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GENTECHNIK/1060: In der EU drohen bei Gentechnik-Organismen erhebliche Regelungslücken (Testbiotech)


Testbiotech e.V. - München, 24. Januar 2018
Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie

In der EU drohen bei Gentechnik-Organismen erhebliche Regelungslücken

Stellungnahme des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Kritik


24. Januar 2018 / In der vergangenen Woche hat der Generalanwalt des EuGH eine Bewertung veröffentlicht, ob die neuen Verfahren des Gen-Editing unter die Gentechnikgesetzgebung der EU fallen sollen. Er befasst sich nicht in der Sache mit den technischen Verfahren und ihren Anwendungen und Risiken. Seine Argumentation beruht vielmehr zu großen Teilen auf zu generellen und zum Teil veralteten Kategorien, die zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen können. Insbesondere fehlt eine klare Unterscheidung zwischen den bisher üblichen Verfahren der Züchtung und den neuen Verfahren des Gen-Editing, bei denen unter anderem die Gen-Schere CRISPR-Cas eingesetzt wird. Deswegen erwartet Testbiotech, dass das anstehende Gerichtsurteil keineswegs zu einem Ende der Debatte über die Regulierung der neuen Gentechnikverfahren führen wird.

Die Unklarheiten in der Stellungnahme des Generalanwalts gehen zum großen Teil auf Begrifflichkeiten zurück, die von der Saatgutindustrie geprägt wurden: Hier spricht man in der Regel von "Neuen Züchtungsverfahren" oder "zielgerichteter Mutation", wenn eigentlich die neuen Gentechnikverfahren gemeint sind. Tatsächlich spricht auch der Generalanwalt im Zusammenhang mit den neuen Gentechnikverfahren meist von "Mutationen" und verwendet den präziseren und korrekteren Begriff des "Gen-Editing" lediglich einmal in einer Fußnote. Diese Wortwahl, die schon in den Fragen zu finden ist, die dem Gericht ursprünglich zur Prüfung vorgelegt wurden, führt hier zu erheblichen Verwirrungen.

Mutationen treten auch spontan in der Natur auf oder können durch unspezifische Reize wie UV-Licht oder Chemikalien erzeugt werden. Die traditionellen Verfahren der Mutationszüchtung zielen dabei auf eine Erhöhung der genetischen Variabilität im Erbgut der Pflanzen. Aufgrund ihrer biologischen Eigenheiten sind sie nur eingeschränkt regulierbar. Sie sind von der Gentechnikgesetzgebung auch aus historischen Gründen ausgenommen.

Dagegen greifen die Methoden des Gen-Editing direkt auf der Ebene des Erbguts ein und versuchen nicht die genetische Vielfalt zu erhöhen, sondern möglichst gezielt bestimmte Änderungen herbeizuführen. Auch wenn beim Gen-Editing keine neuen Gene eingefügt werden, sind nicht nur die Verfahren, sondern auch die Ergebnisse und damit verbundene Risiken oft deutlich von denen der konventionellen Züchtung verschieden.

Das zeigt auch eine aktuelle Publikation aus der Grundlagenforschung: Bei Versuchen an der Ackerschmalwand wurden mit Hilfe von CRISPR-Cas bestimmte Erbanlagen verändert, die der Züchtung bisher nicht zugänglich waren. Obwohl dabei keine zusätzlichen Gene eingefügt wurden, waren die Ergebnisse zwischen verschiedenen Untergruppen der selben Art sehr unterschiedlich, vermutlich wurden sie von der Epigenetik, d.h. der Genregulierung, beeinflusst. Das zeigt, dass die Methoden für die Risikobewertung verbessert werden müssen: Epigenetische Effekte werden bisher nicht berücksichtigt.

Dagegen kommt der Generalanwalt, ohne sich mit Details zu befassen, zu der überraschenden Einschätzung, dass es nicht darauf ankomme, ob die jeweiligen Verfahren risikobehaftet sind oder bereits als sicher erprobt sind. Je nach Lesart der Stellungnahme könnten so auch Organismen, die mit neuen Verfahren unter Verwendung der Gen-Schere CRISPR verändert sind, ohne Zulassungsprüfung und Kennzeichnung auf den Markt kommen. Die damit verbundenen Risiken müssten dann von den EU-Mitgliedsländern national geregelt werden, so der Generalanwalt.

Falls der EU-Gerichtshof der Meinung des Generalanwaltes folgt, könnten sich in der EU erhebliche Lücken in der Regulierung ergeben. Die Folge wäre, dass es in vielen Fällen keine Erfassung der Organismen, keine Sicherheitsprüfung und keine geeigneten Nachweisverfahren gäbe.

Nach Ansicht von Testbiotech müssen die neuen Verfahren EU-weit einheitlich auf ihre Risiken geprüft werden. Sollte es durch das in den nächsten Wochen zu erwartende Gerichtsurteil tatsächlich zu erheblichen Lücken in der Regulierung kommen, wäre es daher unerlässlich, dass die Politik aktiv wird, um beispielsweise unkontrollierte Importe oder Freisetzungen zu verhindern.


Weitere Informationen:
Stellungnahme des Generalanwalts (18.1.2018)
http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=198532&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=779174
Forschungsergebnisse zum Gen-Editing bei Arabidopsis
https://www.testbiotech.org/gentechnik-grenzen/arabidopsis/basistext

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Quelle:
Testbiotech e. V., 24.01.2018
Institut zur unabhängigen Folgenabschätzung in der Biotechnologie
Frohschammerstr. 14, 80807 München
Tel: 089/35899276
E-Mail: info@testbiotech.org
Internet: www.testbiotech.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2018

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