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TIERE/098: Warum Bio manchmal nervt ...und warum es trotzdem so wichtig ist (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 148 - Februar/März 09
Die Berliner Umweltzeitung

Warum Bio manchmal nervt
...und warum es trotzdem so wichtig ist

Von Laura Sophie Glienke


Massentierhaltung, Tierversuche, Vegetarier, Veganer. Schlagworte aus Medienberichten und dem täglichen Leben. Wir schnappen sie im Supermarkt auf, beim Gespräch mit unseren Freunden, lesen tausend Artikel, die uns die Köpfe schwirren lassen. Fast schon aggressiv fordern uns manche Medien dazu auf, auf Tierprodukte zu verzichten. Der Bioladen lädt dazu ein, uns ökologisch sowie moralisch korrekt zu ernähren. Soja, Freilandhaltung, Ersatzprodukte, schadstoffarm, zusatzstoff-und geschmacksverstärkerfrei. Der Hype beginnt zu nerven.

Er nervt vor allem diejenigen, die sich schon vor Jahren bewusst für eine solche Ernährung entschieden haben, als es fast noch kompliziert war, "ökologisch wertvolle" Waren überhaupt zu bekommen. Diejenigen, die nicht auf einer Trendwelle mitschwimmen und "bio" sind, weil es zur Zeit eben hip und irgendwie angesagt ist.

Solche, die von all der bio-, öko- und Super-mega-gesund- Werbung an jeder Ecke fast erschlagen werden, obwohl es doch seit Jahren für sie selbstverständlich ist, den eigenen Organismus nicht mit Zusatzstoffen wie E 355 oder E 622 zu vergiften.

Doch egal, ob Neu-Interessent oder "Altöko", die Gründe, ins Bioregal zu greifen oder den Naturkostladen zu betreten, entspringen letztendlich dem gleichen Gedanken: unserem eigenen Körper und unserer Umwelt etwas Gutes zu tun.

Und mag es eine reine Information für "New Veggies" sein, so sprechen doch zahlreiche Fakten dafür, ein weiteres Mal die Entwicklungen und Zustände der deutschen und internationalen Massenviehzuchtbetriebe und Großlandwirte zu betrachten. Lieber einmal zu viel als zu wenig.


Qualvolle Hühnerhaltung

Beginnen wir bei dem gerade sonntags so beliebten Frühstücksei der Deutschen. Nicht nur der im November 2008 bekannt gewordene Skandal mit falsch deklarierten Produkten sollte einen in diesem Falle aufhorchen lassen.In Berlin stammt jedes zweite verkaufte Ei von der Firma Landkost, zu haben zum Beispiel bei Kaiser`s. Die Stempel auf den verkauften Eiern wiesen eine Eins für Freilandhaltung vor, das DE für Deutschland und einen Zahlencode für Land, Betrieb und Stall.Im Falle von Landkost wies dies die Tierschutz- Aktivisten von Peta (People for ethical treatment of animals) auf den Betrieb "Farm B7 - Spreenhagener Abteil Fünf" östlich von Berlin hin. Hier wurden zwar glückliche Hühner und Freilandhaltung suggeriert, jedoch stammten die Eier von Hühnern, die auf diesem Hof nirgendwo auf freier Wiese oder unter blauem Himmel gackern. Vielmehr sind die Tierscharen in 30 Hallen in einer Freilaufhaltung untergebracht. In der Halle selbst stehen die Tiere dicht an dicht, wirken apathisch und gestresst. Tausende Hühner hocken weiter hinten in der Halle zusammengepfercht, vereint in ihrem gemeinsam Schicksal, "Freilandhaltungseier" zu legen. Viel schlimmer noch: im Mülleimer finden sich Medikamente. Ursovit und ND Lasota, beides verabreicht über das Trinkwasser, damit die Tiere diese Strapazen überhaupt durchhalten, so berichten die Peta-Aktivisten. In diesem Fall haben sie Strafanzeige eingereicht.

Allerdings ist dieser Skandal nur die Spitze des Eisbergs. Seit Jahren ist bekannt, wie Tiere aller Art in regelrechten Schlachtungsfabriken gehalten und getötet werden. Bleiben wir einmal bei den "Freilandhühnern". Die meisten Massenzuchtanlagen sind ohne Atemschutzgerät kaum zu betreten. Der Ammoniakkgeruch überall in der Luft ist für die menschliche Nase kaum zu ertragen. Er treibt einem nach wenigen Minuten die Tränen in die Augen und verursacht Atemnot. Die Hühner müssen diese Belastung fünf Wochen aushalten, da während der gesamten Mastperiode nicht ausgemistet wird.

Da die Hennen so extrem beengt stehen, hält man sie im Halbdunkeln und schneidet ihnen im Alter von ein bis dreizehn Tagen ohne Betäubung die Schnabelspitzen ab, damit sie sich nicht gegenseitig totpicken.

Mehr als 24 Hühner auf einem Quadratmeter zusammengepfercht, das ist weitaus enger als in Legebatteriekäfigen, die in Deutschland höchstrichterlich als Tierquälerei bezeichnet und von der EU verboten wurden.

Die völlig überzüchteten Hühner, deren zartes Brustfleisch später zu "Chicken Wings" verwertet werden soll, können sich kaum bewegen. Ihre überdimensionierten Brustpartien lassen sie immer wieder umfallen, hinken und an hochgradiger Atemnot leiden. Ihr Herz-Kreislauf- System ist ständig dem Kollaps nah. Die hohe tägliche Gewichtszunahme ist für das Skelett der Tiere untragbar, und so sitzen sie fast die gesamte Zeit ihres etwa fünfwöchigen Lebens auf der stark ammoniakhaltigen, feuchten Einstreu, die während der Mastperiode nicht gewechselt wird.

Besonders dem amerikanischen Fast-Food-Riesen Kentucky Fried Chicken wird diese Art der Massentierhaltung vorgeworfen. Und mal ehrlich, wer hat nach solchen Vorstellungen noch Lust auf einen Broiler?

Doch nicht nur unsere gefiederten Freunde trifft dieses Schicksal. Aus Kinderbüchern erfahren wir von den saftigen grünen Wiesen auf Bauernhöfen und riesigen Schlammpfützen, an denen sich Schweine erfreuen können. Diese Idylle ist in der heutigen Zeit größtenteils fensterlosen Metallhallen und Drahtkäfigen gewichen.

Die Herstellung von sogenannten Tierprodukten geschieht in Deutschland etwa nach folgender Rechnung: Ein minimaler Einsatz an Platz und Geld soll eine maximale Menge an Fleisch, Milch und Eiern so schnell wie möglich produzieren. Dies betrifft sämtliche Tierarten: Kühe, Kälber, Schweine, Hühner, Puten, Enten, Gänse und Kaninchen.


Geburten im Akkord

Kühe und Kälber beispielsweise werden in so kleinen Käfigen oder Ställen gehalten, dass sie sich nicht einmal umdrehen können. Man beraubt sie jeglicher Bewegungsmöglichkeit, damit ihre ganze Körperenergie in das Fleisch übergeht, das der Mensch später verzehrt.

Außerdem werden die sanftmütigen Tiere mit einer überaus unnatürlichen Mischung aus großvolumigen Körnern und anderen "Füllstoffen" (einschließlich Sägemehl !) ernährt, bis sie etwa 500 kg wiegen. Auch werden diese dann dann ohne Betäubung kastriert und enthornt. Dies ist bei fast jeder Tierart eine gängige Methode in der industriellen Massentierhaltung.

Junge männliche Kälber werden ihren Müttern schon Stunden nach der Geburt entrissen. So kann das junge Kalb anschließend für die Fleischgewinnung auf Lattenrostboden eingepfercht werden, wo es dann mit hormonangereicherter Ersatzmilch gefüttert wird, was zur Blutarmut führt und das Kalb extrem schwächt. Allerdings macht die Blutarmut das Fleisch zart und saftig, so wie es der Verbraucher gern hat. Wenn das Kalb ein Alter von etwa 16 Wochen erreicht hat, kommt es auf altbekannten Wegen des Massentiertransports zum Schlachthof. Die Muttermilch der Kuh wiederum wird mit Melkmaschinen abgemolken. Dies verursacht oft Verletzungen und schwere Infektionen am Euter der Kuh, außerdem können von ihnen ebenfalls unkontrollierbare Elektroschocks ausgehen. Innerhalb von 60 Tagen wird die Kuh wieder geschwängert. Die Prozedur beginnt von vorne. Ist ihr ausgemergelter Körper irgendwann zu schwach um Milch zu geben und Kälber zu gebären, wird auch diese Kuh zum Schlachthof transportiert und zu Bulette oder Wurst verarbeitet. Wer denkt schon bei einem saftigen Klops an Sägemehl?


"Richtig" leben - aber wie?

Und so standen auch an den weihnachtlichen Feiertagen wieder einige von uns vor dem Tiefkühlregal und grübelten über der Entscheidung, eine Weihnachtsgans für 22 Euro aus dem Supermarkt zu kaufen, oder doch lieber mit bestem Gewissen den Lieben eine Bioweihnachtsgans für stolze 96 Euro zu kredenzen.

Es scheint so, als könnten es sich Familien mit durchschnittlichem bis unterdurchschnittlichem Einkommen kaum leisten, sich ein gutes Gewissen zu erkaufen. Stattdessen gilt es, sich mit vollem Bewusstsein von Eiern aus Massentierhaltung und Fleisch aus moralisch absolut verwerflichen Haltungsmethoden zu ernähren, einfach weil der Geldbeutel nichts Anderes zulässt. So mag es zwar Einkaufsgemeinschaften und Mitgliedschaften bei Bio-Supermärkten geben, die die oft horrenden Preise noch ein wenig bezahlbarer machen, doch für all diejenigen, die ihre fünfköpfige Familie von 50 Euro in der Woche ernähren müssen, rücken auch solche Möglichkeiten in weite Ferne, wenn erst Miete, Strom, Kleidung und Schulbedarf bezahlt wurden. Eine gesunde und bewusst-ökologische Ernährung scheint also nicht nur eine Frage der Moral und des eigenen Willens, des Verständnisses und der Information zu sein, sondern hängt gerade in Deutschland vom Sozialstatus des Verbrauchers ab. Wer "Öko" sein will, muss teilweise tief in die Tasche greifen. Außen vor lassen möchte ich in diesem Falle Bioprodukte vom Discounter, deren tatsächliche Herkunft oft fragwürdig ist. Allerdings ist der Preisunterschied oft berechtigt, denn die Herstellung von Bioprodukten ist meist zeit- platz- und -kostenintensiver, als die ihrer konventionell hergestellten Zwillinge. Dabei wäre es wünschenswert, dass ethisch und biologisch korrekte Lebensmittel und Produkte irgendwann der Normalfall sind und nicht nur in speziellen Supermärkten angeboten werden, sondern zu fairen Preisen ohne Qualitätsabstriche überall erhältlich sind.

Bis dahin gilt es, der Industrie im Kleinen ein klares Zeichen zu setzen - und sei es nur durch den Verzicht auf die tägliche Wurststulle: Tierquälerei und Genmanipulation - nein danke!

www.peta.de


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 148, Februar/März 09, S. 8-9
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009