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EUROPA/259: Gesundheit und Sicherheit im Dienst der Agroindustrie... (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2013 Ziele(n) für nachhaltige Entwicklung - Wer hat noch Pfeile im Köcher?

Gesundheit und Sicherheit im Dienst der Agroindustrie?
Heikle Verordnungen könnten durch das ausscheidende EU-Parlament gepeitscht werden

von Susanne Gura



Gesündere Tiere und Pflanzen und mehr Sicherheit in der Agrar- und Lebensmittelkette - unter diesem Titel legte die EU Kommission dem Parlament am 6. Mai vier Verordnungsvorschläge vor. Geändert werden sollen nicht nur Regelungen über Pflanzenvermehrungsmaterial, sondern auch über Tier- und Pflanzengesundheit sowie die entsprechenden Kontrollen und deren Finanzierung. Damit wird der zweitgrößte Wirtschaftssektor der EU neu reguliert.


Konsultationen fanden im Vorfeld statt. Zu jeder Verordnung gibt es ein Impact Assessment. Über die »Comitolobby« in Brüssel auch im Agrarsektor ist genug bekannt, um zumindest zu vermuten, dass große Unternehmen ihre Belange gesichert haben, während die Interessen anderer Betroffener kaum zum Zuge kommen. Eine gründliche Prüfung der Verordnungen durch Betroffene ist daher angebracht. Leidtragende sind nicht nur die Nahrungsmittelwirtschaft, sondern auch Verbraucher und von Vogel- und Schweinegrippe gefährdete Patienten, sowie Steuerzahler, die Impfstoffvorräte finanzieren. Alle Entwürfe des Verbraucherschutzkommissars liegen jetzt auch in deutscher Sprache vor. Die Agrarausschüsse des Parlaments sind nun für die Prüfung zuständig. Im Herbst muss das Parlament zugestimmt haben, wenn es nach den Vorstellungen der Industrie geht. Sie will keine lange Diskussion, schon gar nicht über die 2014 auslaufende Legislaturperiode hinaus. Massentierhaltungsseuchen oder Kulturpflanzenvielfalt als Wahlkampfthemen, das könnte interessant werden.


Hinter den Drohkulissen
Verbraucherschutzkommissar Tonio Borg bemühte mehrfach den Pferdefleischskandal als Begründung, auch wenn das Pferdefleisch, wie er betonte, - vielleicht mit Ausnahmen - kein Gesundheitsproblem darstellt und Betrug durch die neuen Regelungen nicht verhindert werden würde. Was also soll erreicht werden? Die EU soll vor eingeschleppten Schädlingen geschützt werden, und deswegen darf künftig Reisegepäck kontrolliert werden. Es können auch Privatgärten kontrolliert werden, um die eingeschleppten Schädlinge zu vernichten. Kein einziger Pflanzenproduzent darf künftig von Kontrollen ausgenommen werden; für Kleinunternehmen können die Kontrollgebühren erlassen werden. Alle müssen sich in ein neues »Pflanzengesundheits-Betreiberregister« eintragen und Vorschriften erfüllen, um Kontrollen zu ermöglichen. Diese Datensammlung hat interessante Nebenwirkungen. Das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Geschäftsgeheimnis der Landwirte könnte unterlaufen werden, wenn Landwirte Informationen über ihre angebauten Sorten preisgeben müssen. Den Züchtern von Getreide, der einzigen Frucht, bei der Nachbau - gegen Gebühr - noch erlaubt ist, könnte dies hohe Summen von Nachbaugebühren bescheren, im Namen der Pflanzengesundheit.


Gefahren der industriellen Produktion ans Licht bringen
Wer erinnert sich, dass wir zehn Jahre lang glauben mussten, die Zugvögel und die kleinbäuerliche Geflügelhaltung wären Schuld an der Vogelgrippe? Der Spuk war erst vorbei, als der britischen Vogelschutzorganisation Birdlife International der Nachweis gelang, dass sich die Vogelgrippe entlang der Handelswege ausbreitet. Da waren schon Millionen Tiere gekeult, vor allem solche von Kleinbauern in Entwicklungsländern. Schlachten auf Märkten wurde verboten, und damit der Weg für industrielle Schlachtung und Erzeugung im Süden verbreitert. Die Welttiergesundheitsorganisation OIE warnt einerseits vor Erregern aus der Tierhaltung, andererseits verwies auch sie auf Zugvögel als Verursacher der Vogelgrippe. Bis heute wird nicht kontrolliert, was aus den Massentierhaltungsanlagen herauskommt. »Biosicherheit« bedeutet lediglich, zu verhindern, dass die in dieser Haltungsform extrem empfindlichen Tiere nicht von außen angesteckt werden.


Delegierte Akte: Joker der Agroindustrielobby
Auffällig viele und teilweise wichtige Regelungen bleiben in den Entwürfen offen. Die Kommission behält sich vor, sie als Delegierte Akte ohne das Parlament zu regeln. Wer das tüchtigste Lobbybüro in Brüssel hat, gewinnt so auch nach dem Inkrafttreten der Verordnung weiter Einfluss. Schon vorher wurde der »Drehtür«-Trick eingesetzt: Um die Interessen der Agroindustrie im Saatgutrechtsentwurf zu sichern, hat die französische Regierung eine Mitarbeiterin des Industrieverbandes GNIS in der EU-Kommission platziert.


Autorin Susanne Gura ist im Vorstand des Dachverbands Kulturpflanzen und Nutztiervielfalt und Erste Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt. Sie koordiniert das Netzwerk APBREBES zu Sortenschutzfragen.


BirdLife International, »Wild birds - victims not vectors«, Cambridge, 8 December 2005:
http://www.birdlife.org/news/news/2005/12/flu_migration.html
GRAIN (2006) Fowl play: The poultry industry's central role in the bird flu crisis


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2013, S. 32
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2013