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GENTECHNIK/916: Neue Gentechnik - Werden Vorschriften umgangen? (Informationsdienst Gentechnik)


Informationsdienst Gentechnik

Nachrichten - 06.11.2014

Neue Gentechnik: Werden Vorschriften umgangen?



Neben der "klassischen Gentechnik" gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Methoden, mit denen im Labor neue Pflanzen hergestellt werden. Wissenschaftler und Industrie schwärmen von neuen - wohl auch lukrativen - Möglichkeiten. Doch noch ist nicht klar, ob sie offiziell als Gentechnik eingestuft werden oder nicht. Die Unternehmen drängen auf Letzteres, NGOs warnen vor "Gentechnikverfahren durch die Hintertür". In Berlin lud das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nun zu einem Symposium.

Viele Wissenschaftler erhoffen sich von den neuen Methoden - das BVL bezeichnete sie in seiner Programmankündigung als "Neuartige/Neue GVO" -präzisere Eingriffe ins Genom von Pflanzen. Dadurch will man schneller die gewünschten Eigenschaften einbauen können - und möglicherweise auch das teils langwierige und insbesondere von der Industrie als lästig wahrgenommene Gentech-Zulassungsverfahren umgehen. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Die EU-Kommission, die für die politische Einstufung der neuen Gentechnik-Verfahren zuständig ist, hat bislang nichts entschieden. Laut Ulrich Ehlers, Referatsleiter im BVL, ist nicht bekannt, wann es zu einem Vorstoß kommen wird. Und auch Experten, die die neuen Techniken vor einigen Jahren für die EU bewertet haben, waren sich nicht immer einig. Einige Verfahren, zum Beispiel die Cisgenese, bei der innerhalb einer Pflanzengattung Erbgutinformationen mittels Gentechnik übertragen werden, wertet die EU-Beratergruppe als Gentechnik im Sinne der bisherigen Gesetzesgrundlage. Gleiches gilt für die Zinkfingernuklease-3-Technik. Andere Techniken, die unter dem Begriff "Genome Editing" derzeit häufig in einschlägigen Fachjournalen, aber auch in deutschen Zeitungen diskutiert werden, resultieren aus EU-Experten-Sicht nicht immer in gentechnisch veränderten Organismen. Allerdings gab es dazu auch innerhalb der EU-Arbeitsgruppe unterschiedliche Auffassungen.

Oft dreht es sich um die Frage, ob im Endprodukt - der Pflanze, die auf dem Acker wachsen soll - noch Genmaterial zu finden ist, das im Labor in einem Zwischenschritt eingefügt wurde. Aus Sicht des BVL ist bei einigen der neuen Techniken eine Einzelfallprüfung notwendig, beim Genome Editing geht es laut Ehlers aber eher um eine "Grundsatzentscheidung". "Im Großen und Ganzen" teile die deutsche Behörde jedenfalls die Einschätzungen der EU-Kollegen, auch wenn diese nicht immer einhellig zustande gekommen seien.

Weil die Nachweisbarkeit von Gentechnik im Endprodukt sehr schwierig sein kann - auch wenn im Labor Gentechnik-Methoden zum Einsatz gekommen sind -wünscht sich die Industrie eine Änderung der Betrachtungsweise. In der EU wird - anders als in den USA und Kanada - darauf geschaut, ob Gentechnik im Herstellungsprozess der neuen Pflanzen eine Rolle gespielt hat. Für die Gentech-Unternehmen wäre es praktisch, wenn nur das Endprodukt in den Blick genommen würde. Für diesen Ansatz gebe es auch gute Gründe, meinte Detlef Bartsch, der die Gentechnik-Abteilung des BVL kommissarisch leitet. Sein Kollege zeigte sich aber skeptisch. Es würde einen "radikalen Wechsel" bedeuten, wenn die EU nach 25 Jahren nun umschwenke, so Ehlers. Eine solche Änderung sei wohl kaum durchsetzbar.

Mehrere Organisationen aus Landwirtschaft und Umweltschutz warnten anlässlich des Symposiums davor, die neuen Methoden von der Gentechnik-Regulierung - und einer damit verbundenen Kennzeichnung - auszunehmen. "Diese Techniken sind unter anderem deswegen besonders brisant, weil in den letzten Jahren auch die Verfahren zur künstlichen DNA-Synthese laufend weiter entwickelt wurden: So können DNA-Sequenzen im Labor synthetisiert und übertragen werden, die in der Natur nicht vorkommen. Die neuen Methoden erlauben damit eine radikale Veränderung des Erbgutes und der Genregulation jeglicher Lebensform", erklärten die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Greenpeace und weitere NGOs.

Bei den neuen Verfahren gehe es klar um Gentechnik. Denn laut EU-Vorschriften sei Gentechnik im Spiel, "wenn Substanzen wie DNA im Labor aufbereitet und dann in Organismen eingeführt werden, um deren genetisches Material zu verändern." Das sei auch bei den neuen Techniken der Fall, die meistens den natürlichen Reparaturmechanismus der Zellen ausnutzen.

"Nachdem sich Verbraucher, Landwirte und Umweltverbände sehr erfolgreich gegen Gentechnik auf dem Acker gewehrt haben, sollen jetzt neue Gentechnikverfahren durch die Hintertür eingeführt werden", kritisierte Martha Mertens, Sprecherin des Arbeitskreises Gentechnik beim BUND. "Diese Verfahren erlauben radikale Eingriffe in das Erbgut. Sie arbeiten möglicherweise gezielter als bisherige Verfahren, aber auch sie sind nicht frei von ungewollten Nebenwirkungen und Risiken."

Darauf verwies auch Matthew Ramon, der für die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA arbeitet. Dort beschäftigt er sich mit einer weiteren neuen Technik, die einen natürlichen Zellmechanismus, die RNA-Interferenz (RNAi), nutzt, um beispielsweise Gene in Insekten abzuschalten - und Schädlinge auf diese Weise tötet. Pflanzen, die darauf basieren, fallen laut Ramon eindeutig unter die Gentechnik-Vorschriften der EU. Bei einem Workshop der EFSA sei zudem jedoch kontrovers darüber diskutiert worden, ob mit RNAi-Methoden nicht auch Nützlinge geschädigt werden könnten und ob es negative Auswirkungen auf Säugetiere gebe.

Überhaupt seien die Erwartungen an die neuen Methoden übertrieben, meint Dirk Zimmermann, der sich bei Greenpeace mit Gentechnik beschäftigt. "Die großen Ziele der Gentechnik wie etwa die Entwicklung stresstoleranter Pflanzen werden auch die neuen Methoden nicht erreichen können. Dazu sind diese Merkmale viel zu komplex. Hier haben konventionelle Methoden wie die Markergestützte Selektion bewiesen, dass sie der Gentechnik in jeder Hinsicht hoch überlegen sind." [dh]



BVL: Programm Symposium Gentechnik (05./06.11.2014)
http://tinyurl.com/l2ec29u (bvl.bund.de)

Keine neuen gentechnischen Verfahren in der Landwirtschaft - Stellungnahme der NGOs (05.11.14)
http://tinyurl.com/k7uom9a (gen-ethisches-netzwerk.de)

Greenpeace: Zucht und Ordnung? Einschätzung zu neuen Gentechnik-Verfahren (05.11.14)
http://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/gentechnik/zucht-und-ordnung

Hintergrunddossier: Neue Züchtungstechniken - alte und neue Probleme
http://www.keine-gentechnik.de/dossiers/neue_technologien.html

Dossier: Was ist Synthetische Biologie?
http://www.keine-gentechnik.de/dossiers/synthetische-biologie.html

Link zu diesem Beitrag beim Informationsdienst Gentechnik
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Quelle:
Nachricht, 06.11.2014
Informationsdienst Gentechnik
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Redaktion:
Daniel Hertwig [dh], Karin Ehrle-Horst [keh]
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2014