntnisse seit der Einführung von Zertifizierungen im internationalen Agrarbereich deuten insgesamt auf positive Auswirkungen für Mensch und Natur hin. Belastbare Untersuchungsergebnisse liegen darüber allerdings nicht vor. Es sollten daher belastbare Erkenntnisse durch internationale, interdisziplinäre Forschung erfolgen, die sowohl zertifizierungsbegleitend ist als auch grundlegende Erkenntnisse zu den sozio-ökonomischen und ökologischen Auswirkungen in den Anbauländern erarbeitet. Ansätze hierzu entstehen derzeit unter anderem im Julius Kühn-Institut (JKI), wo die fachliche Grundlage von Zertifizierungssystemen im Pflanzenbau bewertet werden soll. Auch der nationale Aktionsplan zur "Nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln" (NAP) der Bundesregierung sieht Zertifizierungen im Pflanzenschutz vor.


Dr. Uwe Meier und Dr. Falko Feldmann, Julius Kühn-Institut, Institut für Pflanzenschutz im Gartenbau und Forst, Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig. E-Mail: uwe.meier@jki.bund.de und falko.feldmann@jki.bund.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

TransFair - Seit Jahren bekannte zertifizierte Produkte im Lebensmittelbereich sind zum Beispiel Bananen und Kaffee.

Zuckerrohr - wichtigste Pflanze zur Gewinnung von Bioethanol

Der Anbau von Energiepflanzen kann zu einer Verschärfung des Klimawandels beitragen.

Die rasch ansteigende Nachfrage nach Bioenergie führt zu einem erhöhten Flächenbedarf, das geht zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion und reduziert biologische Artenvielfalt, z.B. durch die Rodung tropischer Regenwälder..

Vorbereitung der Zuckerrohpflanzung. Die Konkurrenz um Agrarflächen für den Anbau von Nahrungs-, Futter- und Energiepflanzen wird künftig zunehmen.

Ölpalmen-Plantage; rechts: Fruchtstand der Ölpalme

Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
1/2009,
Heft 39 - Seite 26-29
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsanstalten
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL)
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2009