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VIELFALT/138: Ackerwildkräuter brauchen mehr Lebensraum (BN)


Bund Naturschutz in Bayern e.V. - München, 6. Juli 2015

Vielfalt statt Monotonie: Ackerwildkräuter brauchen mehr Lebensraum

Gemeinschaftsprojekt will Aufmerksamkeit auf die "vergessenen Schätze" unserer Kulturlandschaft lenken - Ökolandbau vorne dran bei der Förderung von Vielfalt


Mehr als dreißig Prozent der ca. 270 typischen Ackerwildkrautarten sind in Deutschland gefährdet und in ihrem Bestand bedroht. Die einst sehr diverse und blütenreiche Ackerwildkrautflora ist in vielen Regionen Bayerns nur noch auf wenigen Standorten vorhanden. Vertragsnaturschutzprogramme und Ökolandbau sichern die noch vorhandenen Restbestände. In einem gemeinsamen Projekt wollen BN, DVL, LfL und die Ökoverbände in Bayern "Werbung" für Vielfalt am Acker machen und aufzeigen, dass viele der "vergessenen Kostbarkeiten" so konkurrenzschwach sind, dass sie den Ertrag der Hauptfrucht gar nicht schmälern. Dazu werden Schulungen durchgeführt, Broschüren erstellt und 2016 ein Wettbewerb Blühende Ackerwildkräuter in der Oberpfalz gestartet.

Hubert Weiger, BN Landesvorsitzender, forderte von der Bayerischen Staatsregierung den Mittelansatz für Vertragsnaturschutz (VNP) deutlich zu erhöhen. "Es gibt viel mehr geeignete Standorte für die Erhaltung von Ackerwildkräutern als Fördermittel vorhanden sind, die Mittel sollten verdreifacht werden." Derzeit sind in Bayern lediglich 1700 Hektar im VNP für Acker- und Ackerbrache abgeschlossen, davon 900 Hektar als extensive Bewirtschaftung, ohne Einsatz von Pestiziden und weiteren Maßnahmen wie Düngeverzicht oder Stoppeln nach der Ernte stehen lassen. Der Landwirt erhält dafür zwischen 420 und 730 EUR.

"Die Kunst besteht darin, den Anteil seltener Ackerwildkräuter so zu fördern, dass Problemunkräuter nicht überhand nehmen", so Johannes Enzler vom Arbeitskreis Landwirtschaft des Bund Naturschutz. "Im ökologischen Landbau gelingt dies mit dem Wechsel von mehreren verschiedenen Feldkulturen und ausgeklügelten mechanischen Hacksystemen", so Enzler.

Seit mehreren Jahren führt der Deutsche Verband für Landschaftspflege das Projekt 100 Äcker für die Vielfalt durch. Der BN Acker in Adertshausen ist einer von ihnen. "Dies reicht jedoch nicht aus, wir bräuchten 1000 Äcker für die Vielfalt, so Richard Lehmeier vom Landschaftspflegeverband Amberg-Sulzbach.

Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) hat eine neue Broschüre "Blühende Ackerwildkräuter erkennen und erhalten" herausgebracht. In einem vierjährigen Verbundprojekt mit der TU München und der Universität Kassel engagiert sich die LfL zudem in einem Projekt zur Wiederansiedlung von seltenen und gefährdeten Ackerwildkräutern auf Biobetrieben. Die Erkenntnisse aus diesem wissenschaftlichen Projekt sind jetzt in einer Praxisbroschüre "Wiederansiedlung seltener und gefährdeter Ackerwildkräuter im Biobetrieb" veröffentlicht.

Auch Bioland engagiert sich für die Wiederansiedlung seltener und gefährdeter Ackerwildkräuter im Biobetrieb. "Wir beraten und begleiten Landwirte darin, seltene und gefährdete Ackerwildkräuter auf ihren Äckern zu fördern. Zudem unterstützen wir sie mit Saatgut und dem Aufbau einer Saatgutvermehrung", so Katja Gilbert, Bioland Pressereferentin.

Bedeutung der Ackerwildkräuter

Ackerwildkräuter sind an den Lebensraum Acker gut angepasst. Sie haben Überlebensstrategien entwickelt, um über hohe Samenbildungsraten, Wurzel- oder Sprossausläufer häufige Bearbeitungsgänge zu überleben. Die Samen sind oft noch nach mehreren Jahrzehnten im Boden keimfähig. Die Intensivlandwirtschaft mit hoher Düngung, Herbizideinsatz, und engen Saatdichten lässt ihnen aber meist keinen Raum mehr, um zum Keimen oder gar Blühen zu kommen. Leider gibt es auch immer weniger Acker- und Feldraine, da die Äcker zusammengelegt und vergrößert werden. Auch wird in den letzten Jahren die Tendenz sichtbar, dass bis direkt an den Feldweg herangepflügt wird und die Raine früh im Sommer gemulcht oder gemäht werden, so dass der Lebensraum Feldrain fast ganz verschwunden ist. Da jede Blütenpflanze und jeder nicht abgemähte Rain Nahrung und Lebensraum für Insekten, Vögel und andere Tiere der Agrarlandschaft ist, gehen auch deren Artenzahlen in den letzten Jahrzehnten bedrohlich zurück. So zeigen die neuesten Zahlen des Bundesamtes für Naturschutz für den Lebensraum Agrarland anhand der Bewertung von zehn wichtigen Vogelarten einen sehr negativen Trend auf. Zwischen 2001 und 2011 wurden nur noch 56% des Zielwerts zur Erhaltung der Population erreicht (BfN Artenschutzreport 2015).


Was können Landwirte tun

Verzicht auf Pestizide (Herbizide, Fungizide, Insektizide, etc.), Halmstabilisatoren und Wachstumsregulatoren.

Den Rain verbreitern und erst Ende August mähen.

Die Bodenbearbeitung mit dem Pflug durchführen statt pflugloser Bearbeitung, um den Herbizideinsatz zu reduzieren.

Beim Anbau von Winterfrüchten können die meisten der selten gewordenen Ackerwildkräuter, die bereits im Herbst keimen, überwintern und bis zur Getreideernte zur Samenreife gelangen.

Eine Düngung mit chemisch-synthetischem Stickstoffdünger, Gülle oder Klärschlamm fördert nährstoffliebende und weit verbreitete Arten. Keine oder geringe Düngung fördert dagegen meist die gefährdeten Arten und drängt nährstoffbedürftige Problem"un"kräuter zurück.

Je nach Standort kann eine leichte organische Düngung mit Mist oder Kompost die Ackerwildkrautflora stabilisieren.

Mit einem vergrößerten Abstand der Getreidereihen von ca. 18-20 cm, der Anlage von sog. Drilllücken oder Lichtstreifen (bis 40 cm), oder reduzierter Saatmenge können lichtbedürftige Ackerwildkräuter Lebensraum bekommen.

Ein Herbizid- bzw. Striegel-Verzicht auf einem Streifen im Feld oder am Feldrand oder das Ausheben des Striegels an zwei bis drei Stellen pro Hektar kann sich positiv für seltene Ackerwildkräuter auswirken, wenn Samenpotenzial im Boden vorhanden ist.

Eine späte Stoppelbearbeitung (nicht vor Mitte September) hilft gefährdeten Arten, ihre Fruchtreife zu erreichen.

Die auf Nachhaltigkeit bedachten Landwirte achten darauf, die angebauten Kulturarten jährlich zu wechseln. Nicht zuletzt dient die Fruchtfolge auch der vorbeugenden Regulierung der Ackerwildkrautbestände. Ohne Fruchtwechsel züchtet der Landwirt "Problemunkräuter", indem immer die gleichen "Unkräuter" bevorzugt werden. So ist z. B. die "Verungrasung" mit Windhalm oft ein Symptom für fortgesetzten Anbau von Wintergetreide, während Flughafer durch immer wiederkehrenden Sommergetreideanbau gefördert wird.

Das Wintergetreide mit den geringsten Bodenansprüchen ist der Roggen. Weitere empfehlenswerte und wenig anspruchsvolle Winterkulturen sind Emmer, Einkorn und Dinkel.


Zusammenfassende Forderungen:
  • Ausbau Vertragsnaturschutzprogramm Acker von 1700 auf 5000 Hektar in Bayern
  • Ausbau des nationalen 100-Äcker-Programms auf 1000 Äcker, davon 100 in Bayern
  • Einbeziehung Ackerwildkrautschutz in die Lebensraumberatung der LfL
  • Fortbildung für Lehrkräfte zum Unterricht an Landwirtschaftsschulen zur Toleranz für Ackerwildkräuter und Wildkrautmanagement ohne Chemie
  • Ackerrandstreifenprogramm neu auflegen
  • Aufklärung bei Kommunen zur Bedeutung der Vegetation an Straßen und Wegen
  • Aktivitäten für mehr öffentliches Bunt

Anlage 1:

Fakten zu den drei Standorten

1. Erbsenanbau lässt Ackerwildkräutern Platz

"Acker der Vielfalt" der BN Kreisgruppe Amberg, bewirtschaftet durch Ökolandwirt Ulrich Spreitzer aus Adertshausen.

Vorstellung der Ackerfläche durch: Horst Schwemmer, Geschäftsführer BN Kreisgruppe Amberg, Richard Lehmeier, Landschaftspflegeverband Amberg

Besondere Arten: Blauer Ackergauchheil, Frauenspiegel, Ackerröte, glänzender Ehrenpreis, Finkensame, Schlitzblättriger Storchschnabel, Knollen-Platterbse

2. Ökolandbau fördert Artenvielfalt

92289 Ursensollen - Heinzhof 2-4

Biolandbetriebe von Hubert und von und Thomas Lautenschlager, Tel. 09628- 90 21 000

Besichtigung von Dinkel, Sommergerste, Sommergerste-Leindotter, Mischkultur

Besondere Arten: Ackerhahnenfuß, Ackerkrummhals, Kornblume, Klatschmohn, gezähnter Feldsalat, Kamillearten

Fruchtfolge am Betrieb Lautenschlager:
Kleegras
Kleegras
Sommergerste
Winterdinkel
Winterroggen und/oder Hafer mit Untersaat Kleegras

3. Vielfältige Fruchtfolgen am Biobetrieb

Betrieb Uwe Neukamm, in Vorderhaslach 1, 91230 Happurg, Tel. 09158 95 110, arrondierter Biobetrieb, Demeter, 95 Hektar (ha), davon 40 ha Wiesen und Weiden, 55 ha Acker

Fruchtfolge:
Hafer-Erbsengemenge mit Kleegrasuntersaat
Kleegras
Kleegras
Dinkel oder Gemüse oder Kartoffeln
Roggen oder Emmer
Körnerleguminosen (Ackerbohne oder Erbsen)
Dinkel


Anlage 2:
Erschreckende Fakten zu Ackerwildkräutern

Ackerwildkräuter sind die am stärksten zurückgegangene Pflanzengruppe in Mitteleuropa.

die meisten ausgestorbenen Arten (15-18)

20 % der ausgestorbenen Arten sind Ackerwildkräuter

Mittlere Deckung in 50 Jahren von 30 auf 3% gesunken

Mittlere Artenzahl von 24 auf 7 gesunken

in Deutschland von ca. 220 (320) Arten 50% auf mind. 1 Roten Liste

Quelle:
Dr. Martin Sommer, Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und
Verbraucherschutz, Referat Landschaftspflege und Naturschutzförderung

nicht öffentlicher Vortrag am 26.6.2015 in Kallmünz


Anlage 3:

Ökolandbau und Artenvielfalt

Bio bringt Vielfalt in die Kulturlandschaft

Eine Vielzahl von Studien belegt, dass Biobetriebe mehr Raum für die Natur lassen als der durchschnittliche konventionelle Betrieb. Dies betrifft nicht nur die Ackerwildkräuter und die davon lebende Tierwelt, sondern auch eine Vielzahl an Nutzpflanzenarten und -sorten sowie Tierrassen. Einige Ökoverbände fördern speziell auch Naturschutzmaßnahmen auf Ökobetrieben.

Quelle: www.boelw.de/bioargumente.html

Bio-Flächen sind artenreicher als konventionelle

Auf Bio-Äckern kommen deutlich mehr Wildkraut- und Tierarten vor als auf konventionellen [1; 2] - was wenig verwundert, da keine Herbizide, Pestizide und leicht lösliche Handelsdünger eingesetzt werden, die Fruchtfolgen vielfältiger sind und eine standortangepasste Tierhaltung angestrebt wird. Gerade für Ackerwildkräuter - hier steht bundesweit jede zweite Art in mindestens einem Bundesland auf der Roten Liste - kann Öko-Landbau praktizierten Artenschutz bedeuten [3]. Von der größeren Vielfalt an Pflanzen profitieren Insekten und Feldvögel. Die größere Artenvielfalt ist einerseits Folge der Umstellung auf ein vielfältigeres Anbausystem und andererseits setzt der Öko-Landbau gezielt auf die Nutzung von Wechselwirkungen in der Natur; ein vielfältiger Anbau kombiniert mit einem Verbund von Strukturelementen und Biotopen unterstützt die Regulierung von Schädlingen.

Der Bio-Landbau integriert Landschaftselemente in die Bewirtschaftung

Landschaftselemente wie Hecken, Feuchtbiotope, Magerrasen, Streuobstwiesen und Wegraine erfüllen wesentliche ökologische Funktionen in der Kulturlandschaft. Sie bieten einer Fülle an Tier- und Pflanzenarten Lebensraum, Nahrung und Rückzugsmöglichkeiten. Auch wenn es dazu keine Vorgaben gibt, so gehören doch in vielen Öko-Betrieben Landschaftselemente zum Bewirtschaftungskonzept, denn sie erhöhen die Stabilität des Agrar-Öko-Systems. Wechselwirkungen fördern die Regulation von "Schädlingen" durch "Nützlinge"; Strukturelemente mindern die Erosion und bereichern das Landschaftsbild. Vereinzelt finden Bio-Betriebe sogar Möglichkeiten, traditionelle Nutzungen von Hecken neu zu beleben und den Aufwuchs für Hackschnitzelheizungen oder Laubheu als diätetisches Viehfutter zu nutzen. Der große Arbeitsaufwand verhindert bisher, dass solche Ansätze weitere Verbreitung finden.

Quellen, weiterführende Literatur und Links:

[1] Soil Association (2000): The Biodiversity benefits of organic farming. Abrufbar unter www.wwf.org.uk/research → issues → agriculture → reports → archived reports.

[2] Niggli, U. et al. (2009): Gesellschaftliche Leistungen der biologischen Landwirtschaft. - Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL): Fakten & Hintergründe zu den Leistungen des Biolandbaus, 35 pp., Frick (CH).

[3] Van Elsen, T. (1996): Wirkungen des ökologischen Landbaus auf die Segetalflora - Ein Übersichtsbeitrag. In: Diepenbrock, W. und Hülsbergen, K. J. (Hrsg.): Langzeiteffekte des ökologischen Landbaus auf Fauna, Flora und Boden. Halle, S. 143-152.

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Quelle:
Presseinformation, 06.07.2015
Herausgeber:
Bund Naturschutz in Bayern e.V.
Landesgeschäftsstelle
Dr.-Johann-Maier-Str. 4, 93049 Regensburg
Tel. 0 941/ 2 97 20-0, Fax 0 941/ 2 97 20-30
E-Mail: info@bund-naturschutz.de
Internet: www.bund-naturschutz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2015

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