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GEFAHR/058: Einstige Wunderwaffe wird zur Gefahr - Antibiotika in der Tierhaltung (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2018

Einstige Wunderwaffe wird zur Gefahr - Antibiotika in der Tierhaltung

von Kathrin Kofent


Alexander Fleming, schottischer Mediziner und Bakteriologe, gilt als "offizieller" Entdecker des Antibiotikums. Bei Forschungen stellte er 1928 eher zufällig fest, dass Pilze der Gattung Penicillium das Wachstum von Bakterien hemmen. Diese zufällige Entdeckung führte letztendlich zur Entwicklung des Antibiotikums Penicillin aus den Stoffwechselprodukten besagter Pilze. Heute gibt es weltweit 20 Wirkstoffgruppen mit über 70 verschiedenen antibiotischen Wirkstoffen.

Wissenschaftler am US-Forschungszentrum Center for Disease Dynamics, Economics & Policy (CDDEP) stellten anhand einer Hochrechnung fest, dass der weltweite Verbrauch von Antibiotika sich in 15 Jahren um 65 Prozent erhöht hat. Die Studie umfasste 76 Länder im Zeitraum von 2000 bis 2015. Das enorme Wachstum der Fleisch- und Milchproduktion ist dabei für rund zwei Drittel der global steigenden Mengen an Antibiotika verantwortlich; rund ein Drittel geht auf die zunehmende Industrialisierung der Haltungssysteme zurück. Hier läuft etwas gewaltig schief.


Wer ist schuld an dieser Misere?

Besonders in der Geflügel- und Schweinemast werden Antibiotika in sehr großen Mengen eingesetzt. Wenn tausende Tiere für längere Zeit auf engstem Raum zusammengepfercht werden, in ihren eigenen Exkrementen stehen müssen und sich unter Stress gegenseitig Verletzungen zufügen, ist der Infektionsdruck enorm hoch. Nur durch die Gabe von Antibiotika ist die industrielle Massentierhaltung mit ihren anfälligen Hochleistungsrassen überhaupt möglich. Die lebenserhaltenden Medikamente werden oft in dem gesamten Tierbestand eingesetzt und in geringen Dosen in das Wasser oder Futter gemischt. Dass die Tiere dadurch schneller zunehmen, ist ein willkommener Nebeneffekt. Der massive Einsatz von Antibiotika bewirkt jedoch Mutationen bei den Bakterien. Setzt man die Mikroben niedrigen, das heißt nicht-tödlichen Mengen, Antibiotika aus, werden diese unempfindlich, ja sogar resistent gegenüber der einstigen Wunderwaffe. Zudem können Bakterien ihre resistenten Gene über die Artgrenze hinaus auf Bakterien anderer Arten übertragen - auch auf Erreger, die für zahlreiche Spezies, wie auch den Menschen, gefährlich sein können. Untersuchungen belegen, dass Bakterien nur fünf bis fünfzehn Jahre für die Entwicklung von Stämmen brauchen, die resistent gegen ein neues massenhaft eingesetztes Antibiotikum sind. So entstehen multiresistente Keime und verbreiten sich und die Veterinärmedizin steht auf dem traurigen ersten Platz der Verursacher. Dahinter reihen sich die unkritische Verwendung von Antibiotika in der Humanmedizin inklusive der personellen Überlastung und dem dadurch fehlenden Hygiene-Fachpersonal ein. Außerdem die medizinischen Produktionsanlagen vor allem in Indien, wo Rückstände zum Teil ungeklärt in die Umwelt gelangen.


Die unsichtbare Gefahr

In deutschen Supermärkten wurden bei staatlichen Untersuchungen multiresistente Keime auf Geflügelfleisch nachgewiesen und gefährden so unmittelbar die Verbraucher. Laut dem Fleischatlas 2018 der Heinrich Böll Stiftung waren mehr als die Hälfte der Proben von Hühnerfleisch belastet. Aber die unsichtbare Gefahr ist viel weitreichender. Über die auf den Feldern ausgebrachten Exkremente der Tiere gelangen Reste der Antibiotika und ebendiese multiresistenten Keime in die Umwelt und damit in Böden, Bäche, Flüsse, Seen und schlussendlich ins Grundwasser. Die Rückstände schädigen unter anderem Wasser- und Bodenorganismen. Mit großer Sorge betrachten Bürger, zahlreiche gemeinnützige Organisationen wie auch das Umweltbundesamt (UBA) diese Entwicklung und unterstützen die Forderung der GRÜNEN nach einer Umweltbewertung von allen Arzneimitteln. So fehlt es für rund 50 Prozent der marktüblichen Antibiotika an einer Bewertung von ihren Auswirkungen auf die Umwelt. Das bei Darm- und Atemwegsproblematiken bei Geflügel und Schweinen sehr gebräuchliche Antibiotikum Sulfadimidin gehört zu diesen ungeprüften Altarzneimitteln. Es wurde vom UBA in Boden und Grundwasser nachgewiesen.


Verstörend

Stolz verkündete die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner kürzlich den Rückgang des Antibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung. In der Tat ist die Anwendung von Antibiotika in Deutschland seit 2011 um mehr als die Hälfte, auf 742 Tonnen (2016), gesunken. Was Frau Klöckner dabei aber nicht erwähnte: Der Einsatz der Reserve-Antibiotika ist weiter gestiegen! Reserve-Antibiotika wie Linezolid und Carbapenemen sollen aber doch in der Humanmedizin zum Einsatz kommen, wenn herkömmliche Antibiotika versagen. Sie sind dazu gedacht, als "letzte Reserve" eingesetzt zu werden und Leben zu retten. Wenn parallel dazu seit Mitte der sechziger Jahre kaum noch neue Antibiotika entwickelt werden, da der finanzielle Anreiz fehlt, ringt der aufmerksame Bürger verzweifelt nach Worten. Viele Organisationen, unter anderem PROVIEH und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), fordern seit langem, den Einsatz dieser Mittel in der Tierhaltung zu verbieten. In Deutschland gibt es bislang allerdings keine klare gesetzliche Regelung.


Auswege

Das UBA hat im Februar 2018 eigens ein Internetportal "Tierarzneimittel in der Umwelt" eingerichtet. Dort werden vor allem für tierärztliches Fachpersonal und Landwirte praxisnahe Maßnahmen vorgeschlagen, um den Antibiotikaeintrag in die Umwelt zu minimieren. PROVIEH hofft, dass Veterinäre wie Landwirte sich dort Rat holen und dadurch Antibiotika und auch andere Arzneimittel mit sehr viel mehr Bedacht verwendet werden. Dass eine Reduktion des Antibiotikaverbrauchs möglich ist, zeigen Dänemark und die Niederlande, welche in den vergangenen Jahrzehnten die nationalen Reduktionsstrategien umgesetzt haben. Strenge, unangemeldete Kontrollen, die vorgeschriebene Meldung der eingesetzten Antibiotika, das Verbot von "vorbeugendem Einsatz gegen Erkrankungen" und dass die Veterinäre die Medikamente nur noch verschreiben, nicht jedoch auch verkaufen dürfen, waren unter anderem maßgeblich an diesem Erfolg beteiligt.

Ein grundlegender Faktor ist allerdings nach wie vor die Haltung der Tiere, denn in einer tiergerechten Haltung und Zucht erkranken diese Tiere deutlich seltener. So lassen sich in ökologischen Betrieben kaum multiresistente Keime finden.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2018, Seite 35-37
Herausgeber: PROVIEH e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2019

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