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AGRARINDUSTRIE/033: Bauernhöfe statt Agrarfabriken (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2010
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

TITELTHEMA
EU-Reform


Nichts beansprucht in unserem Land mehr Platz als die Landwirtschaft. Und den größten Teil unserer Ernährung sichern bis heute die heimischen Bauern, trotz aller globaler Warenströme. Zwei gute Gründe, um regelmäßig danach zu fragen, wie und unter welchen Bedingungen bei uns Landwirtschaft getrieben wird: ob unsere Bauern nachhaltig, im Einklang mit Natur und Umwelt wirtschaften, und ob sie gesunde Lebensmittel liefern und ihre Tiere ordentlich behandeln. Nun haben die allermeisten von uns kaum mehr Kontakt zu diesem zentralen Daseinsbereich, entsprechend gering ist unser Wissen. Gleichzeitig malen Bauernverband und Ernährungsindustrie nach Kräften am Idyll einer so unbegrenzt produktiven wie naturverbundenen Landwirtschaft. Die Realität aber sieht anders aus. Speziell die stetige Industrialisierung der Landwirtschaft kommt uns in vielerlei Hinsicht teuer zu stehen. Anstatt diesen Trend wie bisher zu stützen, muss die EU hier rasch gegensteuern. Lesen Sie auf den nächsten zehn Seiten, wie.

Bauernhöfe statt Agrarfabriken

Von Reinhild Benning und Hubert Weiger

Brüssel plant eine Reform der Agrarpolitik nach 2013 - und diese Reform ist bitter nötig. Doch Berlin blockiert. Dabei geht es um viel: Unterstützen Sie den BUND im Kampf gegen Gentechnik, Massentierhaltung und Exportdumping!

Toll, was es im Supermarkt alles gibt: Gummibärchen ohne Fett oder Kinderjoghurt mit Biene-Maja-Bild, angeblich besonders gesund für die Kleinen. Extra-Portionen Milch, wo immer man ins Kühlregal sieht, und das meiste soll auch noch Alpenmilch sein. Was diese Produkte eint? Sie enthalten viel Zucker und Milch und meist noch mehr Milchpulver. Warum? Weil es in Europa zu viel davon gibt und die Rohstoffe deshalb spottbillig sind. Für die Ernährungsindustrie ist es sehr lukrativ, viel Zucker und Milchpulver in ihre Produkte zu stecken und sie als gesund und gut für Kinder zu verkaufen. Gerne werden auch idyllische Weiden auf Milchpackungen abgebildet oder Käse gleich »Grünländer« genannt, selbst wenn die Kühe, von denen die Milch stammt, vor allem Mais und Soja aus Südamerika zu fressen bekommen. Man darf auf Masthühnerfleisch sogar »Wiesenhof« und auf das Fleisch gequälter Schweine »Bauernglück« schreiben, wie ausgerechnet der Billigdiscounter Aldi es tut, ohne den Bauern auskömmliche Preise zu garantieren.

All das ist möglich, weil Industrie und Handel nicht kennzeichnen müssen, wie das Fleisch und die Milch erzeugt wurden. Auch auf gentechnisch veränderte Futtermittel müssen sie nicht hinweisen - entgegen dem Wunsch der Verbraucher, die Agro-Gentechnik mehrheitlich ablehnen. Nach einer Kampagne des BUND kennzeichnet immerhin Edeka-Nord nun die ersten Produkte (nicht ganz) freiwillig mit »ohne Gentechnik« und hat seine Produktion entsprechend umgestellt. Andere Marken wie »Landliebe« sind dem bereits erfolgreich zuvorgekommen. Kennzeichnung ist ein Beispiel für Marktregeln, die von der Politik bestimmt werden. Solange eine Kennzeichnung beliebig oder freiwillig ist, wird nachhaltig erzeugenden Landwirten ein fairer Marktzugang verwehrt.

Das kann und muss sich ändern mit der anstehenden EU-Agrarreform. Momentan erarbeitet die Kommission Reformvorschläge, die von den Mitgliedsstaaten und dem Europaparlament diskutiert werden. Während die Bundesregierung am Bremshebel sitzt, wollen die skandinavischen Länder und Großbritannien die Agrarsubventionen kürzen oder streichen, wenn sie nicht umweltfreundlicher verwendet werden. Zu den Erwartungen des BUND an die Reform zählen klare Regeln für eine obligatorische Kennzeichnung. Hühner- und Schweinefleisch aus Massentierhaltung muss ebenso leicht erkennbar werden wie heute schon das Ei aus dem Käfig. Und gentechnische Eingriffe bei Tieren und Pflanzen gehören verboten oder zumindest (als erster Schritt) verbindlich gekennzeichnet.


Kein Interesse an Umweltstandards

Für die Ernährungsindustrie sind strenge Kennzeichnungsregeln und hohe Umwelt- und Tierschutzstandards vor allem eins: lästig und absatzschädlich. Sie sieht EU-weit kaum noch Spielraum für Wachstum. Die Bevölkerung ist satt und teils überernährt, fast ein Drittel der Lebensmittel landet bereits im Müll. Daher setzt die Industrie auf wachsenden Export. Mit üppigen direkten und indirekten Subventionen hat die Agrarpolitik dazu beigetragen, dass die deutsche Ernährungsindustrie heute schon jeden fünften Euro im Export außerhalb der EU umsetzt. Und das, obwohl Boden und Arbeit hierzulande teurer sind als in anderen Exportländern. Um auch künftig wachsen zu können, fordert die Industrie die Rohstoffe aus der EU weiter zu verbilligen. Ihr Rezept: teure Umweltstandards senken, Tierschutz herunterfahren, Rohstoffe aus Übersee einführen, Agrarfabriken statt Bauernhöfe und so viele Subventionen einstreichen wie möglich. Übrigens gehen rund 70 Prozent der EU-Agrarexporte in Entwicklungsund Schwellenländer. Dort zerstören oft schon kleine Mengen subventionierten Milchpulvers oder gefrorenen Hühnerfleisches die lokalen Märkte der Kleinbauern.


Agrarpolitik vertragsbrüchig

Bei der nächsten Agrarreform muss es also darum gehen, den Durchmarsch der Konzerninteressen und damit die weitere Industrialisierung der Landwirtschaft zu bremsen. Wohlgemerkt: Brüssel und Berlin haben sich vertraglich zur Nachhaltigkeit verpflichtet. So sieht das EU-Klimapaket vor, dass die Landwirte 10 Prozent ihrer Klimaemissionen bis 2020 reduzieren. Der Verlust der Artenvielfalt sollte bereits dieses Jahr gestoppt werden. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie soll bis 2015 zu einem guten Zustand der Gewässer führen. Bis dahin sollen auch Armut und Hunger in der Welt halbiert werden. Für all diese Ziele ist die Agrarpolitik von zentraler Bedeutung. Und überall versagt sie.

Die »gute fachliche Praxis« definiert die Standards unserer Landnutzung. Doch ist sie alles andere als gut. Denn in völligem Einklang mit ihr wird in großem Umfang Grünland umgebrochen, werden Böden und Gewässer mit Dünger und Pestiziden geschädigt und wird die tierquälerische Massentierhaltung stetig ausgeweitet, samt riesiger Maismonokulturen und der Gabe gentechnisch veränderten Mastfutters. Die Gesetze sind einfach zu lasch. Als Ausnahme hat Lutz Ribbe (siehe das folgende Interview) in einer Studie gezeigt, dass die EU-Hygienestandards in Deutschland besonders streng ausgelegt werden - zum Schaden handwerklicher Käsereien und Fleischereien.


Geld nur noch für Gemeinwohl

Die gesetzlichen Mindeststandards müssen also deutlich gehoben werden. Und öffentliche Gelder darf es nur noch für Leistungen geben, die dem Gemeinwohl dienen, etwa für Klima- und Artenschutz: je höher die Umweltleistung, desto höher die öffentliche Unterstützung. Unser Druck auf die Politik trägt hier erste Früchte. Die EU-Kommission hat zur Agrarpolitik nach 2013 drei Wege beschrieben, einer entspricht weitgehend dem BUND-Modell. Demnach sollen die Direktzahlungen an Agrarbetriebe künftig an verpflichtende Umweltmaßnahmen gebunden werden. Auch ist eine Obergrenze für Zahlungen an Großbetriebe vorgesehen, unter Berücksichtigung der Zahl ihrer Arbeitskräfte. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Doch wo ist der politische Willen, die Exportfixierung aufzugeben, zugunsten einer nachhaltigen Erzeugung für den Binnenmarkt? Direkte Exportsubventionen stehen zwar - wie von vielen Nichtregierungsorganisationen gefordert - auf der Streichliste. Inzwischen aber profitiert die Ernährungsindustrie in viel größerem Umfang von der direkten Förderung ihrer Zulieferer. Entscheidend für die Ausgestaltung der Reform wird also sein, dass die Politik die bisherige Wachstums- und Exportideologie aufgibt. Die Weltmarktpreise für Agrarprodukte decken fast nie die Produktionskosten der Bauernhöfe in Europa, wie der EU-Rechnungshof moniert. Die EU-Kommission plant das Einkommensrisiko der Bauern mit neuen Programmen aus dem Fördertopf für ländliche Entwicklung (der »zweiten Säule«) abzufedern. Ein absurder Ansatz: Die Industrie zahlt den Bauern Dumpingpreise für deren (Über-) Produktion, und die Steuerzahler legen eine Überlebensprämie oben drauf. Einen Teil der Lohnkosten der Lieferanten sollen also wir übernehmen, damit die Industrie exportieren kann.

Besonders die Milchbauern lehnen dieses System ab. Romuald Schaber, Präsident von etwa 30 000 deutschen und rund 80 000 europäischen Milchbauern, nennt die subventionierten Milchprogramme »einen Skandal, weil man den Steuerzahler zur Kasse bittet, und den Betroffenen hilft es nicht«.


Druck auf die Bundesregierung

Nun gilt es die Abgeordneten des Europaparlaments von der Notwendigkeit tief greifender Reformschritte zu überzeugen. Der BUND ist dafür mit Agrarsprecher Jochen Dettmer, Lutz Ribbe, Agrarreferentin Reinhild Benning und der Agrarkoordinatorin von »Friends of the Earth Europe«, Mute Schimpf, gut aufgestellt. Die Parlamentarier müssen auch in ihren Wahlkreisen spüren, dass Steuerzahler und Wähler von ihnen wirksame Reformen und Marktregeln erwarten - für Bauernhöfe statt Agrarfabriken.

Der größte Widersacher sitzt allerdings in Berlin: Die Bundesregierung blockiert die Reform, statt den Rahmen zu setzen für eine ökologisch verträgliche Wertschöpfung im ländlichen Raum. Daher organisiert der BUND mit vielen Verbündeten eine Demonstration gegen Gentechnik, Massentierhaltung und Exportdumping: am 22. Januar vor dem Berliner Hauptbahnhof (siehe Aktionsseite). Nur wenn es uns gelingt, in den nächsten zwei Jahren erheblichen Reformdruck auch im Inland aufzubauen, können wir unsere Lebensgrundlage - eine vielfältige Kulturlandschaft - wirksam schützen.

Reinhild Benning (BUND-Agrarexpertin) und Hubert Weiger (BUND-Vorsitzender und langjähriger Sprecher des AK Landwirtschaft)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Der BUND fordert eine nachhaltige Agrarreform - wie hier im Frühjahr bei der Agrarministerkonferenz in Plön (Holsteinische Schweiz).

Grafik: Verteilung der EU-Agrarsubventionen
Anteil der EU-Betriebe, die 2009 Agrarsubventionen in einer bestimmten Größenordnung erhalten haben. Anteil, den diese Betriebe 2009 vom Gesamtvolumen der EU-Agrarsubventionen erhielten. Quelle: BMLEV
Die Hälfte aller Betriebe erhält unter 5.000 EUR pro Jahr - und gemeinsam nur 5% der Subventionen. Umgekehrt streichen die 2% der Betriebe, die über 100.000 EUR erhalten, mehr als 30% des Gesamtvolumens ein.

Grafik: Biologische Vielfalt: Ziel außer Sicht
120 Zielwerterreichung in Prozent Zielwert 2015
Für die Ziele der Nationalen Biodiversitätsstrategie hat das Bundesamt für Naturschutz einen Indikator »Agrarland« definiert. Der Zielwert ist weit entfernt, der Trend eindeutig negativ, eine Besserung nicht in Sicht.

Eine ausführliche Broschüre zur Agrarreform erhalten Sie zu den Portokosten im BUNDladen,
Tel. (0 30) 2 75 86-4 80, bundladen@bund.net


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Quelle:
BUNDmagazin 4/2010, S. 12-15
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2011